Kiew: Russische Truppen greifen weiter an
Russische Truppen greifen nach Angaben des ukrainischen Militärs weiter zahlreiche Städte und Gebiete im ganzen Land an - sind allerdings bei der Hauptstadt Kiew am Vorrücken gehindert worden. Beim Kiewer Vorort Browary seien russische Truppen gestoppt worden, postete der ukrainische Generalstab Donnerstagnacht auf Facebook. Es sei ihnen nicht gelungen, die ukrainischen Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, um den nordwestlichen Stadtrand der Hauptstadt Kiew zu erreichen.
Im Gebiet rund um die belagerte Stadt Isjum versuchten russische Einheiten, Abwehrstellungen der ukrainischen Streitkräfte in den südlich von Isjum gelegenen Dörfern Donezke, Topolske und Kamjanka zu durchbrechen, hieß es in dem Bericht weiter. Die Gefechte dort dauerten an. Im Gebiet Donezk sei die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Einheiten unter Beschuss. Russische Truppen wollten in dem Gebiet vor allem die Orte Werchnoterezke, Marjinka und die Großstadt Mariupol einnehmen. Sie versuchten auch ohne Kampf die Positionen ukrainischer Truppen zu passieren und sich vorwärtszubewegen.
Im Gebiet Luhansk konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Städte Rubischne mit 60.000, Sjewjerodonezk mit 100.000 und Popasna mit 20.000 Einwohnern, hieß es in dem Bericht weiter. Bei Popasna versuchten sie mit Artillerie-Unterstützung weiter in die Stadt vorzudringen, was aber nicht gelinge.
Auch im Norden des Landes dauerten die Kampfhandlungen an. Russische Einheiten hätten am Mittwoch die Orte Kalinowka, Horinka, Romanowka oder die nordöstlichen Randgebiete der Hauptstadt Kiew mit Artillerie beschossen. Russische Truppen verminten in dem Gebiet auch Bereiche. Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden.
Laut Angaben eines Pentagon-Vertreters ist es der ukrainischen Armee gelungen, die russischen Truppen im Osten von Kiew deutlich zurückzudrängen. Die russischen Streitkräfte hätten sich dort binnen 24 Stunden mehr als 30 Kilometer weit zurückgezogen, sagte der ranghohe Vertreter des US-Verteidigungsministeriums, der anonym bleiben wollte, am Mittwoch vor Journalisten. „Wir beginnen zu sehen, wie sie sich verschanzen und Verteidigungspositionen aufbauen“, fügte er hinzu.
Nicht voran kommen die russischen Streitkräfte nach Einschätzung des Pentagon auch in der Umgebung der nördlich von Kiew gelegenen Großstadt Tschernihiw. Dort säßen die russischen Soldaten zehn Kilometer vom Zentrum entfernt fest. In einigen Bereichen seien die russischen Soldaten zuletzt zurückgewichen. „Sie bewegen sich sogar in die entgegengesetzte Richtung, aber nicht viel“, erklärte der Ministeriumsvertreter.
Nordöstlich von Kiew erhöht die Ukraine nach Einschätzung britischer Geheimdienste den Druck auf die russischen Streitkräfte. Diese stünden dort bereits vor erheblichen Problemen in der Versorgung und in ihrer Kampfmoral, hieß es in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen. Ukrainische Streitkräfte führten zudem erfolgreiche Gegenangriffe gegen russische Stellungen in Orten am Rande der Hauptstadt durch und hätten möglicherweise Makariw und Moschun zurückerobert. Es bestehe „eine realistische Möglichkeit, dass die ukrainischen Streitkräfte nun in der Lage sind, russische Einheiten in Butscha und Irpin einzukreisen“, hieß es weiter.
Dem Pentagon-Vertreter zufolge konzentriert sich die russische Armee inzwischen verstärkt auf die prorussischen Separatistengebiete Luhansk und Donezk. Demnach verfolgt das russische Militär offenbar die Strategie, die entlang der früheren Frontlinie in der Ostukraine stationierten ukrainischen Streitkräfte zu „binden“, damit sie „nicht anderswo eingesetzt werden können“.
Die Lufthoheit haben die russischen Streitkräfte nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums auch einen Monat nach Kriegsbeginn noch immer nicht erobert. Der Luftraum sei weiterhin umkämpft, stellte der Pentagon-Vertreter fest. Die USA und ihre Verbündeten arbeiteten daran, den Ukrainern mehr Luftabwehrsysteme mit großer Reichweite zu beschaffen. Die derzeit vorhandenen Systeme setzten die Ukrainer „sehr effektiv“ ein. Das sei ein Grund dafür, „warum wir ein ziemlich risikoscheues Verhalten einiger russischer Piloten beobachten“.
Weiter hieß es in dem Journalisten-Briefing, die von US-Präsident Joe Biden bewilligten Waffenlieferungen aus einem Militärhilfe-Paket für die Ukraine mit einem Umfang von 800 Millionen Dollar (730 Millionen Euro) würden sehr bald auf den Weg gebracht. Damit sollten der Ukraine nach Angaben Bidens aus der vergangenen Woche Tausende Panzerabwehrwaffen, rund 800 Luftabwehrraketen, 7.000 Feuerwaffen wie Maschinenpistolen, zahlreiche Granatwerfer, 20 Millionen Schuss Munition und sogar Drohnen zur Verfügung gestellt werden.
Auch Großbritannien will weitere Waffen liefern. Man werde 6.000 weitere Raketen schicken, darunter auch Panzerabwehrwaffen und andere Geschosse, kündigte der britische Premierminister Boris Johnson am Mittwochabend vor dem Beginn des NATO-Gipfels am Donnerstag an.