US-Mitarbeiter bei OSZE-Mission ziehen aus Ostukraine ab

Nachdem eine neue Runde von Gesprächen auf höchster Ebene keinen Durchbruch in der Ukraine-Krise gebracht hat, haben die USA ihre Mitarbeiter der OSZE-Mission in der Ostukraine abgezogen. Mit dem Auto seien sie aus Donezk abgefahren, sagte ein Augenzeuge. Russland äußerte sich besorgt. Während der deutsche Kanzler Olaf Scholz Moskau vor einer Invasion warnte, wollte US-Präsident Joe Biden noch am Sonntag mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj telefonieren.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) habe ihre Mitglieder, darunter Russland, über die Entscheidung mehrerer Länder informiert, „ihre an der Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine beteiligten Bürger ‚aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage‘ zu verlegen“, sagte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. „Diese Entscheidungen können uns nur ernsthaft beunruhigen.“ Sie rief die OSZE auf, „Versuche, die Mission zu manipulieren, entschieden zu stoppen“. Um welche Länder es sich handelt, war unklar. Österreich ist laut dem Bundesheer derzeit mit einem Beobachter an der SMM beteiligt.

US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hatten am Samstag nacheinander mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Sie versuchten erneut, eine Eskalation im Konflikt um die Ukraine abzuwenden. Biden warnte Putin eindringlich vor einer Invasion und drohte einmal mehr mit schwerwiegenden Konsequenzen. Gleichlautend äußerte sich am Sonntag auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der am Montag in Kiew und am Dienstag in Moskau erwartet wurde. Der aktuelle Konflikt sei eine „sehr, sehr ernste Bedrohung des Friedens in Europa“, und eine russische Aggression würde mit „harten Reaktionen und Sanktionen“ beantwortet werden. Putin wiederum kritisierte die Haltung des Westens.

Biden wollte nach Angaben der Ukraine noch am Sonntag mit deren Staatschef Selenskyj sprechen. Dabei gehe es um die Sicherheitslage und die andauernden diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation, teilt ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten mit. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan verteidigte die US-Warnungen vor einer russischen Invasion. „Nur ein Land hat mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Das sind nicht die Vereinigten Staaten. Es ist Russland. Das ist der Auslöser für den Alarm“, sagte Sullivan am Sonntagvormittag (Ortszeit) im US-Sender CNN.

Der amerikanische Außenminister Antony Blinken sagte am Samstag vor Journalisten in Honolulu, die hohe und unmittelbare Gefahr einer russischen Militäraktion in der Ukraine rechtfertige den Abzug eines Großteils der Mitarbeiter der US-Botschaft in Kiew. Das Außenministerium hatte den Abzug zuvor angekündigt. Auch die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ostukraine war von dem US-Aufruf, die Ukraine zu verlassen, betroffen. Blinken sprach nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus Japan und Südkorea. Er wiederholte, der Weg zu einer diplomatischen Lösung der Krise sei weiterhin offen. Moskau müsse die Situation dafür entschärfen, anstatt sie zu verschärfen.

Hunderte internationale Beobachter der OSZE sind seit März 2014 in der Ukraine stationiert. Sie sollen vor allem in der Ostukraine die vereinbarte Waffenruhe zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Soldaten beobachten.

Der deutsche Geheimdienstexperte und CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter hält einen Großangriff Russlands auf die Ukraine noch in diesem Monat für denkbar. Aus „militärischer und geostrategischer Sicht“ habe Russland im Februar ein Zeitfenster, „um militärisch in die Ukraine einzugreifen“ oder bestimmte aus Sicht von Kreml-Chef Wladimir Putin „geostrategisch wichtige Teile wie die Region Mariupol zu besetzen“, sagte Kiesewetter dem Düsseldorfer „Handelsblatt“ (Sonntag). „Im Februar wird sich entscheiden, ob der bislang vor allem hybrid geführte Krieg durch Russland auch konventionell wird“, betonte Kiesewetter.

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Er verwies insbesondere auf das bis zum 20. Februar laufende belarussisch-russische Militärmanöver im Grenzgebiet zur Ukraine. Es handle sich um „das größte Manöver seit dem Zerfall der Sowjetunion“, sagte der CDU-Politiker.

