DJ Ötzi wagt mit neuem Album den „Schritt in den Mut“
Seit mehr als 20 Jahren ist er fixer Bestandteil der heimischen Musikszene. Nun legt Gerry Friedle alias DJ Ötzi mit „Lebensgefühl“ nicht nur eine Autobiografie vor, sondern hat erstmals auch eigene Lieder geschrieben, die auf seinem neuen Album „Sei du selbst - Party 2.0“ zu finden sind. Sorgt seine Bühnenfigur in erster Linie für gute Stimmung, lässt er im Buch tief blicken. „Du musst bereit sein, dich zu öffnen“, sagt Friedle.
„DJ Ötzi steht dafür, dass es den Leuten gut geht“, unterstreicht der Musiker im APA-Interview. „Aber ich brauche für mich auch den Ausgleich, dass ich das andere miteinbringen darf.“ Sowohl die Songwriter- als auch die Schriftstellerambitionen seien zufällig entstanden. „Da ist nichts konstruiert oder strategisch aufgebaut, es ist passiert.“ Am Album hat er mit Tim Peters und Paul Falk gearbeitet, die ihn aufgefordert hätten: „Hey Alter, jetzt erzähl nicht nur, sondern schreib mit uns! Da hat eins dann zum anderen geführt.“
Eine Herausforderung für jemanden, der bisher oft auf Platz 1 der Charts landete. „Es ist ja nicht sicher, dass es etwas Gutes ist“, gibt sich Friedle nachdenklich. „Das ist wahrscheinlich die größte Angst. Einen Hit kannst du nicht schreiben, der passiert dir.“ Früher habe er fremde Kompositionen „energetisch aufgeladen“, nun geht der Blick nach innen. „Natürlich begebe ich mich in die Gefahr, dass es nicht erfolgreich sein könnte. Andererseits fühlt es sich total richtig an, es zu machen. Es ist der Schritt in den Mut. Ich bin ja auch in meinem Gefühl oft über den Tellerrand hinaus denkend und fühlend.“
Musikalisch müssen Fans von DJ Ötzi aber keine Drehung um 180 Grad erwarten - immer noch regieren großteils pumpende Beats, bunte Farben und knallige Chöre. Aber auch ruhigere Momente finden Platz, etwa das seinem verstorbenen Vater gewidmete „Nach all den Jahren“: „Da habe ich mich schon gefragt: Wie weit kann ich gehen? Das ist ja kein Dreck, wenn du dich so offenbaren willst. Die Leute sollen das ja als Inspiration hernehmen können.“ Schließlich trage jeder seinen persönlichen Rucksack. „Vielleicht wird der dadurch etwas leichter. Dieses Chaos, in dem wir uns befinden, relativiert sich ja nicht von heute auf morgen. Wir müssen echt durch eine harte Phase durch.“
Womit man auch schon beim Buch angelangt ist: Dessen erstes Drittel behandelt die Kindheit und Jugend von Friedle, die alles andere als einfach war. „Ich war ja schon durch“, verweist er auf seine Verarbeitung des Erlebten. „Die Depression hatte natürlich mit der Aufarbeitung zu tun, weil du in den Schmerz gehen musst, um ihn loslassen zu können. Ich habe die Bilder schon bunt gemalt.“ Alles nochmals durchleben zu müssen, sei schwer gewesen. „Ich dachte zunächst, das schaffe ich nicht. Ich habe ja zehn Jahre gebraucht, um es verarbeiten zu können.“
Noch jetzt frage er sich manchmal, ob es die richtige Entscheidung war, das Buch zu schreiben. „Ich will gerne Ja sagen“, überlegt Friedle. „Dann denke ich mir: Es gibt Leute, die mir zuhören und mich mögen. Sie sollen verstehen, wohin ich will. Dass man die Vergangenheit hinter sich lassen sollte, das Gelernte mitnehmen und in der Gegenwart leben. Es lohnt, an sich zu arbeiten und an sich zu glauben.“
Mehrfach appelliert Friedle im Buch an seine Leser, Bildung als Gut hochzuhalten. „Ich war so abhängig von anderen“, erläutert er. „Ich sage auch immer zu meiner Tochter: Bitte, bitte lern! Du sollst nicht die Zeit der Abhängigkeit haben, sondern der Freiheit und Kreativität. Die Kinder sollen lernen dürfen und zwar von solchen Lehrern, die wirklich mit Emotionen etwas weitergeben können. Sie sollen Herzensbildung mitgeben!“
An einer Stelle schreibt Friedle „Ich möchte die Welt gestalten können“. Hat er das nach eigener Ansicht geschafft? „Sagen wir so: Ich darf meine Welt ein bisschen bunter machen. Und wenn die Leute bei mir sind, mich hören und sehen, dann können sie einen guten Gedanken haben: Er hat es durchgezogen, er hat an sich geglaubt, das kann ich auch! Wenn das passiert, dann gestalte ich schon. Das hat aber nichts mit Gerry oder DJ Ötzi zu tun. Ich bin ja nicht der Mutmacher, das können die Leute nur selbst sein.“
Als Künstler, aber auch als Mensch müsse man Fehler machen dürfen. „Lass mich scheitern, bitte!“, ruft Friedle aus. „Wenn du keine Fehler machst, kannst du gar nichts daraus lernen. Es erzählt dir zwar jemand was, aber du verstehst es nicht.“ Seine Musik solle die Menschen letztlich bestärken in dem, wie sie sind. „Egal, ob du hetero- oder homosexuell bist, egal, welche Hautfarbe du hast, du bist wichtig! Du bist wertvoll, du bist ein Teil von uns. Deswegen kann ich nicht verstehen, dass sich die Leute so auseinanderdividieren lassen.“ Nicht nur als DJ Ötzi wolle er das Gegenteil vorleben.
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
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