Vorsichtige Lockerung der Corona-Beschränkungen in etlichen Staaten
In den kommenden Wochen wollen viele Länder nach den strikten Covid-19-Ausgangsbeschränkungen langsam und etappenweise zurück zur Normalität kehren. Es herrschen allerdings noch viele Unsicherheiten.
Rom/London/Paris – Nach wochenlangem Stillstand wegen der Corona-Pandemie lockern einige Staaten vorsichtig und schrittweise ihre teils einschneidenden Beschränkungen im Alltags-und Wirtschaftsleben. So können etwa bald mehr Kinder wieder in die Schule oder den Kindergarten gehen, Menschen öfter Sport im Freien machen und Geschäfte unter strengen Auflagen wieder öffnen.
Italien hebt ab dem 4. Mai eine Reihe von Beschränkungen auf und erlaubt etwa wieder mehr Sport im Freien und mehr Bewegungsmöglichkeiten in der eigenen Region. Das kündigte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Sonntagabend zusammen mit seinem Plan zur Öffnung des Landes an. Auch die Wirtschaft soll in mehreren Etappen starten. Italiens Schulen bleiben aber bis zu den Sommerferien geschlossen, sie öffnen erst im September wieder.
Italien registrierte seit Februar mehr als 26.600 Corona-Tote. Insgesamt zählte der Zivilschutz fast 200.000 Menschen, die sich mit dem Sars-CoV-2-Erreger infiziert hatten – es gibt aber eine hohe Dunkelziffer. Nach Wochen des steilen Anstiegs der Zahlen gab es dennoch zuletzt positive Signale. So entspannte sich die Lage in den lange überfüllten Krankenhäusern.
Langsame Öffnung in der Schweiz
In der Schweiz dürfen ab Montag Friseurgeschäfte, Kosmetik- oder Nagelstudios sowie Baumärkte und Gartencenter wieder öffnen. Ärzte und Physiotherapeuten können ihre Praxen wieder auch für nicht dringende Termine öffnen, Krankenhäuser dürfen wieder seit Beginn der Krise aufgeschobene Eingriffe vornehmen. Maskenpflicht besteht in der Schweiz nicht, aber die Geschäfte müssen verschärfte Hygieneauflagen einhalten und für Abstand zwischen den Kunden sorgen. Schulen und weitere Geschäfte sollen in zwei Wochen wieder öffnen. Wenn die Zahl der Infektionen nicht deutlich steigt, sollen ab 8. Juni auch Berufs- und Hochschulen sowie Museen, Bibliotheken und Zoos wieder öffnen.
Nach einer viertägigen weitgehenden Ausgangssperre in der Millionenmetropole Istanbul und 30 weiteren Städten und Provinzen dürfen die Menschen in der Türkei ihre Häuser wieder verlassen. Das Ausgehverbot lief in der Nacht auf Montag ab. Die Maßnahme war seit Donnerstag, einem Feiertag in der Türkei, in Kraft. Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, der am Freitag begonnen hatte, ist in der Türkei das Fastenbrechen in Gruppen untersagt. Die Behörden erlassen seit drei Wochen in 31 Städten und Provinzen weitgehende Ausgangssperren übers Wochenende. Zudem gilt ein Ausgehverbot für Menschen ab 65 Jahren und - mit Ausnahmen - für unter 20-Jährige. Insgesamt hat die Türkei rund 110.000 Coronavirus-Fälle gemeldet, rund 2.800 Menschen sind an der Krankheit gestorben.
Johnson wieder im Dienst
In Großbritannien wird am Montag mit Spannung erwartet, wie sich Premierminister Boris Johnson nach überstandener Covid-19-Erkrankung präsentiert. Der 55-Jährige Tory-Politiker hatte sich in den vergangenen zwei Wochen auf dem Landsitz Chequers erholt. Zuvor musste er nach der Infektion eine Woche im Krankenhaus verbringen, drei Tage sogar auf der Intensivstation. Erst am Sonntagabend war er wieder in den Regierungssitz Downing Street zurückgekehrt, am Montag leitet er eine Sitzung des Corona-Kabinettsausschusses. Seine Regierung steht wegen der hohen Zahl an Todesfällen durch das Coronavirus unter Druck. Am Samstag überstieg die Gesamtzahl der im Krankenhaus gestorbenen Infizierten die Marke von 20.000. Trotzdem werden die Rufe nach einer Lockerung der Kontaktbeschränkungen wegen der Schäden für die Wirtschaft immer lauter.
Im vom Virus stark getroffenen Spanien war am Sonntag wieder Kinderlachen und fröhliches Gekreische auf den Straßen zu hören. Nach sechs Wochen kompletter Ausgangssperre durften Kinder bis 14 Jahre erstmals wieder das Haus verlassen - und das sind landesweit etwa 5,8 Millionen. Es gelten aber strenge Auflagen: Nur ein Elternteil darf maximal drei Kinder begleiten, zudem ist die Zeit der täglichen Ausflüge auf eine Stunde zwischen 9 und 21 Uhr in einem Radius von einem Kilometer begrenzt.
