Deutsche Parteien rüsten sich für Sondierungsgespräche
Nach dem unübersichtlichen Ergebnis bei der Bundestagswahl haben sich die Parteien am Montag für schwierige Sondierungsgespräche gerüstet. Die siegreiche SPD ernannte ein sechsköpfiges Sondierungsteam, das Gespräche mit Grünen und FDP führen soll. Die Liberalen beschlossen „Vorsondierungen“ mit den Grünen. Diese wollen zunächst über eine Ampel sprechen, während der geschlagene Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet rasch die Chancen für Jamaika ausloten will.
Scholz sagte nach Beratungen des SPD-Präsidiums, er wolle eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“ bilden. Dies entspreche dem „sehr klaren“ Wählerauftrag. SPD, Grüne und FDP seien gestärkt worden, „diese drei Parteien sollen auch die nächste Regierung führen“, sagte er am Montag in Berlin. „Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie dafür unterschiedliche Ausgangslagen haben“, sagte Scholz. Sein Ziel ist es, dass die Regierung auch über die Legislaturperiode hinaus Bestand hat.
Der SPD-Vorstand ernannte bereits ein sechsköpfiges Sondierungsteam, das die Chancen für eine Ampelkoalition ausloten soll. Zum Team gehören demnach Kanzlerkandidat Olaf Scholz, die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Man sei sich einig, dass vor den Gesprächen keine roten Linien formuliert würden.
Scholz bezeichnete es auch als „völlig ok“, wenn FDP und Grüne zunächst miteinander reden wollen. Diesbezüglich machten die Liberalen bereits Nägel mit Köpfen. FDP-Chef Christian Lindner sagte am Montag, der Parteivorstand habe „Vorsondierungen“ mit den Grünen beschlossen. Danach seien die Liberalen offen, Einladungen von CDU/CSU und SPD über weitere Gespräche anzunehmen, „wenn sie denn kommen“.
Der Grüne Co-Chef Robert Habeck hatte im Vorfeld bereits Zustimmung zu solchen Gesprächen signalisiert und dies mit den großen inhaltlichen Unterschieden begründet. „Wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr“, sagte Habeck. „Da treffen Welten aufeinander“, ergänzte er nach einer Grünen-Vorstandssitzung am Montag. Er betonte, dass er gemeinsam mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sondieren werde. Diese machte schon eine inhaltliche Ansage und forderte, dass die gegenseitige Blockade von Umwelt- und Wirtschaftsministerium in der nächsten Regierung aufgelöst werden müsse. Habeck sagte, dass er mit Baerbock geklärt habe, wer Grüner Vizekanzler werde. Er verriet aber nicht, wer das sein werde.
Habeck sagte weiter, dass es durch das Wahlergebnis eine gewisse Logik gebe, zunächst über eine Ampelkoalition mit SPD und FDP zu sprechen. Die SPD sei in Führung und Scholz habe einen „Vertrauensvorschuss der Menschen“, argumentierte er. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit der Union reden werden“, fügte er hinzu. Eine Neuauflage der Großen Koalition - unter Führung der SPD - sehe er nicht. Da müssten sich die Parteien schon überaus dumm anstellen, sagte der Grüne Spitzenpolitiker.
Lindner bekräftigte seine Zweifel an einer Ampel-Koalition. Es fehle ihm die Vorstellungskraft, welche Angebote Kanzlerkandidat Scholz der FDP machen könne, die zugleich auf Begeisterung von SPD-Linken stoßen könnten. Höhere Steuern könne es nur für große Internetkonzerne geben, betonte er. Die FDP-Vorsondierungen mit den Grünen begründete er wiederum damit, dass es Grünen und der FDP „die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums“ gebe. Gleichzeitig handle es sich um jene Parteien, die sich am stärksten gegen den Status Quo der Großen Koalition gewandt hätten. „Weder die Union noch die SPD stehen für Aufbruch“, sagte er.
