USA und EU geben Ukraine über eine Milliarde Euro für Waffen
Vor der erwarteten Großoffensive Russlands stellen die USA und die EU der bedrängten Ukraine zusammen über 1,2 Milliarden Euro für Waffenlieferungen zur Verfügung. Nachdem die EU-Staaten am Mittwoch eine weitere Hilfstranche in Höhe von 500 Millionen Euro beschlossen, gab US-Präsident Joe Biden nach einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj Waffenlieferungen im Umfang von 800 Millionen Dollar (736,58 Mio. Euro) bekannt.
Man werde Kiew unter anderem Artilleriesysteme und -munition sowie Panzerfahrzeuge liefern, sagte Biden am Mittwochnachmittag (Ortszeit) in Washington. Biden begründete die Lieferungen mit der erwarteten russischen Offensive im Donbass. Man wolle damit die Fähigkeit der Ukraine stärken, sich zu verteidigen, sagte Biden. Er zeigte sich erfreut über die Wirkungen der bisherigen US-Lieferungen. „Das ukrainische Militär hat die von uns zur Verfügung gestellten Waffen mit vernichtender Wirkung eingesetzt“, sagte er. „Sie haben dabei geholfen, dass [der russische Präsident Wladimir] Putin mit seinen ursprünglichen Zielen, die Ukraine zu erobern und zu kontrollieren, gescheitert ist.“
Die USA liefern als Teil ihrer neuen Militärhilfe erstmals auch Haubitzen an die Ukraine. Die 18 Geschütze haben ein Kaliber von 155 mm, wie aus der Ankündigung hervorgeht. Der Militärexperte John Spencer von der Denkfabrik Madison Policy Forum begrüßte die Entsendung von Artillerie mit zugehöriger Munition. „Man braucht diese größeren, stärkeren Waffen, um mit dem mithalten zu können, was Russland mitbringt für die versuchte Einnahme der Ostukraine“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Ukraine solle auch „zusätzliche Hubschrauber“ bekommen - zuletzt hatten die USA vor dem Krieg die Lieferung von Helikoptern bestätigt. Weiters sind auf der Liste der US-Lieferungen an die Ukraine unter anderem Radarsysteme, Mannschaftstransporter, unbemannte Drohnen, Panzerabwehrlenkwaffen, autonome Schiffe zur Küstenverteidigung, Schutzausrüstung für chemische und nukleare Vorfälle sowie schusssichere Westen und Helme zu finden.
Die US-Regierung hat der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar damit bereits Waffen im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar zugesagt oder geliefert. Seit Anfang vergangenen Jahres summieren sich die US-Hilfen für Kiew so auf insgesamt rund 3,2 Milliarden Dollar.
Selenskyj berichtete nach dem rund einstündigen Gespräch mit Biden, dass auch eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland vereinbart worden sei.
Die EU hatte zuvor angekündigt, sie werde weitere 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Auch dies begründete der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit der erwarteten russischen Offensive im Osten der Ukraine. Der britische Verteidigungsstaatssekretär James Heappey forderte Berlin auf, schwere Waffen an die Ukraine zu liefen. „Wenn der Übergang zu einer konventionellen Kriegsführung auf offenem Gelände kommt, dann braucht es gepanzerte Fahrzeuge und Kampfjets“, sagte der konservative Politiker der „Welt“ (Online/Mittwoch).
