Macron will Maastricht-Kriterien lockern

Beim Antrittsbesuch des neuen deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seinen Wunsch zur Lockerung der Maastricht-Kriterien für Zukunftsinvestitionen in der EU betont. Es gehe darum, das Wachstum in der EU anzukurbeln und Vollbeschäftigung anzustreben, sagte Macron am Freitag in Paris. Dazu müsse in innovative, grüne und digitale Branchen investiert werden, die Europas Souveränität stärkten.

Um die dafür nötigen massiven Investitionen zu beschleunigen, müssten pragmatische Abmachungen getroffen werden, sagte Macron. Flexibilität und neue Regeln seien erforderlich, wobei klare Haushaltsregeln von den Euroländern eingehalten werden müssten. Dies umzusetzen werde Thema der Debatte in den nächsten Monaten sein. Der Präsident verwies auf den EU-Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro zur Bewältigung der Corona-Krise, der ungeachtet der Maastricht-Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung im Euroraum auf den Weg gebracht worden sei.

Scholz verwies auf das gemeinsam in der Corona-Krise erreichte. „Es geht ja darum, dass wir das Wachstum, das wir mit dem Wiederaufbaufonds auf den Weg gebracht haben, auch weiterhin ermöglichen und aufrechterhalten und dass wir gleichzeitig für solide Finanzen sorgen“. Es sei möglich, beides gleichzeitig zu erreichen. Man werde zu gemeinsamen Konzepten kommen. „Wir haben jedenfalls uns darauf verpflichtet, dass wir die Flexibilitäten, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt bietet, nutzen werden, um eine gemeinsame europäische Politik zu schaffen.“

Im Vertrag von Maastricht von 1992 ist vereinbart, dass Haushaltsdefizite unter normalen Umständen nicht über 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen dürfen und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent. Verstößt ein Land dagegen, ist es verpflichtet, Gegenmaßnahmen einzuleiten, um die Verschuldung zu senken. Damit soll vor allem die Stabilität der Eurozone gesichert werden.

Zwei Tage nach seiner Vereidigung war Scholz zu seinem ersten Antrittsbesuch nach Paris gereist. Nach seinem Besuch bei Präsident Macron wollte sich Scholz bei der Europäischen Union und bei der NATO in Brüssel vorstellen.

Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte Paris und Brüssel bereits am Donnerstag besucht. Ein starkes Europa brauche starke deutsch-französische Impulse, sagte sie. 100 Prozent Harmonie gab es bei ihrer Visite aber nicht. Baerbock bekräftige ihre Ablehnung der französischen Pläne zur Einstufung von Atomkraft als „grüner“ Energie: „Dass wir zu der Frage Nuklear unterschiedliche Positionen haben, das ist ja bekannt“, sagte sie.

Der erste Antrittsbesuch von deutschen Kanzlern und Kanzlerinnen geht traditionell nach Frankreich. Gerhard Schröder war 1998 sogar schon vor seiner Wahl zum Regierungschef in Paris. 2005 flogen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gemeinsam nach Paris und dann nach Brüssel.

In Brüssel soll Scholz nach NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel treffen. Dabei wird es auch um den Zusammenhalt des Staatenbundes gehen. Scholz wurde nicht von allen seinen Kolleginnen und Kollegen in den 26 anderen Mitgliedstaaten freundlich empfangen. „Die neue linksliberale Regierung strebt weg von Kohls Europa der Vaterländer hin zu einer migrations- und genderfreundlichen, deutsch geprägten, zentralistischen Politik aus Brüssel. Hier stehen wir nicht mehr Seite an Seite“, schrieb der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban in einem Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung. In der nächsten Woche nimmt Scholz erstmals als Kanzler an einem EU-Gipfel teil.