Die Zahlen der Gesundheitsbehörden geben weiter Grund zur Hoffnung: Den dritten Tag in Folge wurden mehr Genesene als neu mit Sars-CoV-2 Infizierte registriert. Zudem wurde die niedrigste Zahl von Todesfällen in Zusammenhang mit dem Virus seit dem 20. März verzeichnet: Seit Samstag starben 288 Menschen, insgesamt stieg die Zahl der Toten damit auf mehr als 23.000. Wenn die Zahlen stabil bleiben, können die Spanier voraussichtlich ab dem 2. Mai auch wieder zusammen mit Menschen aus demselben Haushalt spazieren gehen, zudem soll das Joggen erlaubt werden, wie die Regierung ankündigte. Am Dienstag will das Kabinett einen Plan verabschieden.
Mehrere US-Länder drängen auf Lockerungen
In den USA ziehen nach ersten umstrittenen Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen im US-Bundesstaat Georgia diese Woche weitere Staaten nach. In Tennessee sollen am Montag Restaurants unter bestimmten Bedingungen für Gäste öffnen, am Mittwoch soll es Bewegung im Einzelhandel geben. Zudem soll am Donnerstag in Texas die Anordnung, dass Bürger weitgehend zu Hause bleiben müssen, auslaufen, wie US-Medien berichteten. Die Beraterin von US-Präsident Donald Trump, die Ärztin Deborah Birx, machte allerdings deutlich, dass noch lange nicht an Normalität zu denken sei. Präsident Donald Trump verzichtete am Wochenende auf seine Corona-Pressekonferenzen. Vergangene Woche hatte er mit Äußerungen zu möglichen Desinfektionsmittel-Injektionen gegen das Virus für Irritationen und Kritik gesorgt.
In einigen Teilen des besonders heftig von der Pandemie betroffenen US-Bundesstaates New York könnten erste Unternehmen ab Mitte Mai wieder öffnen, sagte Gouverneur Andrew Cuomo. Bis dahin müsse sich die Lage aber weiter bessern. Besonders schwierig wird die Öffnung in der dicht besiedelten Millionenmetropole New York City werden. Dort hatte sich das neuartige Coronavirus deutlich schneller als in anderen Städten der USA verbreitet.
Die Regierung in Paris will dem Parlament am Dienstag einen Plan für die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen vorlegen. Premierminister Édouard Philippe kündigte auf Twitter an, der Plan, den er vorlegen werde, beinhalte sechs Punkte: "Gesundheit (Masken, Tests, Isolation ...), Schule, Arbeit, Geschäfte, Transport und Versammlungen." Die Abgeordneten sollen anschließend beraten und abstimmen.
Frankreich geht etappenweise vor
Präsident Emmanuel Macron hatte bereits angekündigt, dass die seit dem 17. März geltenden Beschränkungen vom 11. Mai an gelockert werden sollen. Bisher ist bekannt, dass Schulen und Kitas etappenweise öffnen, Restaurants bis Ende Mai geschlossen und größere Versammlungen mindestens bis Mitte Juli verboten bleiben sollen. In Frankreich wurden bisher 124.575 Ansteckungen mit dem Coronavirus vermeldet. 22.856 Menschen starben (beides Stand Sonntag) bisher nach einer Ansteckung mit dem Virus.
Die von einem Oppositionsbündnis geführte ungarische Hauptstadt Budapest verhängt ab diesem Montag eine Maskenpflicht in bestimmten öffentlich zugänglichen Bereichen. Bürger, die Geschäfte, Einkaufszentren oder Märkte aufsuchen oder öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis benutzen, müssen Mund und Nase mit einer Maske oder einem Textilstück abdecken.
In ganz Ungarn gelten seit einem Monat Ausgangsbeschränkungen. Die Bürger sollen ihre Wohnungen nur aus triftigen Gründen verlassen. Im öffentlichen Raum müssen sie einen Mindestabstand von eineinhalb Metern zueinander einhalten. Der rechts-konservative Ministerpräsident Viktor Orban hatte sich Ende des Vormonats vom Parlament umfassende und zeitlich unbefristete Vollmachten zur Bewältigung der Corona-Pandemie geben lassen.
Trotz Kritik hat Australien eine Corona-Warn-App eingeführt, die auf freiwilliger Basis genutzt werden kann. Die App wurde nach einem Vorbild aus dem autoritär regierten Stadtstaat Singapur entwickelt. Sie erkennt nach Angaben der Regierung mithilfe der Bluetooth-Technologie von Handys, ob sich ein Mensch im Abstand von bis zu 1,5 Metern zu einem Infizierten aufgehalten hat. Die verschlüsselten Daten werden dann an die staatlichen Gesundheitsbehörden weitergeleitet. Auf diese Weise sollen Infektionsketten schneller nachverfolgt werden können. Gespeichert werden die Daten auf einem zentralen Server in Australien. (APA/dpa)