Merkel mit stehendem Applaus bei EU-Gipfel verabschiedet
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bei ihrem wohl letzten EU-Gipfel mit stehendem Applaus verabschiedet worden. Nach einer Dankesrede von Ratspräsident Charles Michel erhoben sich am Freitag die anderen Staats- und Regierungschefs und applaudierten der mit Abstand dienstältesten Regierungschefin, wie ein EU-Diplomat mitteilte. Michel betonte in seiner Ansprache, ein Gipfel ohne Merkel sei wie „Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eiffelturm“.
Nach Angaben von Diplomaten wurde bei einer kleinen Abschiedszeremonie am Freitagvormittag ein rund zweiminütiges Video mit Gipfelszenen aus den vergangenen 16 Jahren gezeigt. Merkel sei darin auch mit zahlreichen schon lange nicht mehr amtierenden Staats- und Regierungschefs zu sehen, hieß es. So zum Beispiel mit dem 2019 gestorbenen französischen Präsidenten Jacques Chirac und dem früheren britischen Premierminister Tony Blair.
Zudem bekam Merkel den Angaben zufolge von EU-Ratspräsident Charles Michel zur Erinnerung eine Skulptur des Europagebäudes überreicht. Dieses ist seit 2017 der Hauptsitz des Europäischen Rates und des Rates der EU. Über mindestens ein weiteres Geschenk schwiegen sich Teilnehmer der Abschiedsfeier zunächst aus.
In ihren fast 16 Amtsjahren nahm Merkel an 107 Gipfeln teil, wie Michel den Angaben zufolge vermerkte. In seiner emotionalen Ansprache sagte der Belgier demnach, die EU werde Merkels „Weisheit“, „Nüchternheit“ und Vermittlungsgeschick noch vermissen, „besonders in schwierigen Zeiten“.
Auch mehrere Staats- und Regierungschefs sprachen Merkel ihre tiefe Anerkennung aus. „Es ist eine große Person, die uns verlassen wird“, sagte der luxemburgische Premier Xavier Bettel am Rande des Treffens in Brüssel am Freitag. „Frau Merkel war so eine Kompromissmaschine.“ Wenn es bei Gesprächen nicht weiterging, habe Merkel es immer geschafft, noch etwas zu finden, um alle zu verbinden.
„Das ist jemand, die 16 Jahre lang Europa wirklich gezeichnet hat“, sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda sagte, Merkel sei oft ein Stabilisierungsfaktor gewesen, wenn es schwierig gewesen sei. Besonders während der hitzigen Verhandlungen im Sommer 2020 zum mehrjährigen EU-Finanzrahmen und dem Corona-Rettungspaket habe Merkel interveniert, um eine gemeinsame Lösung zu finden.
Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) nannte Merkel einen „Ruhepol innerhalb der Europäischen Union“. Er erklärte: „Sie wird eine Lücke hinterlassen“. Für Österreich sei wichtig zu wissen, wo Deutschland stehe. Merkel sei „zweifellos eine große Europäerin“, sagte er.
Bettel machte deutlich, dass der nächste deutsche Bundeskanzler in große Fußstapfen treten werde. „Ich freue mich auf eine Arbeit mit der neuen Regierung“, sagte Bettel. Merkel hinterlasse jedoch eine „sehr große Lücke“, sagte er, „Europa wird sie vermissen“. De Croo betonte: „Wir hoffen natürlich, dass wir einen neuen Kanzler oder (eine) Kanzlerin haben werden, der oder die die wichtige Rolle übernehmen wird, die Deutschland in Europa spielt.“
Ganz sicher ist es unterdessen nicht, dass der noch bis Freitagnachmittag laufende EU-Gipfel wirklich der letzte mit Merkel ist. Sollte der Zeitplan der Ampel-Koalitionsverhandlungen in Berlin aus dem Ruder laufen, könnte die CDU-Politikerin zum nächsten Treffen Mitte Dezember doch noch einmal nach Brüssel zurückkehren.