Trauerbewältigung mit „Orphée et Eurydice“ in der Kammeroper
Statt der Lyra eine E-Gitarre, statt dem Hades ein Hospiz und statt einer kostümierten Hosenrolle ein heutiges lesbisches Paar: In der Wiener Kammeroper wurden „Orphée et Eurydice“ von Christoph Willibald Gluck am Samstagabend als Gegenwartsfiguren zum Leben - und Sterben - erweckt. Für die Erzählung des Stoffes als kompaktes Psychodrama über Trauerbewältigung nach dem Tod der Geliebten konnte Regisseur Philipp M. Krenn auf drei junge Sängerinnen in Topform setzen.
Eben noch waren die beiden verliebten, jugendlichen Frauen mit der Vespa in Wien unterwegs, machten Selfies am Donaukanal, raunten sich auf Italienisch und Französisch (die zwei Fassungen der Oper wurden auch sprachlich zu einer gemixt) Liebesworte zu. Doch als der Vorhang sich öffnet, liegt Eurydice im Sterben, begleitet von Familie und Freunden beim assistierten Suizid im Hospiz. Fünf Phasen hat die Trauerarbeit, weiß der Küchenpsychologe heute - die antiken Griechen haben sie mythologisch etwas umfassender erdichtet.
Der unselige Deal mit dem Liebesgott, der Orphée in eine medikamentös induzierte „Unterwelt“ schickt, gehört jedenfalls klar zu Phase eins, Leugnen. Auf der kleinen Bühne der Kammeroper ist die Unterwelt nämlich nichts anderes als dasselbe Zimmer im Hospiz, nur dass es sich plötzlich in ein etwas kindisch anmutendes Zombieland verwandelt hat. Bewaffnet mit der E-Gitarre findet Orphée die Geliebte wieder lebendig vor, darf sie aber wegen der kruden Regeln des Deals nicht anschauen.
Mit fast zwei Jahren Corona-Verspätung hat die Produktion von Krenn und Dirigent Raphael Schluesselberg nun doch noch Premiere gefeiert. In kaum etwas mehr als einer Stunde hat man den archetypischen griechischen Mythos, der so viele Opern inspiriert hat, als handgemachtes Teenie-Drama von nebenan verdaut. Das ist nicht ungeschickt, aber auch nicht wahnsinnig eindrucksvoll. Dass die drei jungen Frauen aber schon so reif, berührend und vielschichtig singen können, durfte manche szenische Dürftigkeit mehr als aufwiegen.
Sofia Vinnik (als Orphée) verfügt über einen an Farben und Texturen reichen Mezzo und findet mit dem vollrunden Sopran von Ekaterina Protsenko (Eurydice) in innigen Duo-Klang. Miriam Kutrowatz sorgt als derber, kaugummikauender Amor ganz in Schwarz für eine veritable Ton-Bild-Schere mit der engelshaften Schwerelosigkeit ihres Sopran. Ebenso wie Vinnik ist sie Teil des Jungen Ensembles Theater an der Wien, im Graben musizierte das Bach Consort Wien.
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