Goebbels-Bezug geht auch in Bolsonaros Brasilien zu weit
Brasiliens Kultursekretär Alvim imitierte in einer Videoansprache offensichtlich NS-Propagandaminister Goebbels. Der Aufschrei war riesengroß, Alvim musste gehen. In Zeiten des rechten Präsidenten Bolsonaro scheint es in Brasilien doch noch Grenzen zu geben.
Von Martina Farmbauer, dpa
Rio de Janeiro – Roberto Alvim sitzt aufrecht an einem Schreibtisch, hinter ihm an der Wand hängt ein gerahmtes Foto des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Auf dem Tisch des Kultursekretärs steht prominent platziert ein Holzkreuz. Nur kurz nach Beginn seiner Videoansprache, die das brasilianische Sekretariat für Kultur auf Twitter veröffentlichte, sagt der 47-Jährige Sätze, die stark Aussagen von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ähneln – und in Brasilien Entsetzen und Entgeisterung auslösten. Als der Druck immer größer wird, entlässt Präsident Bolsonaro (64) seinen Kultursekretär.
In dem inzwischen gelöschten Video sagte Alvim: „Die brasilianische Kultur des nächsten Jahrzehnts wird heroisch sein, und sie wird national sein. (...) Oder sie wird nichts sein.“
Wagners „Lohengrin” als Hintergrundmusik
Brasilianische Medien wie das Nachrichtenportal G1 oder die Zeitung Folha de S. Paulo, die sogar einen Text auf Deutsch veröffentlichte, verglichen die Passagen mit Aussagen von Goebbels und stellten die beiden Stellen übereinander. Sie verwiesen auf eine Goebbels-Biografie des deutschen Historikers Peter Longerich. Demnach hatte Goebbels vor Theaterleitern 1933 gesagt: „Die deutsche Kunst des nächsten Jahrzehnts wird heroisch, sie wird stählern romantisch (...) sein, oder sie wird nichts sein.“
Auch der Aufbau des Videos, der Ton des Vortrags und die Hintergrundmusik – aus der Oper „Lohengrin“ von Richard Wagner – erinnerten brasilianische Kritiker an Nazi-Propaganda.
Die Wahl Bolsonaros im Oktober 2018, der die Militärdiktatur verehrt, hat Brasilien weit nach rechts gerückt. Die US-Tageszeitung New York Times sah in dem Video den jüngsten Brennpunkt in einer breiteren Debatte über Kultur- und Meinungsfreiheit im Brasilien. Der rechte Präsident hatte mit dem Versprechen Wahlkampf betrieben, nach einer Phase von linksgerichteten Regierungen, die er des „kulturellen Marxismus‘“ beschuldigte, den Kurs zu korrigieren. Kritiker werfen ihm vor, dass er und seine Verbündeten dogmatisch an Themen wie Kunst, Bildung und Sexualität herangehen.
Nach dem Amtsenthebungsverfahren gegen die linke Präsidentin Dilma Rousseff im April 2016 hatte Bolsonaro seine Stimme deren Folterer gewidmet. Auf einmal war es salonfähig, Dinge zu sagen, die zuvor unvorstellbar waren.
Bei einer Rede in der Hebraica in Rio im April 2017 erregte Bolsonaro – ein Hinterbänkler aus Brasília, der in Fernsehshows eingeladen wurde, wenn man jemanden brauchte, der markige Sprüche machte – Aufsehen mit unsäglichen Äußerungen über Frauen, Schwule, Schwarze und Indigene. So führt er das auch als Präsident Brasiliens weiter, nur dass er sich nun etwa wegen der verheerenden Waldbrände im Amazonas-Gebiet mit Kanzlerin Angela Merkel anlegte und Brigitte Macron, Ehefrau des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, beleidigte. Auch Minister halten mit ihrer Gesinnung nicht hinter dem Berg, aber sie verhalten sich subtiler als Alvim.
Empörung auf Twitter und bei Politikern
Am Freitagmorgen gehörte „Goebbels“ zu den am meisten benutzten Begriffen auf Twitter in Brasilien. Nutzer teilten ihren Schrecken in Texten und Bildern. Während sich die Empörung ausbreitete, forderten verschiedene Politiker Alvims Rücktritt. „Der Kultursekretär hat alle Grenzen überschritten“, schrieb etwa Rodrigo Maia von der Mitte-Rechts Partei „Democratas“ (DEM). Er ist Präsident der Abgeordnetenkammer.
Maia und das Unterhaus haben sich immer wieder gegen Bolsonaro gestellt, der ohne handlungsfähige Koalition dasteht und viel mit Dekreten regiert. Ausgerechnet das Unterhaus, in dem mehrere Traditionsparteien wie die DEM auf der „alten Politik“ verharren - das heißt politische Unterstützung für gewisse Gegenleistungen - ist so ein Bewahrer der Demokratie.
Auch José Antonio Dias Toffoli, Präsident des Obersten Bundesgerichts, sagte in einer Stellungnahme, dass Alvims Bemerkungen vehement zurückgewiesen werden müssten. Sie würden das brasilianische Volk angreifen, besonders die jüdische Gemeinschaft.
„Unabsichtlichen Fehler“
Die deutsche Botschaft in Brasília verurteilte die Rede. Man stelle sich gegen jeden Versuch, eine Zeit zu banalisieren oder zu verherrlichen, die unendliches Leiden für die Menschheit gebracht habe, heißt es in einer Erklärung in den sozialen Medien.
Und selbst Olavo de Carvalho, Bolsonaros esoterischer Guru, übte Kritik. „Es mag noch zu früh sein zu urteilen“, schrieb er auf Facebook. „Aber Roberto Alvim ist wohl nicht richtig im Kopf.“
Alvim entschuldigte sich auf Facebook für einen „unabsichtlichen Fehler“. Aus Brasília hieß es, er habe noch versucht, mit seinem Förderer Bolsonaro zu sprechen. Aber da soll dieser bereits bei einem Essen gewesen sein. Außerdem berichten verschiedene Medien von einer Einladung an die Schauspielerin Regina Duarte, Alvims Nachfolgerin zu werden. Duarte ist für ihre rechte Einstellung bekannt.