UNO untersucht Verbrechen gegen Menschlichkeit in Myanmar
Am ersten Jahrestag des Militärputsches in Myanmar berichten die Vereinten Nationen von furchtbarer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in dem Krisenland. Die Umstände von mehr als 1.000 Tötungen durch die Einsatzkräfte könnten möglicherweise als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ oder „Kriegsverbrechen“ eingestuft werden, teilte der Chefermittler des Unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Myanmar (IIMM), Nicholas Koumjian, am Dienstag mit. Am Jahrestag gab es Proteste.
In vielen Städten kam es zu kleineren Demonstrationen, wie lokale Medien am Dienstag berichteten. Die Teilnehmer machten mit Slogans und Plakaten ihrer Wut über die Generäle Luft und forderten Freiheit und Demokratie. Großkundgebungen wie in den ersten Wochen nach dem Umsturz gab es aber aus Angst vor Repressionen durch das Militär nicht. Stattdessen traten viele Bürger - wie bereits in den vergangenen Monaten - in einen „stillen Streik“ und blieben zu Hause, statt zur Arbeit zu gehen. Geschäfte waren geschlossen, die Straßen auch in der größten Stadt Yangon (früher: Rangun) waren teilweise verwaist, wie auf Fotos in sozialen Netzwerken zu sehen war.
Die Militärführung drohte damit, Teilnehmer dieses „stillen Streiks“ festzunehmen. „Wir könnten festgenommen werden und unser Leben im Gefängnis verbringen - wenn wir Glück haben“, sagte der Jugendaktivist Nan Lin. „Wir könnten gefoltert und getötet werden - wenn wir Pech haben.“ „Ich gehe heute nicht zur Arbeit, denn ich kann zwar nicht zu den echten Demos gehen, aber ich will doch irgendwie an den Protesten teilnehmen“, sagte Sin Sin, eine 23-jährige Verkäuferin aus Yangon, der Deutschen Presse-Agentur.
Seit dem Putsch vom 1. Februar 2021 und der Entmachtung der faktischen Regierungschefin Aung San Suu Kyi versinkt Burma in Chaos und Gewalt. Der Gefangenenhilfsorganisation AAPP zufolge wurden bereits mehr als 1.500 Menschen getötet und fast 12.000 festgenommen. Hunderttausende leben als Vertriebene im eigenen Land, viele weitere sind in Nachbarländer wie Thailand und Indien geflohen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach am Dienstag von einer „humanitären Katastrophe“.
Gegen die Militärs gebe es unter anderem glaubhafte Vorwürfe willkürlicher Festnahmen, Folter und sexueller Gewalt. Auch seien wohl Zivilisten in der Haft ermordet worden. Der IIMM bemühe sich darum, die Vorwürfe zu verifizieren und zu dokumentieren, damit die Verantwortlichen eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden könnten, so Koumjian. „Die internationale Justiz hat ein langes Gedächtnis“, warnte er.
Die Generäle in dem südostasiatischen Land hatten am 1. Februar 2021 gegen die Regierung von Aung San Suu Kyi geputscht. Sie begründeten den Umsturz mit angeblichem Wahlbetrug bei der Parlamentswahl vom November 2020, die Suu Kyi klar gewonnen hatte - Beweise dafür legten sie nicht vor. Die Militärjunta stellte die Friedensnobelpreisträgerin unter Hausarrest und regiert mit eiserner Faust. Gegen die 76-Jährige laufen zahlreiche Gerichtsverfahren, inzwischen wurde sie bereits zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Menschenrechtler sprechen von einem Schauprozess, um die Politikerin zum Schweigen zu bringen.
Die USA verhängten zum Jahrestag des Putsches neue Sanktionen gegen Angehörige der Justiz und Unterstützer der Militärführung. Betroffen seien sieben Personen und zwei Einrichtungen, teilte das Finanzministerium am Montag in Washington mit. Darunter seien zwei hochrangige Mitglieder des Justizsystems, die die Strafverfolgung gegen Suu Kyi und andere vorangetrieben hätten. Mögliches Vermögen der Betroffenen in den USA wird eingefroren, Geschäfte mit ihnen sind für US-Bürger verboten.
US-Präsident Joe Biden sprach von „unsäglicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, darunter auch Kinder“. Er forderte die Freilassung aller, die zu Unrecht inhaftiert sind. Auch die britische Regierung, die sich nach eigenen Angaben mit den USA und Kanada abgestimmt hat, kündigte zum Jahrestag neue Sanktionen gegen drei Angehörige der Militärführung an. Dazu gehören neben dem Einfrieren von möglichen Vermögen auch Reisesperren.
Die Europäische Union berichtete in einer Mitteilung von „Armut, Nahrungsmittelknappheit, Vertreibung und Gewalt“ im Zuge des Putsches. Seit der Machtübernahme seien 400.000 Menschen im eigenen Land vertrieben worden, fast eine Million seien in Nachbarländer geflohen. Neue Sanktionen kündigte die EU aber nicht an.