Aus deutschen Regierungskreisen verlautete am Sonntag, dass die aktuelle Lage als „extrem gefährlich“ eingeschätzt werde. Einschätzungen von US-Nachrichtendiensten, wonach ein russischer Angriff schon in den kommenden Tagen bevorstehenden könnte, hätten auch in Berlin die Befürchtungen einer militärischen Eskalation verstärkt. Zugleich hieß es beschwichtigend: „Wir würden nicht sagen, dass das jetzt der letzte Versuch ist, einen Krieg abzuwenden.“ Als „absolut bedrückend und bedrohlich“ bezeichnete der deutsche Vizekanzler Robert Habeck die Lage. „Es kan sein, dass wir kurz vor einem Krieg in Europa stehen“, sagte er RTL/ntv und sprach sich neuerlich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus.

Der am Sonntag wiedergewählte deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte ebenfalls: „Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa.“ Den russischen Truppenaufmarsch könne man nicht missverstehen, betonte er. „Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt. Ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie.“

Vor einer Reise des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz nach Kiew stellt Berlin der Ukraine weitere Rüstungshilfe in Aussicht - unterhalb der Schwelle tödlicher Waffen. Auf der von der Ukraine vorgelegten Wunschliste für militärische Ausrüstung sei „das eine oder andere (...), was man sich genauer anschauen kann“, hieß es am Sonntag aus deutschen Regierungskreisen. Das werde nun geprüft. Es gehe dabei neben der politischen Entscheidung auch um die tatsächliche Verfügbarkeit dieses Materials, das von der Bundeswehr auch selbst gebraucht werde. Beim Antrittsbesuch des Kanzlers am Montag in Kiew sei noch keine Zusage zu erwarten.

Anders sieht es mit weiterer Wirtschaftshilfe aus, die von der Ukraine ebenfalls gefordert wird. In den Regierungskreisen wurde angedeutet, dass es an dieser Stelle am Montag konkrete Zusagen geben könnte. Einzelheiten wurden aber noch nicht genannt. Seit 2014 hat Deutschland bereits fast zwei Milliarden Euro für die Ukraine zur Verfügung gestellt. Der Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine hat Berlin eine klare Absage erteilt. Das Nein gilt aber nicht für sonstige Rüstungsgüter.

Scholz wird bei seinen Reisen in die Ukraine und Russland nach Angaben aus Regierungskreisen die Entschlossenheit des Westens im Falle eines russischen Angriffes auf die Ukraine unterstreichen. Der Antrittsbesuch am Dienstag bei Russlands Präsident Putin diene auch dazu, diesem den Ernst der Lage klarzumachen, sagte ein deutscher Regierungsvertreter am Sonntag in Berlin. „Dabei sollte die Geschlossenheit der EU, der USA und Großbritanniens nicht unterschätzt werden“, fügte er mit Blick auf die angepeilten schwerwiegenden Sanktionen hinzu. Scholz wolle Putin aber auch einen Dialog anbieten und mehr über russische Sicherheitsbedürfnisse erfahren. Konkrete Ergebnisse des Gesprächs würden nicht erwartet.

In der Debatte um die Zukunft der Ukraine lehne die deutsche Regierung ebenso wie Frankreichs Präsident Macron eine „Finnlandisierung“ des Landes ab - also eine Neutralität, hieß es in den Regierungskreisen. Man sei zudem dagegen, dass die NATO ein Beitritts-Moratorium verhänge. Russland fordert, dass die NATO einen Ukraine-Beitritt ausschließt.

Trotz der Spannungen mit Russland sieht die Ukraine zurzeit keinen Grund zur Sperrung ihres Luftraums. Mychailo Podoljak, ein Berater des Stabschefs des Präsidenten, nannte eine solche Überlegung „Unsinn“. Falls Luftfahrtunternehmen ihre Flugpläne änderten, habe dies nichts mit Entscheidungen des ukrainischen Staates zu tun. Ihn erinnere das an eine „Teil-Blockade“. Die niederländische Airline KLM hatte am Samstag erklärt, ihre Flugverbindungen in die Ukraine mit sofortiger Wirkung einzustellen.

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