Japaner wählen neues Unterhaus

Die Japaner haben am Sonntag ein neues Unterhaus gewählt: Die liberaldemokratische Regierungspartei LDP, die seit den 50er Jahren fast ununterbrochen an der Macht ist, dürfte wegen der Unzufriedenheit mit der Corona-Politik einige Sitze einbüßen. Anfang Oktober war der frühere Außenminister Fumio Kishida von der LDP nach dem Rückzug von Yoshihide Suga zum Regierungschef gewählt worden, anschließend setzte er den Wahltermin an.

Suga hatte das Amt nach nur einem Jahr unter anderem wegen Kritik an seiner Corona-Politik niedergelegt. Wegen Rekordzahlen bei den Corona-Neuinfektionen hatten die Olympischen Spiele in Tokio ohne Publikum stattfinden müssen. Inzwischen sind die Fallzahlen zurückgegangen und die meisten Restriktionen wurden wieder aufgehoben.

Dennoch gehen manche Analysten davon aus, dass die LDP Schwierigkeiten haben könnte, nach der Wahl ihre Regierungsmehrheit zu behalten. Der 64-jährige Kishida hatte vor seiner Wahl einen Neuanfang sowie massive Corona-Hilfen für die Wirtschaft versprochen, in der Öffentlichkeit steht er jedoch für Kontinuität und eine Fortsetzung der Politik seiner Vorgänger.

Kishida hat auch versprochen, die Mittelschicht zu stärken und gegen die soziale Ungleichheit vorzugehen, die durch die wirtschaftsfreundliche Politik seiner Vorgänger Suga und Shinzo Abe verstärkt wurde. Allerdings blieb er in seinen Plänen für den sogenannten neuen Kapitalismus bisher vage. Die Begeisterung der 106 Millionen Wähler in Japan für den neuen Regierungschef halte sich in Grenzen, sagte Wirtschaftsexperte Stefan Angrick von Moody‘s Analytics.

Das Land steht vor großen Herausforderungen: Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt will nach der Corona-Pandemie zu alter Kraft zurückfinden. Für die Tokioter Wählerin Chihiro Sato hat die Corona-Politik bei ihrer Wahlentscheidung eine wichtige Rolle gespielt. „Die Wirtschaft leidet unter dem Coronavirus“, sagte sie.

Außerdem haben sich die militärischen Bedrohungen in der Region durch Nordkorea und China verstärkt - eine Entwicklung, die den 79-jährigen Wähler Hiroyasu Onishi bei seiner Wahl beeinflusste, wie er sagt.

Für die Parlamentssitze bewarben sich landesweit 1.051 Kandidaten. In der Vergangenheit hatten sich Stimmen gegen die LDP auf mehrere Oppositionsparteien aufgeteilt, diesmal kooperieren aber fünf rivalisierende Parteien. Doch spielt das Wahlsystem nach Einschätzung von Experten der LDP in die Hände.

Eine hohe Wahlenthaltung begünstigt traditionell die LDP. Bei der vergangenen Wahl 2017 war die Wahlbeteiligung mit rund 53 Prozent besonders niedrig. In diesem Jahr lag sie bis zum Nachmittag bei 21,5 Prozent und damit nur geringfügig niedriger als zum selben Zeitpunkt bei der vergangenen Wahl. Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr (Ortszeit, 12.00 UHR MEZ).

Kishida, dessen Zustimmungsraten nur bei rund 50 Prozent liegen, hat als Ziel eine Mehrheit von 233 der 465 Sitze im Unterhaus ausgegeben - einschließlich der Sitze von Koalitionspartner Komeito. Ein solches Ergebnis wäre aber ein deutlicher Rückschlag für die LDP, die bisher 276 Sitze hielt.

Der Regierungschef droht bei einem schlechten Abschneiden den Rückhalt seiner Partei zu verlieren. „Falls die Partei unter Kishida Sitze verliert, beginnt die Uhr in den Köpfen seiner parteiinternen Rivalen zu ticken - nach dem Motto: Vielleicht ist er nur ein Ministerpräsident für ein Jahr“, erläuterte Michael Cucek, Dozent für Asien-Studien an der Temple University. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich nur fünf japanische Ministerpräsidenten fünf Jahre oder länger an der Macht halten können.