USA ziehen fast alle Soldaten aus der Ukraine ab
Inmitten wachsender Sorgen vor einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts haben die USA den Abzug fast aller ihrer verbliebenen Soldaten aus der Ex-Sowjetrepublik verfügt. Verteidigungsminister Lloyd Austin habe „die vorübergehende Verlegung der 160 Mitglieder der Florida-Nationalgarde angeordnet“, teilte Pentagon-Sprecher John Kirby am Samstag mit. Indes liefen die diplomatischen Bemühungen zur Abwendung einer russischen Invasion weiter auf Hochtouren.
Am Samstagabend wollten US-Präsident Joe Biden und der russischen Präsident Wladimir Putin telefonieren. Putin führte zuvor ein 90-minütiges Telefongespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Nach Angaben Frankreichs ging es dabei über Möglichkeiten zur Umsetzung des Minsker Abkommens über die Ukraine. Macron habe Putin gesagt, dass ernsthafte Verhandlungen unvereinbar seien mit einer Eskalation der Spannungen um die Ukraine. Beide Staatschefs hätten „den Willen zur Fortsetzung des Dialogs“ geäußert, hieß es aus dem Elysee-Palast.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezichtigte indes die USA, eine Propagandakampagne über eine mögliche russische Aggression zu führen. Lawrow habe dem US-Außenminister Antony Blinken in einem Telefonat an diesem Samstag außerdem gesagt, die USA und die EU hätten Sicherheitsvorschläge Russlands ignoriert, teilt das Außenministerium in Moskau mit.
Verwundert zeigte man sich auch in der Ukraine über die US-Warnungen. „Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag Journalisten. Kiew sei sich dessen bewusst, dass es Risiken gebe.
Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte zuvor deutlich gemacht, dass die USA einen russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. „Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen“, sagte Sullivan im Weißen Haus.
Die Bevölkerung in der Ukraine trug ihren Missmut auf die Straße. In Kiew demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen eine Aggression Russlands. Teilnehmer der Kundgebung trugen ukrainische Flaggen und Transparente mit Aufschriften wie „Ruhm der Ukraine“ und „Invasoren müssen sterben“.
Russland demonstrierte indes weiter militärische Macht. So verließen am Samstag mehr als 30 Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte die Häfen Sewastopol und Noworossijsk, berichtet die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf die Marine. Die Übung sei Teil der größer angelegten, geplanten Marinemanöver.
Auch die US-Luftwaffe rüstete weiter auf: Acht Kampfjets vom Typ F-16 sind nach Rumänien verlegt worden. Die Flugzeuge trafen im Luftwaffenstützpunkt Borcea, 150 Kilometer östlich von Bukarest, ein, wie das rumänische Verteidigungsministerium am Freitagabend mitteilte. Sie würden zusammen mit 150 US-Soldaten an gemeinsamen Übungen mit dem rumänischen Militär teilnehmen, hieß es in der Mitteilung. Die Manöver würden zwei Wochen dauern.
Bereits vor einigen Tagen waren vier Kampfjets der US-Marine vom Typ F / A-18 Super Hornet und 50 US-Soldaten in Borcea eingetroffen. Auch sie sollen an der Übung teilnehmen. Rumänien grenzt unmittelbar an die Ukraine. Zudem kündigte das Pentagon an, Anfang kommender Woche weitere 3.000 Soldaten nach Polen verlegen zu wollen. Erst Anfang Februar hatten die USA die Verlegung von 2.000 Soldaten an die NATO-Ostflanke in die Wege geleitet.
Im Versuch, den Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen, gab es am Samstag ein weiteres hochrangiges Telefonat. Die Verteidigungsminister der USA und Russlands, Lloyd Austin und Sergej Schoigu, haben nach Angaben beider Seiten miteinander gesprochen. Das US-Verteidigungsministerium teilt mit, dabei sei es um den Aufmarsch russischer Streitkräfte nahe der Ukraine und auf der von Russland annektierten Krim gegangen. Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtet ebenfalls von dem Telefonat und beruft sich auf Angaben der russischen Streitkräfte.
Bereits am Freitagabend hatten sich Blinken und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba ausgetauscht. In der Unterredung Baerbocks ging es nach Angaben aus Berlin unter anderem um die aktuelle Sicherheitslage und den Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz am Montag. Scholz wird im Anschluss am Dienstag erstmals als deutscher Kanzler in Moskau mit Putin zusammentreffen.
US-Präsident Biden hatte sich am Freitag in einer Videoschaltung mit westlichen Verbündeten ausgetauscht, darunter auch Scholz, Macron und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen betonten die Verbündeten ihre Entschlossenheit, mit schnellen und harten Sanktionen auf einen möglichen Einmarsch zu reagieren. In Berlin hieß es, die Lage werde von den Teilnehmern aus EU und NATO als „sehr, sehr ernst“ eingeschätzt. „Alle diplomatischen Bemühungen zielen darauf ab, Moskau zur De-Eskalation zu bewegen“, schrieb der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Twitter. „Es gilt, einen Krieg in Europa zu verhindern.“
Bidens Sicherheitsberater Sullivan betonte, der US-Regierung lägen keine Informationen vor, dass Putin bereits eine endgültige Entscheidung für eine Invasion getroffen habe. Er fügte hinzu: „Wir sehen weiterhin Anzeichen für eine russische Eskalation, einschließlich neuer Truppen, die an der ukrainischen Grenze eintreffen.“ Ein möglicher Angriff könne verschiedene Formen annehmen, darunter auch ein schneller Vormarsch der Truppen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew.
Sullivan forderte US-Staatsbürger in der Ukraine dazu auf, das Land schnellstens zu verlassen. „Alle Amerikaner in der Ukraine sollten das Land so bald wie möglich verlassen - und auf jeden Fall in den nächsten 24 bis 48 Stunden.“ Zudem zieht das Land - genauso wie Russland - die meisten Mitarbeiter der Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab.
) und die Entwicklung der Lage in den Medien aufmerksam zu verfolgen. Für die Gebiete Donezk und Luhansk sowie für die Halbinsel Krim besteht zudem unverändert eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5).
Großbritannien und Deutschland forderten ihre Staatsbürger hingegen dezidiert zum zügigen Ausreisen aus der Ukraine aus. Ähnliche Aufrufe gab es von Dänemark, Lettland, Estland, Israel, den Niederlanden, Jordanien, Italien, Spanien, Schweden, Belgien, Luxemburg sowie Australien und Neuseeland. Litauen bat alle seine Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine zu überdenken, ob ihre Anwesenheit im Land wirklich notwendig sei. Die Türkei rät ihren Staatsbürgern, nicht in die Ostukraine zu reisen.
Bezüglich des für diesen Samstagabend Moskauer Zeit geplanten Gesprächs von Biden und Putin hieß es aus dem Kreml, Washington habe um die Unterredung gebeten. Das Weiße Haus wiederum erklärte, das Gespräch gehe auf einen Vorschlag Russlands zurück.