Ukraine rüstet sich für Invasion und meldet Cyberattacke
Die Ukraine bereitet sich angesichts der Eskalation im Konflikt mit Moskau auf einen drohenden Einmarsch russischer Truppen vor. Kiew ordnete am Mittwoch die Mobilisierung von rund 250.000 Reservisten an. Zudem sollte ab Donnerstagmitternacht ein landesweiter Ausnahmezustand gelten. Am Mittwochnachmittag meldete die Regierung in Kiew dann einen neuerlichen Cyberangriff auf Internetseiten von Behörden und Banken.
„Ungefähr ab 16.00 Uhr (15.00 Uhr MEZ) begann eine weitere massive DDoS-Attacke auf unseren Staat“, schrieb Digitalminister Mychajlo Fedorow am Mittwoch im Nachrichtenkanal Telegram. Von der Überlastung durch die große Anzahl von Anfragen betroffen seien die Parlamentsseite, das Regierungsportal und die Seite des Außenministeriums. Die genannten Seiten waren am späten Nachmittag nicht oder nur schwer erreichbar. Schon im Jänner und vergangene Woche hatte es ähnliche Attacken gegeben, hinter denen Russland vermutet wurde.
Der ukrainische Sicherheitsrat hatte sich zuvor für einen landesweiten Ausnahmezustand ausgesprochen. Die Entscheidung musste noch vom Parlament bestätigt werden, was aber als Formsache galt. Laut einem Entwurf sollte der Ausnahmezustand mit Donnerstag in Kraft treten.
Die Behörden könnten auf diese Weise die öffentliche Ordnung und strategisch wichtige Infrastruktur „stärker schützen“ und unter anderem verstärkt Ausweise und Fahrzeuge kontrollieren, sagte der Sekretär des Sicherheitsrates, Oleksij Danilow. „Wir sind auf alles vorbereitet.“ Auch verstärkte Polizeipräsenz und das Recht auf willkürliche Kontrollen von Personen und Autos wären durch den Ausnahmezustand zulässig.
Darüber hinaus ist der Aufenthalt in der Nähe der Grenzen zu Russland, Belarus und den ost-ukrainischen Separatistengebieten zur Nachtzeit verboten, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte. Untersagt sind außerdem Video- und Fotoaufnahmen von Grenzschutzanlagen und anderen Objekten des Grenzschutzes. Ausländer dürfen sich nicht im Grenzstreifen aufhalten. An den Küsten des Schwarzen und des Asowschen Meeres im Süden und Südosten der Ukraine ist die Ausfahrt von Schiffen in der Nacht untersagt worden. Die Regeln können sich jedoch je nach aktueller Gefahreneinschätzung von Region zu Region unterscheiden.
Die Mobilmachung betrifft rund 250.000 Reservisten im Alter von 18 bis 60 Jahren. Eine „allgemeine Mobilisierung“ hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag noch ausgeschlossen. Die Ukraine verfügt über rund 200.000 Soldaten, hinzu kommen die Reservisten. Das russische Militär ist mit rund einer Million aktiven Soldaten weitaus größer und wurde in den vergangenen Jahren modernisiert und aufgerüstet.
Unterstützung erhielt die Ukraine von der früheren Sowjetrepublik Litauen. Die Regierung in Vilnius billigte am Mittwoch auf Vorschlag von Innenministerin Agne Bilotaite die Lieferung von Schlauchbooten, Dosimetern, Gasmasken, mobilen Heizgeräten, Handschuhen, Sturmhauben und anderen Gütern. Nach einem weiteren nicht öffentlich gemachten Beschluss will das Kabinett von Regierungschefin Ingrida Simonyte auch Waffenhilfe an die Ukraine leisten. Dies berichtete der litauische Rundfunk. Der Gesamtwert der beiden Hilfslieferungen betrage demnach 1,8 Millionen Euro. „Wir müssen helfen, und wir helfen“, sagte Simonyte.
Im Konfliktgebiet selbst haben internationale Beobachter erneut mehr als 1.000 Explosionen registriert. Besonders betroffen war nach einem Bericht der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Region Luhansk mit 1.224 „Verstößen gegen den Waffenstillstand“, darunter 1.149 Explosionen. In der Region Donezk lag die Zahl bei 703 Verstößen, darunter 332 Explosionen. Deutschland und Frankreich betonten indes ihr Festhalten an der OSZE-Beobachtermission in der Ostukraine. „Diese Mission ist extrem wichtig, sie ist das Ohr und das Auge der internationalen Gemeinschaft vor Ort“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwoch nach einem Treffen mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian in Berlin.
Die Separatisten in Luhansk meldeten am Mittwoch den Tod eines Kämpfers. Er sei durch einen ukrainischen Scharfschützen erschossen worden, erklärten sie. Auch ein Zivilist wurde nach ihren Angaben getötet. Die Regierungstruppen verzeichneten nach eigenen Angaben einen Toten und sechs Verletzte. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Abgaben nicht.
Der Rebellenführer im ostukrainischen Donezk zeigte sich indes siegesgewiss. „Wir werden siegen“, sagte Denis Puschilin am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Die Hilfe des „großen Russlands“ werde den Sieg bringen. Mögliche Grenzstreitigkeiten wolle man friedlich lösen, behalte sich aber die Hilfe Russlands vor, so Puschilin. „So weit sind wir noch nicht“, sagte er auf die Frage, ob er die von den Separatisten gehaltenen Gebiete erweitern wolle. Derzeit kontrollieren die Rebellen nicht annähernd die gesamten Provinzen Donezk und Luhansk. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die beiden abtrünnigen Provinzen am Montag als unabhängig anerkannt.
Neu aufgenommene Satellitenbilder zeigen indes weitere militärische Aktivitäten Russlands in der Nähe der Grenze zur Ukraine. Ein in den USA ansässiges Unternehmen meldete die Stationierung von mehr als 100 Militärfahrzeugen und Dutzenden von Truppenzelten im südlichen Belarus im Grenzgebiet zur Ukraine. Auch ein neues Feldlazarett sei bei einer Militärgarnison im Westen Russlands errichtet worden. Der Westen befürchtet weiterhin einen russischen Großangriff auf die Ukraine. Die britische Außenministerin Liz Truss nannte es „sehr wahrscheinlich“, dass Putin auch die Hauptstadt Kiew angreifen wolle.