Russland verstärkt Beschuss in der Ukraine
Russland hat seine Offensive in der Ukraine wieder verstärkt. Aus mehreren Städten des Landes wurde am Freitag Raketenbeschuss gemeldet, auch nahe der westukrainischen Großstadt Lwiw. Gleichzeitig greifen nach russischen Angaben prorussische Separatisten in der umzingelten südostukrainischen Stadt Mariupol an. Bei einem Angriff auf ein Wohnviertel in Kiew sind laut Bürgermeister Vitali Klitschko ein Mensch getötet und 19 verletzt worden. Zwei Tote gab es auch in Kramatorsk.
Unter den Verwundeten im Kiewer Stadtteil Podil seien vier Kinder, sagte Klitschko am Freitag in einem Video, das er auf Telegram veröffentlichte. Russische Truppen hätten Wohnhäuser, Kindergärten und eine Schule beschossen. Nach Angaben der Hauptstadtverwaltung wurden seit Beginn des Krieges 222 Menschen getötet. 889 weitere Menschen seien zudem verletzt worden. Diese Angaben lassen sich unabhängig nicht überprüfen.
Beim Beschuss der Großstadt Kramatorsk im Gebiet Donezk in der Ostukraine sollen zwei Menschen getötet und sechs verletzt worden sein. Pawlo Kyrylenko vom Koordinierungszentrum der Region machte die russische Armee für den Angriff verantwortlich. „Die Russen sind nicht in der Lage, einen fairen Krieg zwischen Armeen zu führen, also schießen sie immer wieder Zivilisten nieder“, teilte er am Freitag bei Telegram mit. Kyrylenko zufolge trafen Raketen ein Wohn- und ein Verwaltungsgebäude. Russland bestreitet, zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen.
In der Nähe der Stadt Lwiw schlugen nach Behördenangaben mehrere Raketen auf dem Gelände eines Flughafens ein. Auch ein Werk für Flugzeugwartungen sei getroffen worden. Das Gebäude sei zerstört worden, teilte Bürgermeister Andrej Sadowyj mit. Es habe keine Opfer gegeben. Der Betrieb in dem Werk sei gestoppt worden.
Über dem angegriffenen Gebiet stieg eine dichte Rauchwolke auf. Rettungskräfte seien im Einsatz, erklärte Sadowyj. Lwiw ist Zufluchtsort und Durchgangsstation für Hunderttausende Flüchtlinge aus dem Rest der Ukraine, auch viele westliche Diplomaten haben sich von der Hauptstadt Kiew nach Lwiw begeben.
Besonders umkämpft ist weiterhin Mariupol im Süden des Landes. Dort erhalten die prorussischen Separatisten Unterstützung von russischen Truppen, meldete die Nachrichtenagentur RIA. „In Mariupol ziehen die Einheiten der Volksrepublik Donezk mit Unterstützung der russischen Streitkräfte ihren Belagerungsring enger und bekämpfen die Nationalisten im Zentrum der Stadt“, erklärte das russische Verteidigungsministerium.
Die ukrainische Regierung versucht nach eigenen Angaben erneut Fluchtkonvois aus Städten zu organisieren. Doch häufiger Beschuss durch russische Streitkräfte verhindert eine sichere Evakuierung von Städten und Dörfern an der Front in der Region Luhansk.
Noch immer völlig unklar ist die Zahl der Opfer nach dem Bombardement eines als Schutzort genutzten Theaters in Mariupol. Der Bombenschutzkeller des Gebäudes habe den Beschuss überstanden und 130 Menschen seien bisher gerettet worden, erklärte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denisowa, am Freitag. Die Arbeiten, um den Zugang zu dem Keller freizubekommen, dauerten demnach an. Schätzungen zufolge hatten etwa 1.000 Menschen in dem Theaterkeller Schutz gesucht.
Der ukrainische Abgeordnete Sergiy Taruta erklärte, Russlands Blockade der Stadt behindere die Rettungsbemühungen. Zwar hätten es einige Menschen aus dem zerstörten Theater hinaus geschafft. Aber die anderen, „die das Bombardement überlebt haben, werden unter den Trümmern des Theaters sterben, oder sind schon tot“.
Ukrainischen Angaben zufolge sind für Freitag landesweit erneut neun Fluchtkorridore geplant, über die Zivilisten aus umkämpften Gebieten in Sicherheit gebracht werden sollen. Aus Mariupol sollen Menschen ins nordwestlich gelegene Saporischschja fliehen können, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk am Vormittag in einer Videobotschaft. Weitere sogenannte Korridore soll es beispielsweise in der nordöstlichen Region Sumy geben, die aus verschiedenen Städten ins zentralukrainische Poltawa führen.
Nach Mariupol sei zudem noch immer ein Tanklaster mit Kraftstoff für Privatautos auf dem Weg, sagte Wereschtschuk. In den vergangenen Tagen war Tausenden Zivilisten die Flucht aus Mariupol in eigenen Fahrzeugen geglückt. Viele stecken aber weiter fest in der Stadt am Asowschen Meer, in der es seit Tagen keinen Strom, kein Wasser und keine Heizung mehr gibt. Hilfskonvois kommen nach Angaben aus Kiew nicht bis zu den Menschen dort durch.
Nach ukrainischen Angaben erzielte die russische Armee am Freitag keine Geländegewinne. Ukrainische Truppen hätten sie daran gehindert, erklärte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar im Fernsehen. Die russischen Einheiten kämpften mit logistischen Schwierigkeiten bei Treibstoff und Lebensmitteln sowie Kommunikationsproblemen. Unabhängig überfrüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Russlands Armee hat unterdessen nach eigenen Angaben einen ukrainischen Raketenangriff auf die südukrainische Stadt Melitopol abgewehrt. In der Nacht habe das ukrainische Militär Raketen vom Typ Totschka-U auf Wohngebiete der von russischen Einheiten besetzten Stadt gefeuert, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die mit Streumunition bestückten Raketen seien über der Stadt Saporischschja abgefangen worden. Ukrainische Stellungen, von denen aus die Raketen abgefeuert worden seien, seien zerstört worden. Auch diese Angaben lassen sich nicht verifizieren.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnt unterdessen davor, dass die Lieferkette bei Lebensmitteln in der Ukraine zusammenbreche. Zahlreiche Infrastrukturen seien zerstört, Geschäfte und Lagerhäuser leer. Besonders bedrohlich sei die Lage in eingekesselten Städten wie Mariupol, sagt der WFP-Koordinator für die Ukraine, Jakob Kern. Konvois des Programms seien nicht in der Lage, in die Stadt zu gelangen.