Sven Regeners neuer Roman spielt „Glitterschnitter“
Kennt man, mag man: Seit mittlerweile 20 Jahren erschreibt sich Sven Regener seinen schrägen Westberliner Künstlerkosmos der 80er Jahre. „Herr Lehmann“ machte den Anfang, zuletzt war da die „Wiener Straße“, jetzt wuchert die literarische Sitcom um ein paar Episoden weiter. „Glitterschnitter“ heißt der neue Roman des Element of Crime-Frontmannes, und alles ist darin wieder so, wie es in der guten, alten, wilden Zeit eben war. Nostalgie pur.
Künstler sind sie irgendwie alle, manche mit einer klaren, andere mit einer ziemlich schummrigen Vision: Raimund und Ferdi von der Band „Glitterschnitter“, Charlie, der zu ihrer Musik mit einer Bohrmaschine zu Werke geht, Frank Lehmann, der im „Cafe Einfall“ den neuesten Trend, nämlich Milchkaffee, anbieten möchte, oder H.R. Ledigt, den der Ruf der Kunst in der Ikea-Musterwohnung ereilt. Mit den Berufsösterreichern von der ArschArt-Galerie, Konzerten in ihrer neuen Event-Location „Intimfrisur“, mit lästigen Müttern, schwangeren Freundinnen und schwindelnden Saxofonistinnen wimmelt es in der und um die Wiener Straße in Kreuzberg wieder von Originellen und Originalen, darunter viele alte Bekannte.
Dass es sich um einen historischen Roman handelt, kann man aus ganz vielen Randbemerkungen schließen, ohne dass der Zeitkontext allzu deutlich angeführt wird. Kaffeehausbetreiber Erwin sinniert darüber, ob Nichtrauchen jemals Teil der Gastronomie werden könnte - klares Nein - und in der allgemeinen Überspanntheit der Post-Punk-Explosion, wo „jeder auf die Bühne gehen und irgendeinen Scheiß machen“ konnte, wie Regener über die literarisch so glorifizierte Ära sagt, wird die eigentümliche, aus Zeit und Welt gefallene Blase der Berliner Boheme vor der Wende als zeitgeschichtliches Phänomen ausstaffiert.
Manche Figur aus dem historisch gewachsenen Regener-Universum darf man in „Glitterschnitter“ besser kennenlernen, rückt vom Rand in die Mitte, ja, erhält sogar eine eigene Erzählperspektive. Oder, im Fall der Jungs von „Glitterschnitter“ einen richtigen Auftritt. Natürlich erst nach einem ebenso manischen wie mühevollen Prozess der Demotape-Aufnahme: Das lässt mitunter ahnen, nach welcher Methode auch so eine Erfolgsroman-Serie entstanden sein könnte. „‘Wir müssen das neu mischen. Wir spielen diese Kassette hier...‘ - er zeigte auf das Kassettendeck hinter Frank Lehmann - ‚ganz laut ab, also über eure Anlage und Charlie spielt dazu die Bohrmaschine nochmal neu ein und ich nehme das Gemisch von hier mit diesem Gerät auf einer anderen Kassette nochmal auf, dann ist die Bohrmaschine nicht so laut. Weil hier mehr Platz ist als im Übungsraum. Genial!‘“ Am 13. November liest Sven Regener aus „Glitterschnitter“ im Wiener Rabenhof.
(S E R V I C E - Sven Regener: „Glitterschnitter“, Galiani, 470 Seiten. 24,95 Euro)