Prozessstart gegen NÖ FPÖ-Landesrat Waldhäusl und Ex-Beamtin
Unter großem Medieninteresse hat am Mittwoch am Landesgericht St. Pölten der Prozess gegen den niederösterreichischen FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl und eine frühere Landesbeamtin begonnen. Die Anklage lastet ihnen rund um die Verlegung von minderjährigen Flüchtlingen in das mit Stacheldraht umzäunte Asylquartier Drasenhofen (Bezirk Mistelbach) 2018 Amtsmissbrauch an. Die beiden bekannten sich nicht schuldig. Vor Prozessstart fand eine Demo gegen Waldhäusl statt.
Der 56-jährige Landesrat und die 54-jährige ehemalige Beamtin sollen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zufolge im November 2018 die Verlegung von zumindest 14 unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern in ein ungeeignetes Quartier veranlasst haben. Damit seien die Jugendlichen einer „ihre Persönlichkeitsentwicklung destabilisierenden Maßnahme unterworfen“ worden.
Michael Schön von der WKStA betonte im Eröffnungsvortrag, die Grundversorgung umfasse u.a. die Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Beachtung der Menschenwürde und des Kindeswohls. Ein einheitliches Regelwerk dafür gebe es nicht, aber „eines ist stets klar“: Dem Ziel der psychischen Festigung der Flüchtlinge und Schaffung einer Vertrauensbasis wirke besonders ein Stacheldrahtzaun entgegen.
Es habe mehrere Weisungen gegeben, den Zeitpunkt der Eröffnung des Quartiers vorzuziehen, weiters sei der seit Jahren für diese Agenden verantwortliche Beamte nach Kritik abgezogen worden, sagte Schön. Waldhäusl hatte laut Anklage für das Quartier angeordnet, dass dieses „jedenfalls mit einem Zaun aus einem dreifach Stacheldraht und einer Kamera am Eingang auszustatten“ sei und „bei der Bewachung auch ein Hund zum Einsatz kommen“ müsse, damit niemand in das Gebäude eindringen könne. Die Jugendlichen durften den Angaben zufolge die Einrichtung „nur für sehr begrenzte Zeit“ und nur in Begleitung von Securitys verlassen. Letztlich wurde aus Zeitnot nur einfacher Stacheldraht verwendet.
In der Gesamtheit entsprach das Quartier „keiner geeigneten Unterkunft im Sinne der gesetzlichen Grundversorgung“, betonte Schön. Die mit Stacheldraht umzäunte Einrichtung habe den Jugendlichen das „Gefühl des Eingesperrtseins“ vermittelt. Die von Waldhäusl in Medien erwähnte „Sonderbehandlung“ sei in Drasenhofen passiert, erklärte der Vertreter der Anklagebehörde: „Das entspricht aber nicht den Vorgaben der Grundversorgung.“
Weiters sei die Verlegung der Jugendlichen „überhastet“ passiert, sagte der Staatsanwalt. Die Flüchtlinge kamen am 26. November 2018 ins Quartier Drasenhofen. 16 Jugendliche - davon 14 mit laufenden und zwei mit rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren - waren dort untergebracht. Die örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger wurden laut WKStA nicht von der Verlegung verständigt und es wurde auch keine diesbezügliche Zustimmung eingeholt. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft bezeichnete die Unterkunft nach einem Lokalaugenschein am 30. November als nicht geeignet. Der „sichtlich gewollte einschüchternde Effekt“ habe dazu geführt, dass acht Flüchtlinge das Quartier zeitnah nach ihrer Ankunft verließen, sagte der Staatsanwalt. Die Jugendlichen wurden vier Tage nach Inbetriebnahme an einen anderen Standort verlegt.
„Unser Rechtsstaat stößt immer wieder an Grenzen“, meinte Waldhäusls Verteidiger Manfred Ainedter zu Beginn seines Vortrags und sprach von „massiven Interessenskonflikten“. Einerseits sei die öffentliche Hand für die Grundversorgung verantwortlich, andererseits bestehe die Pflicht, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten - das scheitere oft am Verhalten der betroffenen Personen. Der Rechtsanwalt zitierte aus Medienberichten über Straftaten von Asylwerbern. Nach Beschwerden sei der Entschluss gefallen, „problematische“ Personen in einem Quartier „mit einem besonderen Sicherheitskonzept“ unterzubringen - „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der ‚umF‘ (unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, Anm.)“.
