Bulgariens Ex-Regierungschef Borissow festgenommen

Der frühere bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow ist wegen des Verdachts auf Missbrauch von EU-Geldern festgenommen worden. Auch Ex-Finanzminister Wladislaw Goranow, die frühere Chefin des Haushaltsausschusses des bulgarischen Parlaments, Menda Stojanowa, sowie die frühere Chefin der Regierungspressestelle, Sewdalina Arnaudowa, sind festgenommen worden, wie die amtliche Nachrichtenagentur BTA am Donnerstagabend unter Berufung auf das Innenministerium berichtete.

Borissow und weitere Vertreter seiner Partei seien bei einem „Großeinsatz im Zusammenhang mit 120 Verfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft in Bulgarien“ festgenommen worden, erklärte das Innenministerium in Sofia am Donnerstagabend. An vielen Adressen habe es Durchsuchungen und Beschlagnahmen gegeben, hieß es ohne nähere Details. Borissow war mit kurzer Unterbrechung von 2009 bis 2021 Ministerpräsident Bulgariens gewesen. Borissows bürgerliche GERB-Partei gehört im EU-Parlament zur Europäischen Volkspartei (EVP) - ebenso wie die ÖVP in Österreich oder CDU und CSU aus Deutschland.

„Niemand steht über dem Gesetz“, schrieb Regierungschef Kiril Petkow auf Facebook. Seine Anti-Korruptionspartei PP regiert seit Dezember 2021 mit einem Vier-Parteien-Kabinett. EU-Generalstaatsanwältin Laura Kövesi hatte Sofia am Mittwoch und Donnerstag besucht. Sie traf mit Vertretern der Regierung und der Justiz zusammen.

Der Pressesprecher der GERB-Partei, Nikola Nikolow, bestätige die Festnahme nicht. Die Polizei mache in den Häusern Borissows und den anderen Razzien zur Untersuchung. Die Personen seien aber nicht verhaftet und das Innenministerium verbreite Falschnachrichten. Der GERB-Vizechef und Ex-Außenminister im zweiten Kabinett Borissows, Daniel Mitow, sagte, die Razzia sei ein Versuch der Regierenden, das Volk von den Problemen abzulenken.

Kövesi hatte Petkows „Entschlossenheit“ im Kampf gegen die Korruption hervorgehoben und betont, es sei an der Zeit, dass die bulgarischen Behörden mit der EU-Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung „besonders sensibler Fälle“ zusammenarbeiteten. Laut Kövesi haben Ermittler ihrer Behörde 120 Verfahren wegen Veruntreuung von EU-Geldern eröffnet, darunter Agrarhilfen, Geld für Bauprojekte und zur Abfederung der Folgen der Corona-Krise.

In der Hauptstadt Sofia gab es unterschiedliche Reaktionen. So versammelten sich ehemalige Kabinettsmitglieder der von Borissow geführten Regierung, darunter Ex-Außenministerin Ekaterina Sachariewa, vor der Polizeizentrale, um gegen die Festnahme zu protestieren. Der GERB-Politiker und EU-abgeordneter Andrej Nowakow erklärte, es seien die „normalen Grenze der Demokratie“ überschritten worden.

Die Politikergruppe wurde aber von ebenfalls dort versammelten Passanten oder Aktivisten verhöhnt. In der Nacht wurden in der Nähe des Wohnorts von Borissow spontane Feuerwerke abgefeuert. Dies wurde in den Medien als Freudensbekundung interpretiert.

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