Russische Justiz setzt Vorgehen gegen Memorial fort
Einen Tag nach dem Verbot der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial ist am Mittwoch der Prozess um die Auflösung einer Unterorganisation fortgesetzt worden. Bei einer Gerichtsanhörung in Moskau warf die Staatsanwaltschaft dem Menschenrechtszentrum Memorial vor, „aktiv“ extremistische Organisationen unterstützt und selbst „Menschenrechte und Freiheiten verletzt“ zu haben. Dies rechtfertige eine Auflösung der Organisation.
Ein Vertreter des Anwaltsteams von Memorial sagte der Nachrichtenagentur AFP vor Beginn der Anhörung, das Team rechne fest mit einer Verurteilung des Menschenrechtszentrums und einem anschließenden Verbot. Dies sei „offensichtlich“. In der Gerichtsanhörung warnte der Memorial-Verteidiger Alexander Tscherkassow vor der öffentlichen Wirkung eines Verbots des Menschenrechtszentrums. Sollte es tatsächlich zu einer Zwangsauflösung kommen, wäre dies „eine Bestätigung dafür, dass die Verfolgung aus politischen Gründen zu einer systemischen Realität in unserem Leben geworden ist“, sagte Tscherkassow.
Am Dienstag hatte das Oberste Gericht Russlands die Auflösung von Memorial International mit der Begründung angeordnet, die Organisation habe gegen das Ausländische-Agenten-Gesetz verstoßen. Das Gesetz belegt NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, mit strikten Auflagen. Memorial setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion und für die Wahrung der Menschenrechte im heutigen Russland ein. Die NGO zählt zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Russland.
Das Verbot von Memorial International war am Dienstag international verurteilt worden. Das österreichische Außenministerium sprach von einem „schweren Schlag für alle unabhängigen Stimmen in Russland“. Das Auswärtige Amt in Berlin bezeichnete das Urteil gegen die Organisation als „mehr als unverständlich“, US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem „Affront gegen die Sache der Menschenrechte überall“. Das russische Volk habe „etwas Besseres verdient“. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell zeigte sich bestürzt und mahnte, dass für die Entwicklung und den Fortschritt einer Gesellschaft „der kritische Blick zurück in ihre Vergangenheit unentbehrlich“ sei.
Das Menschenrechtszentrum Memorial legt den Fokus auf die Rechte politischer Gefangener in Russland sowie von Minderheiten wie Migranten und Homosexuellen. Jedes Jahr veröffentlicht das Zentrum eine Liste mit politisch Gefangenen. Zuletzt wies das Zentrum auch immer wieder auf das Schicksal des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hin, dessen Organisationen in Russland als „extremistisch“ eingestuft sind