Erste Festnahme um Impfpass-Betrügereien in Wien
Die mutmaßlichen Impfpass-Betrügereien im Austria Center Vienna (ACV) ziehen immer weitere Kreise. Ein 21-Jähriger wurde fest- und in der Vorwoche in U-Haft genommen, bestätigte sein Verteidiger Philipp Wolm am Mittwoch der APA einen Bericht der Tageszeitung „Heute“. Der wegen Betrugs Vorbestrafte soll mit einer Komplizin, die sich auf freiem Fuß befindet, und noch unbekannten Mittätern seit November in großem Stil gefälschte Impfnachweise hergestellt und verkauft haben.
Der 21-Jährige war als Mitarbeiter in der Impfstraße im ACV beschäftigt - dabei war er erst im Juni 2021 als Betrüger zu 27 Monaten Haft verurteilt worden, hatte aber einen Strafaufschub gewährt bekommen. Den dürfte er dazu genutzt haben, um eine aus mehreren Personen zusammengesetzte Bande zu bilden und - wie dem U-Haft-Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen zu entnehmen ist, der der APA vorliegt - „unzählige falsche Covid-19-Impfnachweise durch Einkleben von Badges in leere Impfpassrohlinge, versehen mit zwei Stempeln (Stempel der Stadt Wien sowie ACV) und Unterschrift samt folgender Veranlassung der Eintragung im elektronischen Impfpassregister (Grüner Pass)“ herzustellen.
Die gefälschten Impfpässe wurden den Ermittlungen zufolge um 550 bis 650 Euro verkauft, wobei eine der ersten Abnehmerinnen des 21-Jährigen die mitverdächtigte Frau war, die ihm weitere Kunden vermittelt haben soll, nachdem er ihr Ende Dezember eine gefälschte Eintragung über eine Booster-Impfung gegen Covid-19 besorgt hatte. Sämtliche drei vorgeblichen Stiche, die im Impfpass der Frau aufschienen, sollen in Wahrheit nie gesetzt worden sein.
Beim Arbeiter Samariter Bund Österreich (ASBÖ) zeigte man sich über die Inhaftierung des ehemaligen Mitarbeiters bestürzt. „Wir sind tief betroffen, dass wir bei der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen mit einer offenbar massiven kriminellen Energie konfrontiert sind. Umso wichtiger ist es, hier keinerlei Toleranz walten zu lassen. Verdächtige Mitarbeitende werden sofort fristlos entlassen und der Auftraggeber sowie die Polizei informiert. Zu Unrecht entstandene Impfeinträge werden zudem aus dem System gelöscht“, meinte ASBÖ-Sprecherin Stefanie Kurzweil in einer Presseaussendung.
Man habe von dem jüngsten Fall aus der Zeitung erfahren und bis dahin keine Kenntnis von den Vorwürfen gegen den 21-Jährigen gehabt. Insofern konnte Kurzweil eine APA-Anfrage zu möglichen weiteren Komplizen des Mannes oder gar einem betrügerischen Netzwerk nicht beantworten. Ein Rätsel blieb vorerst, wie der inhaftierte 21-Jährige bei seiner Vorstrafe und einer offenen mehrjährigen Haft an einen Job in der Impfstraße kommen konnte.
Bei der Anstellung wird laut ASBÖ von jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin ein Leumundszeugnis verlangt, das innerhalb des Probemonats vorgelegt werden muss. Nur Personen, die keine Vorstrafe haben, werden auch tatsächlich für die Erbringung der sensiblen Covid-Dienstleistungen angestellt. Interne Überprüfungen, wie der 21-Jährige dessen ungeachtet ein Beschäftigungsverhältnis erlangt hat, seien im Gange, hieß es am Mittwoch.
