„Herzensanliegen“: Außenminister Linhart reist nach Sarajevo

Seit Dienstag im Amt ist Österreichs neuer Außenminister Michael Linhart am Donnerstag und Freitag bereits in diplomatischer Mission unterwegs. Seine erste Reise als Ressortchef führt den bisherigen Botschafter in Paris nach Sarajevo, wo er neben dem ethnisch besetzten dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina auch Außenministerin Bisera Turkovic sowie den Hohen Repräsentanten, Christian Schmidt, oder den EUFOR-Kommandanten Alexander Platzer treffen wird.

Im Vorfeld der Reise sprach der 63-jährige Karrierediplomat von einem Besuch bei „unseren Nachbarn, Freunden und hoffentlich auch in absehbarer Zeit Verbündeten innerhalb der Europäischen Union“. Er werde nämlich das Engagement Österreichs für den Beitritt der Westbalkanstaaten zur EU „ungebremst fortführen“, ließ Linhart wissen. „Das ist nicht nur eine österreichische Tradition, sondern ein Herzensanliegen und ein Schwerpunkt meiner Außenpolitik.“

Damit setzt der ÖVP-Minister die bisherige Linie der türkis-grünen Regierung fort, die sich stets als Mentorin einer Erweiterung der EU um die Staaten des Westbalkans (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien) präsentiert hatte. Hintergrund ist auch die Sorge, dass bei einer mangelnden oder schwindenden EU-Perspektive in diesen Ländern der Einfluss Chinas, Russland oder der Türkei weiter steigen könnte.

Im zu 45 Prozent muslimisch geprägten Bosnien-Herzegowina war zudem in manchen Landesteilen bereits während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) und danach ein „starker Einfluss von gewissen arabischen Ländern und Salafisten“ bemerkbar, wie etwa 2015 anlässlich eines Besuchs des damaligen Außenministers Sebastian Kurz (ÖVP) festgehalten wurde. Bedeutsam war insbesondere der Impakt Saudi-Arabiens, der sich nicht zuletzt durch die Finanzierung zahlreicher Moscheen bemerkbar machte. Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Jihadismus ortete das Außenministerium (BMEIA) rund 700 „Foreign Fighter“, die aus dem Westbalkanstaat stammten.

Seit dem Friedensabkommen von Dayton (1995) besteht Bosnien-Herzegowina aus zwei Landesteilen, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska (Serbische Republik). Zahlreiche Entscheidungen können nur mit Zustimmung der drei Hauptvolksgruppen gefällt werden. Das komplizierte Staatsgebilde lähmt das Land. Zudem machen sich die Spannungen zwischen den drei Volksgruppen, den (muslimischen) Bosniaken, den (katholischen) Kroaten und den (orthodoxen) Serben, auch im politischen Alltag immer wieder bemerkbar.

So nahm die Regierung im Juli dieses Jahres einen Vorschlag von Außenministerin Turkovic, die der bosniakisch (muslimisch) dominierten Partei der Demokratischen Aktion (SDA) angehört, für einen landesweiten Trauertag in Erinnerung an die Opfer des Massakers von Srebrenica nicht an. Das Ansinnen wurde von vier Ministern aus den Reihen der serbischen Volksgruppe nicht unterstützt. Seit Mittwoch ist zudem in der Republika Srpska die Leugnung von Völkermord wieder erlaubt. Es wurde vom bosnisch-serbischen Entitätsparlament ein Gesetz, eine Ergänzung des gesamtbosnischen Strafgesetzes nicht umzusetzen. Diese betrifft das Verbot von Genozidleugnung. Der frühere internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko hatte kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit Ende Juli die Leugnung des Völkermords landesweit untersagt und strafbar gemacht.

Auf Genozidleugnung waren Haftstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vorgesehen. Dies bezieht sich allem voran auf den Völkermord von Srebrenica. In der ehemaligen ostbosnischen muslimischen Enklave waren von bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1995 rund 8.000 Männer ermordet worden. Die Republika Srpska und auch Serbien lehnen es ab, das Massaker als Völkermord zu bezeichnen.

Linhart wird in Sarajevo nach einem Gespräch mit der sozialdemokratischen Bürgermeisterin Benjmanina Karić am Donnerstag auch mit den Vertretern des Staatspräsidiums (Freitag) zusammenkommen. Den Vorsitz hat seit Ende Juli der Kroate Željko Komšić inne. Weitere Mitglieder sind der Bosniake Šefik Džaferović und der Serbe Milorad Dodik. Zudem wird er am Donnerstag Christian Schmidt treffen. Der CDU-Politiker und ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister hatte Anfang August Inzko im Amt des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina abgelöst. Der Kärntner Slowene hatte das Amt 12 Jahre lang innegehabt.

Einige Jahre zuvor war mit Wolfgang Petritsch von 1999 bis 2002 bereits ein weiterer Kärntner Diplomat in dieser Position gewesen. Dass Österreich in dem Westbalkanstaat durchaus etwas mitzureden hat, zeigt sich auch darin, dass Österreich seit 2009 den Kommandanten der EUFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina stellt, aktuell in Person von Generalmajor Alexander Platzer. Österreich verfügt aktuell mit rund 300 Soldatinnen und Soldaten über das größte Kontingent innerhalb der EUFOR/ALTHEA-Mission.

