Taliban-Chef zeigt sich erstmals in der Öffentlichkeit

Der oberste Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada soll nach Angaben der militanten Islamisten am Wochenende erstmals öffentlich in Afghanistan aufgetreten sein. Er habe eine kurze Rede in einer Koranschule in der südlichen Provinz Kandahar gehalten, sagten zwei Taliban-Sprecher am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Bilder oder Videos von dem Auftritt des von Beobachtern über Jahre für verschollen gehaltenen Taliban-Führers gab es zunächst nicht.

Anhänger der militanten Islamisten teilten einen zehnminütigen Audio-Clip in sozialen Medien, der von Akhundzadas Auftritt am späten Samstagabend stammen soll, wie Vize-Regierungssprecher Inamullah Habibi Samangani und der Informations- und Kultur-Chef der Taliban in Kandahar, Hafiz Saidullah, der dpa bestätigten. Die Tonqualität der Akhundzada zugeschriebenen Aufnahme ist sehr schlecht. Es geht darin nur um religiöse Themen, nicht um politische Inhalte. So werden Verse des Korans gelesen, und es wird dazu aufgerufen, für die Talibankämpfer und ihre Führung zu beten.

Bei dem Besuch seien Smartphones nicht erlaubt gewesen, sagte ein weiterer Taliban-Sprecher. Daher habe keiner der Anwesenden Fotos oder Videos machen können. Akhundzada sei überraschend in Begleitung seines Sohnes und enger Freunde zu Besuch gekommen, sagte ein Mitarbeiter der Koranschule örtlichen Medien. Er (der Mitarbeiter) habe alle Telefone eingesammelt. Kritiker forderten in sozialen Medien, die Taliban sollten ein Video Akhundzadas veröffentlichen, um zu beweisen, dass er tatsächlich noch am Leben sei.

Taliban-Chef Akhundsada trägt den Titel „Anführer der Gläubigen“ („Amir al Muminin“). Seit Vorgänger Mullah Mansour 2016 bei einem US-Drohnenangriff in Pakistan getötet wurde, trifft Akhundzada die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban.

Der als religiöser Hardliner geltende Akhundzada gehört zur Gründergeneration der Bewegung. Inzwischen soll er etwa 60 Jahre alt sein. Dass er auch nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August nicht öffentlich aufgetreten war, befeuerte Spekulationen über seinen Tod. Erst Mitte Oktober hatte es Medienberichte gegeben, er sei bereits im vergangenen Jahr bei einem Angriff im benachbarten Pakistan getötet worden. In anderen Meldungen hieß es, er sei nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben.

Akhundsada soll nach der Machtübernahme der Taliban von Pakistan in seine Heimatprovinz Kandahar zurückgekehrt sein, hieß es zuletzt. Ende August habe er dort ein Treffen des Taliban-Führungsrates geleitet, in dem alle politischen Diskussionen geführt werden. Der Führungsrat hatte unter Mullah Omar ursprünglich zehn Mitglieder. Heute soll er auf geschätzt 30 oder mehr Mitglieder angewachsen sein, deren Autorität auch religiös legitimiert ist.

Die militant-islamistischen Taliban hatten nach Beginn des Abzugs der internationalen Nato-Truppen weite Teile Afghanistans erobert. Am 15. August zogen sie kampflos in die Hauptstadt Kabul ein und regieren seitdem. Armee und Polizei zerfielen, Vertreter der vorherigen Regierung flohen. Die Islamisten sehen sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert, etwa für Sicherheit im Land zu sorgen. Afghanistan steht zudem vor einer humanitären Krise und laut UNO vor einem möglichen wirtschaftlichen Kollaps.

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