Die Berlinale surft entspannt auf der Coronawelle
Man zieht es durch in Berlin. Bis zuletzt blieben manche skeptisch, ob die Berlinale als eines der drei großen Filmfestivals der Welt wirklich als Liveevent auf der Omikronwelle surfen würde - doch sie tut es. Und das bis dato entspannt. Dabei stehen gerade die Berliner Filmfestspiele als Publikumsfestival in Coronazeiten vor besonderen Herausforderungen - denen man allerdings mit hohen Hygienemaßnahmen begegnet.
Nur Personen haben Zutritt, die gegen Corona geimpft oder davon genesen sind. Beim „normalsterblichen“ Filmfreund mit drei Impfungen entfällt die Testpflicht, während das geboosterte Fachpublikum in den Pressevorführungen einen tagesaktuellen Test vorweisen muss. Dafür erhält man immerhin ein schickes Armbändchen im tagesaktuell wechselnden Look. Im Kino ist durchgängig eine Maske zu tragen. Partys und ähnliche Veranstaltungen wurden abgesagt, der Film Market ins Internet verlagert. Und nicht zuletzt hat man die Dauer des Festivals verkürzt, weshalb heuer „lediglich“ 256 Lang- und Kurzfilme zu sehen sind - nach 340 Werken in der Vor-Coronaausgabe 2020.
Das bedeutet aber auch, dass die Medienvertreter mitunter bis zu vier Filme täglich besuchen müssen, wenn sie etwa den Wettbewerb vollständig abdecken wollen. Dafür ist aber statt nach neun Tagen mit dem Wettbewerb schon nach einer knappen Woche Schluss mit Kino. Zwar hat man es mit der diesjährigen Präsenzveranstaltung nicht so bequem wie im Vorjahr, als man alle Filme bequem daheim am Computer ansehen und sich einen Kaffee dazustellen oder bei weniger spannenden Streifen parallel Gymnastikübungen machen konnte.
Dafür hat man heuer wieder die große Leinwand, und den Vorteil, dass es extrem gelassen abgeht: Kein Gedränge an den Türen, kein Bangen um freie Plätze, keine Aufrufe des Personals vor begehrten Aufführungen, nicht Plätze zu reservieren und statt dessen die Hand zu heben, wenn nebenan noch frei ist.
Der Nebensitz ist diesmal gemäß Pandemiekonzept immer frei, was gerade im Winter günstig ist, um dort Mäntel und Taschen abzulegen. Corona dürfte übrigens auch ein guter Vorwand gewesen sein, die alljährlich verteilte Berlinale-Umhängetasche auf das Format einer schmalen Hüfttasche schrumpfen zu lassen. Abschied nehmen muss man diesmal von der bisher praktizierten Gewohnheit, im Kino stets dieselben Plätze anzusteuern. Heuer sind alle Karten online vorher zu bestellen, was es allerdings erlaubt, erst fünf Minuten vor Beginn zu erscheinen.
Da das Buchungssystem demokratisch zuteilt, sitzt man einmal ganz vorne, einmal ganz hinten und muss auch auf die früher im Lauf der Tage vertrauten Gesichter im Sitzumfeld verzichten. Und weil das Kino nur halb voll sein darf, gibt es nachher auch kein Gedränge an den Ausgängen. Diese sind zudem nicht auch gleichzeitig der Einlass, sodass man beim Verlassen der Vorstellung Bekanntschaft mit allerlei Nottreppen unterhalb des Potsdamer Platzes macht.
Zum neuen Berlinale-Alltag gehört auch der tägliche Coronatest in einem der Testbusse vor den Premierenkinos. Aber auch dort bilden sich keine Schlangen. Offenbar haben viele Medien auf eine Teilnahme ihrer Journalisten diesmal verzichtet. Das alles mündet in einer großen Ruhe, mit der heuer die Berlinale konsumiert wird. Da weht aber auch ein wenig Traurigkeit mit. Vielleicht gehört der ungeliebte Trubel ja vielleicht doch dazu?
In jedem Falle wurde dieses Konzept von den Berliner Behörden abgesegnet. „Ja, es ist ein Festival unter Pandemiebedingungen. Mit Einschränkungen, die man kritisieren kann. Mit Unzulänglichkeiten, die man bemängeln mag“, sagte zur Eröffnung Deutschlands Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Aber das wirklich, wirklich Wichtige ist doch: Die Berlinale, sie findet statt.“
Dass dem so ist, liegt zum einen daran, dass das Leitungsduo bestehend aus dem künstlerischen Chef Carlo Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek das bewusste Zeichen setzen möchte, dass kulturelle Großevents auch in der aktuellen Lage möglich sind. Zum anderen aber steht man in Berlin auch dem Umstand gegenüber, dass eine Verschiebung in den Sommer angesichts eines durchgetakteten Filmzirkusses, der im Mai traditionell nach Cannes und im September nach Venedig jettet, schwierig gewesen wäre.
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