Kampf um Charkiw - Isjum isoliert - Feuerpause in Luhansk
Ukrainische Einheiten haben nach eigenen Angaben bei Kämpfen um Charkiw im Osten des Landes einen Angriff russischer Truppen abgewehrt. Dabei seien am Dienstagabend von russischer Seite auch Kampfhubschrauber vom Typ Ka-52 eingesetzt worden, so der regionale Befehlshaber Oleg Sinegubow zur „Ukrajinska Prawda“. Zu der rund 100 Kilometer von Charkiw entfernten Stadt Isjum gibt es indes keine Verbindung mehr. Für die Region Luhansk gilt seit 08.00 MEZ offenbar eine Feuerpause.
Die Lage im belagerten Isjum sei schwierig, hieß es. Alle Bemühungen um einen humanitären Korridor seien bisher von russischer Seite abgelehnt worden. Das russische Militär hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau ein Waffen- und Ausrüstungslager nahe der nordwestukrainischen Stadt Riwne zerstört. Das Lager sei von See aus mit hoch präzisen Langstreckenwaffen beschossen worden. Vor zwei Tagen hatte das Ministerium bereits den Beschuss einer ukrainischen Militäreinrichtung in derselben Region gemeldet.
Für die Region Luhansk ist nach Angaben des zuständigen Gouverneurs eine Feuerpause vereinbart worden. Sie solle ab 09.00 Uhr Ortszeit (08.00 Uhr MEZ) gelten, erklärt Serhij Gaidaj auf Telegram. Ziel sei es, durch die Kämpfe in der ostukrainischen Region eingeschlossene Zivilisten in Sicherheit zu bringen.
Für die Rettung der Zivilbevölkerung aus umkämpften Städten und Dörfern in der Ukraine waren am Mittwoch nach Angaben aus Kiew insgesamt neun Fluchtkorridore vorgesehen. So sollte die Evakuierung der belagerten Hafenstadt Mariupol fortgesetzt werden, wie Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer Videobotschaft sagte. Für die Fahrt in die südukrainische Großstadt Saporischschja stünden rund zwei Dutzend Busse bereit. Nach russischen Angaben halten sich in Mariupol am Asowschen Meer noch 100.000 bis 150.000 Menschen auf. Dort herrschen katastrophale Bedingungen, es gibt kaum Essen, Wasser und Strom.
Auch aus den Orten Polohy und Huljajpole sind Fluchtkorridore nach Saporischschja geplant. Nordöstlich der Hauptstadt Kiew sind drei Routen vorgesehen: Aus Welyka Dymerka, dem benachbarten Bohdaniwka und Switylnja sollen Menschen in die Kiewer Vorstadt Browary gebracht werden, aus Borodjanka nordwestlich der Hauptstadt ist eine Evakuierung ins südlich gelegene Bila Zerkwa geplant. Schließlich soll es zwei Fluchtkorridore im ostukrainischen Gebiet Luhansk geben, von Rubischne sowie Nyschnje jeweils nach Bachmut.
Die Evakuierungsrouten geben Beobachtern Hinweise auf den Frontverlauf sowie die Schwerpunkte der Kämpfe. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, diese Korridore zu beschießen und Zivilisten an der Flucht zu hindern.
Die ukrainischen Streitkräfte halten nach Angaben ihres Generalstabs die Stellung trotz fortdauernder russischer Luftangriffe. Der Vormarsch des Gegners werde an mehreren Fronten gestoppt, zum Beispiel bei Slowjansk im Gebiet Donezk im Südosten, teilte der Generalstab in Kiew am Mittwochmorgen mit. Auch Mykolajiw im Süden werde verteidigt, ebenso Tschernihiw im Nordosten. Zur Lage in der seit Wochen besonders heftig umkämpften südostukrainischen Hafenstadt Mariupol teilte die Militärführung lediglich mit, die ukrainischen Kräfte verteidigten sich gegen Angriffe aus allen Richtungen. Die Berichte aus der Kampfzone waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.
Die ukrainische Polizei hat nach eigenen Angaben ihre Arbeit in der umkämpften Kiewer Vorstadt Irpin wieder aufgenommen. „Die Gegend wird von Saboteuren gesäubert“, schrieb der ukrainische Polizeichef Ihor Klymenko am Mittwoch auf Facebook. „Aber die Hauptaufgabe ist, Zivilisten zu helfen und zu evakuieren, die immer noch in Irpin sind.“ Die Polizei helfe zudem Militäreinheiten, die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen, die eigentlich etwa 60.000 Einwohner hat, schrieb Klymenko weiter.
Irpin ist seit Wochen Ziel russischer Angriffe. Einheiten Russlands hatten nach ukrainischen Angaben bis zu 30 Prozent der Stadt besetzt, die etwa 20 Kilometer nordwestlich vom Kiewer Stadtzentrum entfernt liegt. Die Mitteilung zur Polizeiarbeit soll nach Ansicht von Beobachtern nun zeigen, dass die ukrainischen Kräfte wieder weitgehend die Kontrolle zurückerlangt haben. Unabhängige Einschätzungen der Situation vor Ort gibt es nicht. Die Kämpfe gehen aber weiter. „Die russischen Besatzer beschießen Irpin weiterhin gnadenlos“, schrieb Klymenko.
Das russische Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, Kampfhubschrauber vom Typ Ka-52 hätten ein ukrainisches Munitionslager zerstört. Ein Ort wurde nicht genannt. Die ukrainische Seite hatte zuvor von Angriffen dieser Hubschrauber im Raum Charkiw im Osten des Landes berichtet. Die Angaben beider Seiten über das Kriegsgeschehen lassen sich derzeit nicht überprüfen.
Laut einem Vertreter des US-Verteidigungsministeriums ist die Kampfkraft der russischen Truppen unter 90 Prozent ihren Potenzials zu Beginn der Invasion gesunken. Belege nannte er nicht. Russland hat zuletzt offiziell Angaben über Verluste am 2. März gemacht. Damals waren demnach 498 Soldaten gefallen und 1.597 verwundet worden. Der Berater der US-Regierung für nationale Sicherheit, Jake Sullivan, schätzt, dass die Zahl der getöteten russischen Soldaten mittlerweile in die Tausende geht.
Nach russischen Angaben hat es zwischen Russland und der Ukraine bisher zwei Mal einen Gefangenenaustausch gegeben. Das sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Moskau.