BVwG erkennt Abschiebung von Tina als rechtswidrig

Die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina, ihrer damals fünfjährigen Schwester und ihrer Mutter im Jänner 2021 nach Georgien war rechtswidrig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nun entschieden. Wie aus dem der APA vorliegenden Urteil hervorgeht, hat das BVwG den Beschwerden gegen die Abschiebung stattgegeben.

Das Urteil bezieht sich auf eine Maßnahmenbeschwerde gegen die fremdenpolizeiliche Abschiebung am 28. Jänner 2021, die als rechtswidrig erkannt wurde. Der Asylbescheid und die Rückkehrentscheidung standen dabei nicht zur Debatte, hier war der Rechtsweg bereits ausgeschöpft. Gegen dieses Urteil des BVwG als Erstinstanz könnte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) noch Revision einlegen. Darüber hätte dann der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zu entscheiden.

Das BVwG verweist in seinem der APA vorliegenden Urteil darauf, dass die in Wien geborene Tina bis zu ihrer Abschiebung mehr als zehn Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht und somit „ihre grundsätzliche Sozialisierung“ hier erfahren habe. Es sei daher von einem „sehr ausgeprägten Bezug“ zu Österreich auszugehen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Abschiebung auch nicht mehr in einem „anpassungsfähigen Alter“ befunden. Vielmehr sei von einer „bereits starken Verwurzelung“ in Österreich auszugehen und dass nur ein geringer Bezug zu Georgien bestehe. Der Vollzug der Abschiebung erwies sich für das BVwG ohne erneute Abwägung des Kindeswohls als „unverhältnismäßig“.

Das BFA kündigte in einer Stellungnahme gegenüber der APA an, dass es „aus heutiger Sicht vermutlich eine Revision einlegen“ werde. Den Vorwurf, ohne erneute Abwägung die Abschiebung vollzogen zu haben, wies das BFA zurück und betonte, dass die letzte Prüfung über die Zulässigkeit unmittelbar vor der Abschiebung stattgefunden habe. Das Bundesamt stellte auch fest, dass seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung zur Ausreiseverpflichtung die Mutter vier Abschiebeversuche vereitelt habe. Das könne man zwar den Kindern nicht vorwerfen, aber in einem Rechtsstaat könne nicht akzeptiert werden, dass man durch rechtswidriges Verhalten Vorteile erhalte. Und dass sich Tina zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht mehr in einem anpassungsfähigen Alter befand, sei auch nur deshalb der Fall, weil sich die Mutter jahrelang sämtlichen Abschiebeversuchen entzogen habe.

Die inzwischen 13 Jahre alte Tina war am 30. Dezember 2021 wieder nach Wien zurückgekehrt und hatte am 25. Februar ein Schülervisum erhalten. Das Mädchen war am 28. Jänner 2021 mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester unter Protesten nach Georgien abgeschoben worden. Seit ihrer Rückkehr nach Wien lebt sie bei einer Gastfamilie. Ihre Schwester und die Mutter blieben in Georgien.

Tagelang protestierten damals Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde, aber auch Teile der Bevölkerung gegen die Abschiebung. Auch die Sitzblockaden vor dem Familienabschiebezentrum haben am Ende nichts geholfen. Ihre zwangsweise Außerlandesbringung hatte damals auch Verwerfungen in der Türkis-Grünen-Koalition und eine Debatte über Kinderabschiebungen ausgelöst.

SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner forderte eine Entschuldigung des damaligen Innenministers und jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP). Außerdem müsse das Innenministerium „umgekrempelt“ werden und sämtliche Empfehlungen der Kindeswohlkommission müssten sofort umgesetzt werden, verlangte Einwallner in einer Aussendung.

Die NEOS-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper, zeigte über die Entscheidung erfreut, es sei aber auch „tragisch, dass es in einem Rechtsstaat überhaupt so weit gekommen ist“, hielt sie gegenüber der APA fest. Das BVwG-Urteil sei auch ein Urteil über das Verhalten des damaligen Innenministers Nehammer. Denn während auf Basis der geltenden Rechtslage Tina und ihrer Familie zur Wahrung des Kindeswohls ein humanitäres Bleiberecht zugestanden wäre, habe dieser sogar nach einer Prüfung an der falschen Position festgehalten, beklagte Krisper. Sie fordert, für ähnlich gelagerte Fälle ein unabhängiges Kinderrechte-Monitoring einzurichten. Bei Entscheidungen über das humanitäre Bleiberecht sollten darüber hinaus die betroffenen Länder bzw. Gemeinden künftig stärker eingebunden werden. Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) forderte in einer der APA übermittelten Stellungnahme Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) auf, dieses Unrecht wieder gut zu machen.

Das Netzwerk Kinderrechte betonte in einer Aussendung, dass das Wohl des Kindes grundsätzlich bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen eine vorrangige Erwägung sein müsse. Dieser in der Verfassung verankerte Vorrang des Kindeswohls sei bei der Abschiebung nicht ausreichend beachtet worden.