Wasserlösliche Legende: Rimini-Altar restauriert
Es ist eines der bedeutendsten Kunstwerke des Mittelalters: der sogenannte Rimini-Altar. Christus am Kreuz und zwei Dutzend weitere Figuren, um 1430 gefertigt in einer Werkstatt in den Niederlanden, für einen Auftraggeber in Italien, mit Material aus Deutschland - und genau hier liegt das Problem. „Alabaster ist die Diva unter den Steinen“, sagt Harald Theiss, Leiter der Skulpturenrestaurierung in Frankfurter Museum Liebieghaus, wo das Skulpturen-Ensemble seit 1913 steht.
Es mag aussehen wie Marmor, ist aber eine Art Gips und damit viel empfindlicher. „Wenn es mit Wasser in Berührung kommt, löst es sich auf wie Kandiszucker“, sagt Theiss. Es ist so weich, dass man es mit dem Fingernagel einritzen kann, und auch Hitze mag es gar nicht.
Damit scheiden die üblichen Methoden beim Restaurieren schon mal aus: Weder ein Dampfstrahler noch eine Bürste kommen infrage. Was also tun? Die Arbeit im Liebieghaus begann mit geologischer Recherche. Forscher aus Frankreich bestimmten die Isotope des Materials, suchten nach entsprechenden Vorkommen in der Natur und wurden in Franken fündig. Die Restauratoren besorgten sich Proben von dort und konnten an ihnen verschiedene Verfahren durchtesten.
Am besten funktionierte in Schritt 1 der Laser. „Er kommt ohne Wasser und ohne Druck aus“, wie Theiss erklärt. Schritt zwei kam von dem spanischen Experten Miguel González de Quevedo Ibáñez: Agar Agar, ein pflanzliches Geliermittel, das den gelben Schleier aus dem Alabaster zieht. Aber damit war die Arbeit nicht zu Ende, denn frühere Restaurierungen haben den Figuren Schaden zugefügt.
Schon im Barock müssen die überaus fein gearbeiteten Figuren wohl „im Wasserbad abgeschrubbt“ worden sein, sagt Stefan Roller, Leiter der Abteilung Mittelalter im Liebieghaus. Der „Substanzverlust“ ist unwiederbringlich. Auch im eigenen Haus ging man noch in den 1970er-Jahren nicht nur rabiat vor, sondern griff „aus rein ästhetischen und subjektiven Gründen heraus“ in die Gestaltung ein. Das Kreuz wurde um mehr als einen halben Meter verlängert, fehlende Teile an den Figuren aus Modellgips ergänzt.
Mit den Jahren verfärbten sich die Klebestellen, das Material wurde spröde, die ganze Konstruktion instabil. Wenn der Altar für Wechselausstellungen im Haus bewegt werden musste oder in andere Museen ausgeliehen werden sollte, bekam das Team regelmäßig „einen Nervenzusammenbruch“, wie die Mitarbeiter scherzen. Die Diskrepanz zwischen der enormen kunsthistorischen Bedeutung und dem desolaten Konservierungszustand war nicht länger tragbar: „Wir mussten handeln“, sagt Roller.
Ab November zeigt das Liebieghaus eine Ausstellung über seine „Mission Rimini“ (3. November bis 24. April 2022). Dabei geht es nicht nur um das Material Alabaster und dessen schwierige Restaurierung, sondern auch um die unbekannten Meister der niederländischen Werkstatt, deren Arbeiten in Museen in der ganzen Welt zu finden sind.
Die „Mission Rimini“ hat viele Fragen geklärt, aber nicht alle. Dass die Figuren ursprünglich bunt waren, steht außer Frage, aber welche Teile waren wie bemalt? Waren sie dort, wo der Alabaster zu sehen war, matt oder poliert? Und wie waren die Figuren arrangiert?
Im Liebieghaus hat man sich für eine schlichte, moderne Präsentation entschieden. Bei der Restaurierung wurden nicht nur alle Ergänzungen zurückgenommen. Auch die Teile, die im Original aus anderen Material gefertigt waren fehlen nun: die Stricke, mit denen die Schächer am Kreuz hängen, Lanzen und Schwertschneiden, hölzerne Nägel in Jesus Füßen. Im Mittelpunkt steht der Alabaster.
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