Zur Zeit beteiligen sich 14 EU-Länder und fünf Nicht-EU-Staaten an der Friedensmission. Die Soldaten helfen der Bevölkerung beim Wiederaufbau ihres Landes und gewährleisten ein sicheres Umfeld. Das Österreichische Bundesheer ist seit 1996 Mitglied der internationalen Friedenstruppe in Bosnien und Herzegowina. Seit Dezember 2004 stehen die österreichischen Soldaten unter dem Kommando der EU. Das Hauptquartier befindet sich in Sarajevo.

Auch der EU-Sonderbotschafter Johann Sattler kommt aus Österreich. Während das aktuelle EU-Vorsitzland Slowenien, Österreich oder Deutschland die Westbalkan-Erweiterung nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse forcieren, ist sie EU-Granden wie Frankreich kein primäres Anliegen. Als besonders heikel gilt, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien bereits seit rund einem Jahr von Bulgarien aus innenpolitischen Gründen blockiert wird - und das obwohl eigentlich bereits im März 2020 ein klarer EU-Beschluss für den Start von Verhandlungen getroffen wurde.

Zudem ist Österreich ein sehr wichtiger Investor in Bosnien-Herzegowina und ein bedeutender Wirtschaftspartner. Allerdings ist Bosnien-Herzegowina das einzige Land in der Region, mit dem Österreich ein Handelsbilanzdefizit aufweist. Durch die Coronakrise gab es freilich erhebliche Einbußen sowohl bei den Importen als auch bei den Exporten. Das Handelsvolumen blieb 2020 knapp über der Grenzmarke von einer Milliarde Euro.

Laut Wirtschaftskammer war 2021 aber ein deutlicher Aufschwung zu spüren. So stiegen die österreichischen Exporte in der ersten Jahreshälfte um 18,5 Prozent gegenüber den ersten sechs Monaten 2020 auf 242,4 Millionen Euro, während gleichzeitig die österreichischen Einfuhren um 20,2 Prozent auf EUR 345,4 Millionen zulegten. Um den Aufwärtstrend zu pushen wird Außenminister Linhart im Rahmen seines Besuchs auch Termine im Rahmen des vom Außenministerium propagierten Post-Corona-Wiederaufbauprojekts „ReFocus Austria“ absolvieren.

Zuletzt sah die ÖVP-Grünen-Regierung den Westbalkan aber auch im Zentrum des Kampfs gegen illegale Migration. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte Ende September nach zwei Reisen in die Region eine sogenannte Rückführungs-Konferenz an. Diese soll gemeinsam mit Slowenien abgehalten werden - noch im Jahr 2021. Die Botschaft lautet laut dem ÖVP-Innenminister „Macht euch nicht auf den gefährlichen Weg, es gibt hier keine Bleibeberechtigung, es macht keinen Sinn.“

Der 1958 in Ankara (Türkei) geborene Michael Linhart entstammt einer Diplomatenfamilie und macht nach der Matura in Vorarlberg seit 1986 selbst im Außenministerium Karriere. Unter anderem bekleidete er Botschafter posten in Damaskus (Syrien), Athen (Griechenland) und zuletzt eben in der französischen Hauptstadt Paris. Da er von 1995 bis 2000 im Kabinett des damaligen ÖVP-Außenministers und späteren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel auch als außenpolitischer Berater wirkte, ist seine politische Heimat klar abgesteckt.

Er leitete aber auch die Austrian Development Agency (ADA) und war ab 2013 als Generalsekretär ranghöchster Beamter im Außenministerium. Unter der FPÖ-Ministerin Karin Kneissl (2017-2019) wurde er aber durch Johannes Peterlik ersetzt. Der Rochade lagen dem Vernehmen nach auch persönliche Zwistigkeiten zugrunde. So klagte Kneissl in einem ihrer Bücher sinngemäß, Linhart habe sie bei einem früheren Engagement an der Botschaft in Syrien bei einem Konsularfall im Stich gelassen. Am Dienstag wurde der 63-Jährige als Nachfolger des zum Bundeskanzler avancierten Alexander Schallenberg zum Außenminister angelobt. Dieser hatte während seiner Zeit als Außenminister mehrfach Akzente in Richtung Westbalkan und Bosnien-Herzegowina gesetzt, etwa mit umfangreichen Spenden von Corona-Impfdosen.

Linhart selbst skizzierte am Dienstag vor dem Nationalrat im Parlament seine Leitlinien. Der Karrierediplomat erklärte dabei, er wolle die Stimme erheben „für Menschenrechte“, „gegen jegliche Form des Antisemitismus“, „für eine starke transatlantische Partnerschaft und für friedliche Lösungen““Herzen. Bezüglich Afghanistan und der Machtübernahme durch die radikal-islamistischen Taliban warnte der Neo-Minister vor einem „sicherheitspolitischen schwarzen Loch“.

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