Textfluss und Bilderflut: Jelinek am Schauspielhaus Graz

Die Premiere hätte im November 2020 sein sollen. Der zweite Lockdown verhinderte sie. Nun kam Franz-Xaver Mayrs Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ endlich im Haus Eins des Grazer Schauspielhauses auf die Bühne. Frisch aufgebügelt wirkt sie wie neu. In der langen Lagerung sind offenbar keine Motten an das Stück zum Thema Mode und Modeindustrie gekommen. Das verhinderten auch die langen Plastikbahnen auf der Bühne.

Jelinek und Mode - das war immer ein dankbares Thema, für die Presse und für die Autorin selbst. 2012 standen in „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“ die Münchner Maximilianstraße und ihre Modeboutiquen im Mittelpunkt eines Stückes. In „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“, 2017 in Düsseldorf uraufgeführt, geht es nun um noch mehr: um unsere Wünsche und eine Industrie, die diese Wünsche weckt und am Leben erhält, um die Käufer und die Produzenten, um Profit, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Um die Faszination für Mode bei gleichzeitiger Ablehnung der Mechanismen der Mode- und Textilindustrie.

Bei der Österreichischen Erstaufführung 2018 in Linz setzte Katka Schroth auf einen wahren Wühltisch: Tüllrock und Ringelstrümpfe, Unterwäsche und Ballkleider, Herrenanzüge und Werbe-T-Shirts, Bommel-Hauben und Zipfelmützen machten damals zu Jelineks Text ein wahres Schaulaufen. In Graz wird die Bühne dagegen weniger zum Laufsteg, sondern zum vieldeutigen Kunstraum. Das beschert dem zweistündigen Abend viele schöne, rätselhafte Bilder mit einem leichten Hang zur Beliebigkeit.

Dennoch nimmt diese Jelinek-Inszenierung endlich wieder einmal die spezifische Sprache der Nobelpreisträgerin ernst. Hier bricht die Textflut kaskadenartig und nahezu ungezügelt über die Zuschauer herein, in Bahnen gelenkt nur durch strengen Rhythmus und Herausarbeiten von Pointen, Kalauern und Assoziationen. Das zehnköpfige Ensemble beeindruckt in Sprechtempo und Textverständnis. Hier weiß jeder, was er spricht. Für Schauspieler wie für das Publikum bedeutet das: volle Konzentration! Denn jede Sekunde kann Heidegger oder Gisele Bündchen, Euripides oder Roland Barthes um die Ecke biegen, eine Statistik (ein T-Shirt wird durchschnittlich 1,4 Mal getragen) oder ein aktuelles Zeitgeschehen in den Text eingeflochten werden.

Mayr hat Textblöcke herausgebrochen und aufgeteilt. Meist werden sie konzentriert und im zungenbrecherischen Schnellsprech frontal ins Publikum vorgetragen. In einem hohen, von langen Plastikbahnen (zuerst in Grau, dann in Weiß) begrenzten Bühnenraum sorgen Sounddesign (Matija Schellander), Lichtdesign (Thomas Trummer) und Videodesign (Conny Zenk) für Künstlichkeit. In sie wird eine Bilderflut komponiert, die strikt vermeidet, das Gesagte zu illustrieren. Gearbeitet wird mit Witz, Nonsense und Verrätselung.

Ein bis auf ein vorgehaltenes Tüchlein nackter Mann (Oliver Chomik) beginnt den Abend. Bald wird er vom Tod verfolgt. Ein anderer bekommt auf einer Liege etwas auf eine Po-Backe tätowiert. Die Tattoo-Stecherin entpuppt sich als Opernsängerin (Johanna Sophie Baader). Eine Frau (Evamaria Salcher) nähert sich zwei Nähmaschinen, verursacht dabei einen Kurzschluss und steckt fortan mit einer Hand in den Maschinen fest. „Was kann ich? Nähen nicht. Was kann ich nicht? Nähen“, heißt es dazu. Ein Demonstrationszug trägt Farbtafeln mit sich. Zwei junge, langhaarige Männer laufen lange im Kreis und zählen im strengen Rhythmus bis zweihundertundirgendwas.

Die Bilder werden immer mysteriöser, mythischer: Ein auf einem Tisch liegender Mann wird aus Kübeln mit einem weißen Material zugeschüttet. Eine Prozession schwarzgekleideter Gestalten wird von zwei bunten Figuren begleitet, die wie Derwische zu tanzen beginnen. Drei weiße Gestalten mit Pestschnäbeln hantieren mit einer Scherengitter-Schere, während die Sängerin auf einem Stein aus einem weißen Material ein Männchen formt. Am Ende landen alle in der Sauna, und der bereits eingangs projizierte Text erscheint erneut: „Es ist später als du denkst.“

Das alles erinnert an Romeo Castellucci, der kürzlich in Salzburg „Don Giovanni“ in seiner Bilderflut ertrinken ließ, und erzeugt immer wieder eine Magie, die darauf verweist, dass Mode niemals nur Bekleidung ist, sondern immer auch Allegorie. Ihre Aussagen sind vieldeutig und mitunter verwirrend. Franz-Xaver Mayer demonstriert, wie sein Lieblingssatz im Stück lautet: „Sie haben nicht die Wahl, sie haben nur die Auswahl.“

Für Elfriede Jelinek war dagegen diesmal nichts dabei: „Am liebsten ließe ich nur Plüschtiere, also Schauspielerinnen und Schauspieler als Plüschtiere auftreten, aber nie werde ich das bekommen!“, heißt es in ihrer Regieanweisung zum Stück. Dennoch darf sie zufrieden sein. Wie der Großteil des Publikums auch: Starker Applaus.

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