Kiew: Russische Einheiten versuchen weiter Sturm Mariupols
Russische Einheiten versuchen weiter eine Erstürmung der seit Tagen belagerten Hafenstadt Mariupol. Das teilte der ukrainische Generalstab in der Nacht auf Sonntag via Facebook mit. Prorussische Separatisten waren dort demnach zuletzt mit Unterstützung russischer Truppen in östliche Randbezirke der 400.000-Einwohner-Stadt vorgestoßen. Die Bevölkerung in der Ukraine war am Samstag generell erneut unter verstärkten Beschuss der russischen Armee genommen worden.
Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium die Einnahme mehrerer Stadtteile Mariupols gemeldet. Die humanitäre Lage ist dramatisch, Zehntausenden Menschen fehlt es an Essen, Wasser und Medikamenten. Geplante Evakuierungen waren zuletzt wieder gescheitert.
50 Busse hätten wegen Beschusses nicht abfahren können, sagte Generaloberst Michail Misinzew aus dem Verteidigungsministerium in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge zur erneut gescheiterten Evakuierung von Mariupol. Mehrere orthodoxe Geistliche hätten sich bereit erklärt, die Bewohner beim Verlassen der Stadt zu begleiten. Russland beschuldigte ukrainische „Nationalisten“. Das ließ sich nicht überprüfen.
Eine russische Offensive stünde zudem der Stadt Sjewjerodonezk mit 100.000 Einwohnern im Gebiet Luhansk bevor, heißt es in dem Generalstabsbericht weiter. Moskau hatte zuvor am Samstag mitgeteilt, dass die prorussischen Separatisten die Stadt erreicht haben.
Kämpfer der prorussischen Separatisten in der Ostukraine nahmen nach Angaben aus Moskau Teile der Stadt Sjewjerodonezk ein. „Einheiten der Volksrepublik Lugansk haben den östlichen und südlichen Teil der Stadt blockiert“, sagte Igor Konaschenkow, Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, der Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Sonntagmorgen.
Zuvor hatte das ukrainische Militär berichtet, dass eine russische Offensive in der Stadt mit 100.000 Einwohnern im Gebiet Luhansk bevorstehe. Nach russischen Angaben wurde zudem die Offensive nahe der Stadt Popasna bei Luhansk fortgesetzt. Dort hätten die Separatisten die nördlichen Stadtteile besetzt. Zu Wochenbeginn hieß es noch, ukrainische Kräfte seien bei der Stadt eingekesselt worden.
Im Donezker Gebiet bereiteten russische Einheiten zudem eine Offensive auf die Kleinstadt Wuhledar vor. Aus dieser konnten am Samstag nach ukrainischen Angaben rund 200 Menschen evakuiert werden.
Im Süden des Landes gebe Russland zudem keine Versuche auf, eine Offensive gegen die Industriegroßstadt und Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Krywyj Rih, zu führen, heißt es in dem Bericht weiter. Die Versuche seien bisher erfolglos gewesen. Die russischen Truppen seien aber auf der Suche nach Schwachstellen in der Verteidigung der ukrainischen Sicherheitskräfte und bauten Kräfte für die Operation gegen die Stadt mit über 600.000 Einwohnern auf. Diese Angaben waren unabhängig nicht überprüfbar.
Bei der Evakuierung eines Dorfes östlich von Kiew wurden offenbar sieben Menschen getötet. Das meldete der ukrainische Militärgeheimdienst. Die Dorfbewohner hätten Peremoha verlassen wollen, als es zu einem Beschuss gekommen sei, teilte der Geheimdienst am Samstagabend mit. Die Ukraine machte russische Truppen dafür verantwortlich.
Das russische Verteidigungsministerium sprach am 17. Kriegstag von Angriffen auf „breiter Front“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete seinerseits von erheblichen Verlusten der Angreifer und dem „größten Schlag für die russische Armee seit Jahrzehnten“. Inzwischen seien 12.000 russische Soldaten getötet worden. Die Verluste in den eigenen Reihen seit Kriegsbeginn gab er mit etwa 1.300 Soldaten an. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Aus dem Süden schrieb der Gouverneur des Gebiets Mykolajiw, Witalij Kim: „Die Besatzer haben nachts mit wahllosem, chaotischem Feuer Krankenhäuser und Internate beschossen.“ Die Angreifer hätten ihre Taktik geändert und versteckten sich in Dörfern zwischen Zivilgebäuden. Mykolajiw liegt an der Mündung des Südlichen Bugs ins Schwarze Meer. Sollten russische Truppen die Stadt einnehmen oder umgehen, stünde ihnen der Landweg nach Odessa offen.
Im Osten des bedrängten Landes soll die umkämpfte Kleinstadt Isjum an der Grenze zum Donezker Gebiet laut ukrainischen Angaben bereits etwa zur Hälfte unter russischer Kontrolle stehen. Die angreifenden Truppen hätten sich im nördlichen Teil der Stadt verschanzt. Eine unabhängige Bestätigung dafür war nicht möglich.
Rund um die von den Russen eroberte Stadt Wolnowacha im Donbass versuchten die russischen Truppen nach Kiewer Angaben, eine Offensive zu starten. Heftige Kämpfe habe es zudem um die Ortschaft Rubischne im Luhansker Gebiet gegeben. Ebenfalls im Osten der Ukraine nahmen die Angreifer nach russischen Angaben zahlreiche Ortschaften ein. Laut dem Gouverneur der Region Donezk ist Wolnowacha völlig zerstört; der Kampf um das Territorium der Stadt gehe weiter, so Pawlo Kyrylenko.
Nach ukrainischen Militärangaben versuchen russische Truppen zudem, die nordostukrainische Stadt Tschernihiw aus südwestlicher Richtung zu blockieren. Präsident Selenskyj sagte, die Großstadt mit knapp 280.000 Einwohnern sei ohne Wasserversorgung.
Selenskyj drohte möglichen „Kollaborateuren und Unterstützern Russlands“ in der Ukraine. Wer sich von Angeboten der russischen Besatzer in Versuchung geführt sehe, unterschreibe damit sein eigenes Urteil, sagte er in einer in der Nacht zu Sonntag veröffentlichten Videobotschaft. „Das Urteil lautet, mehr als 12.000 Besatzern zu folgen, die nicht rechtzeitig verstehen konnten, warum die Ukraine nicht angegriffen werden sollte“, sagte der Präsident in Anspielung an die von ihm genannte Zahl von 12.000 getöteten russischen Soldaten.