Laschet wollte sich indes weiterhin nicht im Rennen um das Kanzleramt geschlagen geben. Vorstand und Präsidium der CDU seien sich einig, „dass wir zu Gesprächen für eine sogenannte Jamaika-Koalition bereit stehen“, sagte Laschet nach Beratungen der Parteispitze. Aus dem Wahlergebnis könne aber keine Partei einen Regierungsauftrag für sich ableiten. Mit Blick auf die historisch mageren Ergebnisse für Union und SPD meinte er: „Olaf Scholz und ich sind, finde ich, zur gleichen Demut aufgerufen.“
Wie aus Teilnehmerkreisen der Sitzung verlautete, führte der CDU-Chef schon am Wahlabend ein längeres Gespräch mit FDP-Chef Christian Lindner. Am heutigen Montag wolle er mit der Grünen Kanzlerkandidatin Baerbock sprechen. Laschet räumte im Bundesvorstand einen „persönlichen Anteil“ an der Wahlniederlage ein. Zugleich forderte er Geschlossenheit ein, damit die Union mit FDP und Grünen eine „Zukunftskoalition“ sondieren könne.
Die Unions-Spitze stellte am Montag auch erste personelle Weichen. Laschet sagte, dass er vorerst weiter nordrhein-westfälischer Ministerpräsident bleiben will. Als Unions-Fraktionsvorsitzender solle am Dienstag Ralph Brinkhaus wiedergewählt werden. In der CSU-Vorstandssitzung wurde dem Vernehmen nach scharfe Kritik an Laschet geübt. So wurde beklagt, dass CSU-Chef Markus Söder der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre. Dieser stellte sich hinter Laschet und seine Jamaika-Pläne. Man mache Grünen und FDP ein Angebot, aber es werde kein „Anbiedern um jeden Preis“ geben, stellte er klar.
Gewichtige CDU-Politiker distanzierten sich vom Regierungskurs der Spitze. So sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer dem MDR, es gebe keinen klaren Regierungsauftrag für die Union „Ich sehe einen klaren Wählerwillen, der deutlich gemacht hat, die Union ist dieses Mal nicht die erste Wahl“, forderte er ein „Innehalten“ der Partei. „Wenn wir weitermachen wie bisher, dann mache ich mir große Sorgen, was in vier Jahren übrig bleibt.“
FDP-Politiker warben indes dafür, dass Liberale und Grüne gemeinsam für Reformen in Deutschland sorgen. Sie seien der mögliche „Veränderungsmotor der deutschen Politik“, sagte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer. FDP-Präsidiumsmitglied Marco Buschmann sagte, er würde es begrüßen, wenn sich die beiden Parteien „nicht auseinanderdividieren ließen“. FDP-Generalsekretär Volker Wissing signalisierte Kompromissbereitschaft gegenüber der SPD. Die liberalen Vorschläge ließen sich auch schrittweise umsetzen. Der FDP gehe es um Inhalte. „Wir wollen niemanden ins Kanzleramt hieven“, versicherte er. Zugleich wies er darauf hin, dass die Union in früheren schwarz-gelben Regierungen Reformen verhindert habe. Nun sei die FDP nicht mehr bereit, sich „ausbremsen“ zu lassen.
Nach dem vorläufigen Ergebnis verbesserte sich die SPD bei der Wahl am Sonntag auf 25,7 Prozent (2017: 20,5). Die Union dagegen erlebte ein historisches Debakel, sie kommt nur noch auf 24,1 Prozent (32,9). Die Grünen erzielten mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ihr bisher bestes Ergebnis, blieben mit 14,8 Prozent (8,9) aber hinter den Erwartungen zurück. Die FDP verbesserte sich auf 11,5 Prozent (10,7).
Die AfD, bisher auf Platz drei, kommt nur noch auf 10,3 Prozent (12,6). In Thüringen und Sachsen wurde sie aber stärkste Partei. Die Linke rutschte auf 4,9 Prozent ab (9,2) und konnte nur dank dreier Direktmandate wieder in den Bundestag einziehen. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow kündigte am Montag einen Neustart der Partei an und wertete die „schwere Niederlage“ als „letzte Chance“ für Linke.
Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit erheblich. Die Sitzverteilung sieht so aus: SPD 206 (2017: 153), CDU/CSU 196 (2017: 246), Grüne 118 (67), FDP 92 (80), AfD 83 (94), Linke 39 (69). Der Südschleswigsche Wählerverband, als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, zieht mit einem Abgeordneten in den Bundestag ein. Dem neuen Bundestag wird somit eine Rekordzahl von Abgeordneten angehören. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,6 Prozent auf dem Niveau der vergangenen Wahl (76,2).