„Peter Grimes“ im Theater an der Wien erneut gefeiert
Die Britten-Festspiele in Wien gehen weiter: Nachdem vor kurzem die Neue Oper mit dem letzten Werk des Komponisten, „Death in Venice“, einen Erfolg einfuhr, legte Samstagabend das Theater an der Wien mit der ersten großen Britten-Oper nach - „Peter Grimes“. 2015 hatte die Inszenierung von Christof Loy ursprünglich Premiere und wurde zuletzt vom Publikum unter die Top-3 der Ära Roland Geyer gewählt. Nun also die Wiederaufnahme in der letzten Saison des scheidenden Intendanten.
Nach Claus Guths szenischer Umsetzung des Händel-Oratoriums „Saul“ und Robert Carsens „Platée“ ist die Loy-Arbeit nun die Letzte aus dem Triumvirat, die als Farewell nochmals zu sehen ist - und das vollkommen zu recht. Loy, der seit der Rückwandlung des Theaters an der Wien vor 15 Jahren für zwölf Neuproduktionen verantwortlich zeichnete, bringt das, was Benjamin Britten 1945 zwischen den Zeilen belassen hat, auf die Bühne.
Peter Grimes, der Fischer, dessen letzter junger Gehilfe unter unklaren Umständen zu Tode gekommen ist, nimmt erneut einen Lehrling auf. Dass er in der Dorfgemeinschaft primär deshalb Außenseiter ist, weil schwul, deutet Britten, der die Titelpartie für seinen Lebensgefährten Peter Pears schrieb, nur an. Loy artikuliert hier klarer, ohne plakativ zu werden.
Grimes ist bei Loy mehr als in den meisten Inszenierungen Gefangener seiner selbst, ist aus Selbsthass zum brutalen Misshandler seiner Schutzbefohlenen geworden, der mit ihnen sein eigenes Sein unterdrückt. Diese ambivalente Figur wird erstmals von Eric Cutler ebenso wuchtig wie verletzlich interpretiert. Stimmlich wie darstellerisch gelingen dem 46-jährigen US-Amerikaner große Momente einer Fragilität, die sich hinter Gewalt verbirgt. Er geht in einen berührenden Pas de deux mit seinem Gehilfen John, dessen stumme Partie erneut vom polnischen Tänzer Gieorgij Puchalski in starker Körperlichkeit interpretiert wird.
Ebenso wieder im Ensemble findet sich auch die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz als Lehrerin Ellen. Und auch hier gelingt eine differenzierte Charakterzeichnung der unglücklich in Peter Verliebten, die das Drama nicht aufhalten kann. Dies gilt schließlich auch für Andrew Foster-Williams‘ Balstrode, der ebenfalls Vertrauter von Peter Grimes ist und doch mit seinen eigenen Wünschen in einer von Konventionen gezeichneten Gesellschaft reüssieren muss.
Christof Loy gelingt dieser mikroskopisch fundierte Blick, indem er die konzertanten Zwischenspiele Brittens für pantomimische Theaterstücke nutzt, welche den Charakteren zusätzliche Schichten verleihen. Dabei ist die Bühne leer, stürzt steil in Richtung Orchestergraben ab, an dessen Rand sich das beinahe kippende Bett Peter Grimes findet - der Tatort. Eigentliche Räume werden indes ausschließlich vom Schoenberg-Chor geschaffen, wodurch sich der Fokus umso mehr auf die Figuren lenkt.
Eine reife Leistung lieferte auch der junge deutsche Dirigent Thomas Guggeis, seit vergangenem Jahr Staatskapellmeister der Berliner Staatsoper Unter den Linden, am Pult des RSO ab. Er unterstreicht die klaren, abgegrenzten Strukturen der Musik, ohne zu sehr auf einen übergreifenden Bogen zu zielen. Unter seiner Leitung türmt das Orchester hemmungslos die schroffen Klippen der Partitur als Widerspiegelung der inneren und äußeren Konflikte auf, um diese alsbald in sanfte Gewässer zu führen. Und am Ende antwortete das Publikum mit einem Applaussturm.
)