Nach Terroranschlag wurde „größter Tatort Wiens“ untersucht

Ein Jahr nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien haben am Donnerstagnachmittag die Polizeieinheiten, die vor allem mit der Tatortarbeit beschäftigt waren, Resümee gezogen. Der stundenlange Einsatz am „größten Tatort von Wien“, der hochkonzentriert und akribisch abgehandelt wurde, war auch für die Einheiten im ersten Moment „unwirklich“, wie sie bei einem Pressetermin in der Rossauer Kaserne berichteten.

Es sei herausfordernd gewesen, aus der Übung heraus nun mit der Realität konfrontiert zu sein, wie etwa einer der Entschärfer berichtete. Seit Juni 2013 ist der Entschärfungsdienst (ESD) des Innenministeriums beim Einsatzkommando Cobra in der Direktion für Spezialeinheiten (DSE) angesiedelt. Im Zuge dessen wurde der ESD auch mit modernster Technik ausgestattet.

Denn am Anfang gab es beim Wiener Terroranschlag lediglich die Information eines „möglichen Terroristen mit Sprengstoffgürtel“. Wie sich später herausstellte, handelte es sich nur eine Attrappe, doch für die Polizisten war das auf den ersten Blick überhaupt nicht zu sehen. Obwohl der Attentäter, der vier Menschen getötet hatte, bereits nach neun Minuten von Beamten der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA) „neutralisiert“ werden konnte, lag der tote Terrorist stundenlang am Fuße der Ruprechtsstiege. Zwar konnte der Mann mithilfe eines Roboters fotografiert und identifiziert werden, doch war sich der Entschärfungsdienst (ESD) nicht sicher, ob er nicht Sprengstoff bei sich hatte.

Zwei dieser sogenannten Fernlenkmanipulatoren - der kleine Roboter „Telemax“ und der große Roboter „Teodor“ - wurden eingesetzt und der Körper des Terroristen sowie seine Umhängetasche untersucht. Ins Detail wollten die Einheiten aus kriminaltaktischen Gründen und weil es sich noch um laufende Ermittlungen handelt nicht gehen. Verraten wurde aber, dass die Annäherung der Roboter aus Sicherheitsgründen recht lange gedauert habe. Etwa als die Tasche des Attentäters von „Teodor“ angehoben wurde, musste das Gerät die Bewegung sofort einfrieren, erklärte der Entschärfer im APA-Gespräch, um keinen Bewegungsauslöser zu aktivieren oder andere Sprengfallen zu vermeiden. Dann fuhr „Telemax“ heran und filmte den Inhalt der Tasche, in der sich eine weitere Waffe und ein Magazin befanden.

Der kleine Roboter ist für die Feinmotorik zuständig, er konnte etwa die Reißverschlüsse der Tasche öffnen. „Der kann sogar den Verschluss einer Flasche aufdrehen“, sagte der Entschärfer. „Telemax“ wurde nach Roboterkämpfen entwickelt, „Teodor“ kommt aus dem militärischen Bereich und war für die Minenräumung zuständig. Eines dieser Geräte kostet rund 300.000 Euro. Der ESD besitzt insgesamt sieben Stück. Hätte sich der Sprengstoffgürtel als echt erwiesen, hätte er mithilfe der Roboter aus dem Gefahrenbereich gebracht und sicher gesprengt werden müssen. Auch eine Absicherung durch Splitterschutzdecken und Sandsäcke als Mauer wäre im Notfall möglich gewesen.

Nachdem der Tatort beim Anschlag vor einem Jahr abgesichert war, kam ein sprengstoffkundiger Beamte zu dem Attentäter, um auch das Restrisiko zu minimieren. Der Polizist trug einen 50 Kilogramm schweren Anzug samt Helm. Die Bewegungsfreiheit und die Sicht war dadurch schwer eingeschränkt. Der Anzug würde der Detonation einer Handgranate durch die eingelegten Stahlplatten aushalten. Gehen über ein halbes Kilogramm Sprengstoff in die Luft, dann hält der Anzug der Druckwirkung nicht mehr Stand, da werde die Lunge regelrecht zerfetzt, sagte der Entschärfer.

Bis 4.00 Uhr waren die ESD-Leute in der Terrornacht damit beschäftigt, den Tatort soweit zu sichern, dass die Spurensicherer ihre Arbeit aufnehmen konnten. Auch in dieser Einheit kam in der Terrornacht eine Errungenschaft zum ersten Mal zum Einsatz. Seit 1. November 2020 wurde die 3D-Laser-Tatortdokumentation eingeführt, nur einen Tag später wurde sie zum ersten Mal verwendet. Spezialisten des Bundeskriminalamtes (BK) können damit den Tatort virtuell, detailgetreu und dreidimensional festhalten. Die Dokumentation wird im Strafverfahren als Beweismittel zugelassen. Damit kann der Tatort noch einmal besichtigt werden, ohne diesen erneut zu betreten.

Alle vier Wiener Tatortgruppen waren in der Terrornacht im Einsatz. „Man funktioniert einfach durch den Adrenalinschub“, sagte die Ermittlerin Sandra Pertl. Es gehe darum, so viele Spuren wie möglich zu sichern, was bei dem riesigen Tatort eine tagelange Arbeit mit sich brachte. Hunderte Hülsen der vom Attentäter verschossenen Patronen wurden sichergestellt. Allein bei den DNA-Spuren wurden fast 600 gesichert. „Die Dimension war keine alltägliche“, sagte Pertl.

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