Selenskyj war zuvor in einer Videobotschaft in die Offensive gegangen und hatte konkrete Waffengattungen aufgezählt, die sein Land benötige. „Wir brauchen dringend schwere Artillerie, schwere Panzerfahrzeuge, Luftabwehrsysteme und Flugzeuge“, sagte der 44-Jährige in einer auf Englisch am Mittwoch verbreiteten Videobotschaft. Dabei zählte er Artilleriesysteme mit NATO-Kaliber von 155 Millimeter auf, aber auch Artilleriemunition des sowjetischen Kalibers von 152 Millimeter. Kiew brauche Mehrfachraketenwerfer des sowjetischen Typs „Grad“ (Hagel), „Smertsch“ (Wirbelsturm) oder US-amerikanische M142 HIMARS. Zudem nannte er sowjetische Panzer des Typs T-72 - „oder ähnliche US-amerikanische oder deutsche“. In der Aufzählung folgten dann Flugabwehrsysteme aus sowjetischer Produktion des Typs S-300 oder BUK (Buche) - „oder gleichwertige moderne westliche Flugabwehrsysteme“.
Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly kündigte nach einem Gespräch mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Oleksij Resnikow an, dass Paris weiteres Waffen liefern werde. Frankreich habe der Ukraine bereits für 100 Millionen Euro Militärmaterial geliefert. Auf ukrainische Bitten hin habe sie Resnikow zugesagt, dass Frankreich zusätzliche militärische Kapazitäten zur Verfügung stellen wird, über das gelieferte Material im Wert von 100 Millionen Euro hinaus.
Selenskyj drängte die EU indes zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Die EU solle ihrem neuen Sanktionspaket ein Importverbot für russisches Öl hinzufügen, sagte er in einer Videobotschaft an das estnische Parlament. Es brauche ein europaweites Embargo. „Wenn Europa Zeit verschwendet, wird Russland dies nutzen, um das Kriegsgebiet auf weitere Länder auszudehnen“, sagte Selenskyj. Sanktionen seien das einzige Instrument, das Russland zum Frieden zwingen könne.
„Wir können Russland entweder aufhalten - oder ganz Osteuropa für sehr lange Zeit verlieren“, so Selenskyj, der neuerlich schwere Vorwürfe gegen den Kriegsgegner erhob. So habe Russland im Krieg auch Phosphorbomben eingesetzt, sprach der Präsident wörtlich von „Terror gegen die Zivilbevölkerung“. Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas forderte in ihrer Reaktion „harte Energiesanktionen“ und einen raschen EU-Gipfel zu diesem Thema.
Während die Präsidenten Polens und der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen der Ukraine einen Solidaritätsbesuch abstatteten, appellierte der legendäre frühere litauische Präsident Vytautas Landbergis in einem offenen Brief an den deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und den deutschen Kanzler Olaf Scholz, mehr für die Ukraine zu tun. Konkret forderte er ein Öl- und Gasembargo sowie Militärhilfe. „Jeden Tag, an dem Ihre Regierung den Verkauf oder die Lieferung von deutschen Waffen, Panzern, Artillerie und Munition an die Ukraine zurückhält, unterstützen Sie die Aggression Moskaus“, so Landsbergis, der die damalige Sowjetrepublik Litauen im Jahr 1990 in die Unabhängigkeit geführt hatte.
Steinmeier hätte eigentlich an der Reise der vier Präsidenten nach Kiew teilnehmen sollen, wurde aber von der ukrainischen Regierung ausgeladen. Dies sorgte in Deutschland parteiübergreifend für Empörung. Steinmeier selbst machte sich am Mittwochabend für Solidarität mit der Ukraine stark. Dies bedeute auch „Sanktionen, die spürbar Folgen und Härten für uns haben. Solidarität heißt auch die Bereitschaft, Lasten zu tragen“, sagte er in einer Rede im Jüdischen Museum Berlin.
Unterdessen reagierte Russland auf diplomatische Sanktionen der USA und Kanadas und verhängte Einreiseverbote gegen 398 Kongressabgeordnete und 87 kanadische Senatoren. Es seien noch weitere Gegenmaßnahmen geplant, hieß es am Abend in Moskau. Am 24. März setzte die US-Regierung Hunderte Duma-Abgeordnete und weitere Mitglieder der russischen Elite auf ihre Sanktionsliste. Kanada schloss sich den US-Sanktionen an.