Grund für den Stacheldraht „war keineswegs die dargestellte Einschüchterung der ‚umF‘, sondern es sollte verhindert werden, dass man von außen eindringen kann“, erklärte Ainedter. Die Flüchtlinge „konnten jederzeit hinaus“ - wenn auch in Begleitung. „Der gesamte Vorgang war rechtlich vollkommen in Ordnung. Alle Bestimmungen wurden eingehalten“, hielt der Verteidiger fest. Nach Medienberichten sei eine „Hysterie ausgebrochen“, es sei „maßlos übertrieben“ und das „falsche Bild“ vermittelt worden, „die ‚umF‘ würden gefangen gehalten und hinter einem Stacheldraht eingesperrt“. Abgesehen von einigen wenigen Mängeln wie fehlender Sportgeräte bezeichnete Ainedter das Quartier als „völlig in Ordnung“. Der ganze Vorgang sei ausschließlich Sache der Privatwirtschaftsverwaltung und stelle „keinen bescheidfähigen Hoheitsakt dar“, wies der Verteidiger die Vorwürfe zurück.
Die 54-Jährige war der Anklage zufolge für die Administration bei der Zuweisung von unbegleiteten Minderjährigen zuständig, zudem fungierte sie als gesetzliche Vertreterin dieser Jugendlichen im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren. Die Beschuldigte war laut Schön „sehr gut vernetzt“ mit dem Büro des Landesrates und wechselte nach der Causa Drasenhofen dorthin, bevor sie 2020 aus dem Landesdienst ausschied. Die derzeit Arbeitssuchende ist auch wegen Fälschung eines Beweismittels und Verleumdung angeklagt. Sie soll im Ermittlungsverfahren eine E-Mail unvollständig vorgelegt und so den Verdacht auf ihren Vorgesetzten gelenkt haben.
Der Verteidiger der 54-Jährigen, Philipp Wolm, betonte: „Selten hat mir eine Mandantin so leidgetan aufgrund der medialen Vorverurteilung“, die Beschuldigte sei „absolut zu Unrecht hier angeklagt“. Die Juristin habe sich zuvor 15 Jahre lang als NGO-Vertreterin für Flüchtlinge eingesetzt und habe „null Beziehung zur FPÖ“. Wolm sprach von einem Vorwurf, der nicht einmal in die Zuständigkeit seiner Mandantin gefallen sei.
Rechtsanwalt Georg Zanger, der mehrere Flüchtlinge als Privatbeteiligte vertritt, schloss sich mit je 10.000 Euro dem Strafverfahren an. Er sprach von einer „Traumatisierung“ der Betroffenen. Clemens Lahner und Nadja Lorenz, die beide je einen Flüchtling vertreten, schlossen sich jeweils mit einem symbolischen Betrag von 100 Euro an.
Vor dem Prozessstart versammelten sich am Mittwoch rund 25 Personen zu einer Kundgebung auf dem Vorplatz des Landesgerichts. Gefordert wurde „die überfällige Absetzung des für Asylwesen zuständigen Landesrats“, wie die asylkoordination österreich im Vorfeld verlauten hatte lassen. Sprüche wie „Waldhäusl muss weg“, „Für Demokratie, Solidarität und Menschenrechte“ und „Menschenrechte für Flüchtlinge“ waren auf mitgebrachten Schildern und Transparenten zu lesen.
Bei kühlem und regnerischem Wetter wurden vereinzelt auch Sprechchöre lanciert. Als Waldhäusl etwa eine Dreiviertelstunde vor dem Start der Verhandlung eintraf, wurde von den Kundgebungsteilnehmern „Wir wollen Menschlichkeit“ skandiert.
Der Prozess unter Vorsitz von Richterin Silvia Pöchacker hätte bereits am 30. November des Vorjahres beginnen sollen, wurde aber Corona-bedingt verschoben. Bei einem Schuldspruch drohen sechs Monate bis fünf Jahre Haft. Urteil wird es am Mittwoch keines geben. Die Staatsanwaltschaft hat die Ladung zahlreicher Zeugen beantragt, weiters ersuchte Zanger um die Einvernahme mehrerer Betroffener. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, danach sind vorerst weitere Termine bis zum 28. April geplant.