Gegen den 21-Jährigen wird wegen Urkundenfälschung und vorsätzlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ermittelt. Im Zuge der Ermittlungen wurden bei ihm 230 Covid-Impfaufkleber, Blanko-Impfpässe, handschriftliche Vermerke zu Chargennummern und Stempel des Gesundheitsdiensts der Stadt Wien bzw. des ACV sichergestellt. Im U-Haft-Beschluss ist von „strukturiertem, systematischem Vorgehen“ die Rede - nach ersten Medienberichten über Impfschwindeleien im Austria Center Vienna soll der 21-Jährige seine mutmaßlich betrügerischen Absprachen „auf neue Kommunikationswege verlagert“ haben. Diesbezüglich dürfte von der Auswertung des beschlagnahmten Handys des 21-Jährigen einiges an weiterem Beweismaterial zu erwarten sein. Dass er weit mehr als die bisher bekannten Interessenten bzw. Käufer von gefakten Impfnachweisen gefunden haben könnte, legen von ihm selbst getätigte, dank einer Telefonüberwachung festgehaltene Aussagen nahe („Da stehen draußen a Schippel Leute“).
Das Wiener Landesgericht hat als Haftgrund Tatbegehungsgefahr angenommen. „Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage an falschen Impfnachweisen in Anbetracht der voraussichtlich verabschiedeten Impfpflicht ungebrochen, wenn nicht gar steigend ist“, heißt es im U-Haft-Beschluss. Weiters wird auf „noch unbekannte Mittäter“ des 21-Jährigen bzw. „Verbindungsleute zur Impfstraße im Austria Center“ verwiesen. Diese allenfalls auszuforschen und aus dem Verkehr zu ziehen, ist Aufgabe des mit den Ermittlungen betrauten Landeskriminalamts Niederösterreich. Der 21-Jährige hat bisher von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und sich zu den Vorwürfen nicht geäußert.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Impfstraße im Austria Center im Zusammenhang mit strafrechtlich schwer bedenklichem Impfschwindel in Verruf gerät. Die Staatsanwaltschaft Wien führt gegen ehemalige Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes Österreich bereits drei separate Ermittlungsverfahren. Zum einen stehen schon seit vergangenem Frühjahr vier Personen wegen Betrugs und Urkundenfälschung im Fokus, die Blankoimpfpässe entwendet, ausgefüllt und die vermeintlichen Impfungen ins System eingetragen haben sollen. Ein weiteres Verfahren betrifft eine Ex-Mitarbeiterin, die einen Kollegen aufgefordert haben soll, in ihrem Impfpass eine Immunisierung einzutragen, ohne dass eine Impfung erfolgt war. Das dritte Verfahren läuft erst seit Dezember. Als Beschuldigte geführt wird dabei eine Mitarbeiterin im Austria Center Vienna, die mehrere Namen im Gesundheitssystem eingetragen haben soll. Gegen diese Verdächtige wird wegen Vorbereitung der Fälschung öffentlicher Urkunden oder Beglaubigungszeichen (Paragraf 227 StGB) ermittelt.
Um derartige Vorgänge zukünftig zu verhindern, hat der Samariterbund Wien Maßnahmen ergriffen. Gemeinsam mit den anderen Blaulichtorganisationen Wiens und der Stadt Wien als Auftraggeber wurde eine Task Force ins Leben gerufen, „die den gesamten Prozess laufend auf mögliche Schwachstellen evaluiert und Lücken schließt, bevor diese ausgenutzt werden können“, hieß es in einer Medienmitteilung. Dieser Arbeitsgruppe gehört auch das Bundeskriminalamt an.
In den Impfstraßen werden nunmehr Laptops mit Zwei-Faktoren-Authentifizierung gesichert, der Eintrag ins Impfregister erst beim Verlassen der Impfstraße freigegeben und Begleitpersonen nur mehr in begründeten Fällen in der Impfstraße zugelassen. Zudem muss im Falle des Verlusts eines Stempels umgehend eine Verlustanzeige aufgegeben werden. Außerdem wurde ein fälschungssicherer Stempel entwickelt.