Coronavirus

Kinder als Superspreader: Was wir wissen und was nicht

Seit Wochen sind in Österreich die Schulen und Kindergärten geschlossen, Kinder sollen zuhause bleiben.
© AFP/Martin

Kinder und Jugendliche gelten bei Viruserkrankungen oft als so genannte „Superspreader“, also als Personen, die Viren besonders stark verteilen. Auch bei den SARS-CoV-2-Infektion lag diese Annahme anfangs nahe. Thomas Müller von der Uni Innsbruck erklärt, wie weit die Forschung und die medizinische Erfahrung hier mittlerweile ist.

Innsbruck – Kinder gelten bei Infektionskrankheiten oft als so genannte Superspreader – also als Personen, die Viren besonders schnell und intensiv weitergeben. Auch bei SARS-CoV-2-Infektion lag diese Annahme nahe. Doch mittlerweile gibt es neue Erkenntnisse. Viele Fragen sind aber weiter offen. Thomas Müller, Direktor der Univ.-Klinik für Pädiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck erklärt, was schon evidenzbasiert bekannt ist und was noch erforscht werden muss.

In Tirol wurden bis 1. April 2020 in Tirol 63 Kinder und Jugendliche positiv auf das Coronavirus getestet. Seitdem sind nur mehr vereinzelte positive Tests in dieser Gruppe hinzugekommen. Somit fielen zum Stichtag 1. April 2020 gerade einmal 2,6 Prozent aller getesteten Infizierten auf die Altersgruppe der 0 bis 18-Jährigen. Lediglich zwei Kinder mit einer nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektion wurden bisher an der Universitätsklinik für Pädiatrie betreut. Beide hatten einen sehr milden Verlauf, berichtet Thomas Müller.

Das entspreche österreichweiten und internationalen Erfahrungen: Kinder entwickeln nur sehr selten eine schwere Infektion mit Atembeschwerden und/oder Organversagen. Trotzdem wurden Kindergärten und Schulen geschlossen, für viele unverständlich. Müller klärt Fragen zum aktuellen Wissensstand, zu möglichen schweren Verläufen bei Kindern und gibt Eltern Tipps, worauf sie achten sollten.

Kinder galten anfangs der Covid-19-Pandemie als „Superspreader“. Hat sich diese Theorie bestätigt?

Thomas Müller: Das ist die brennende Frage, die uns alle interessiert, insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden schrittweisen Öffnung von Kindergärten und Schulen. Gesichert ist, dass über 90 Prozent der Infektionen bei Kindern asymptomatisch oder sehr mild verlaufen. Die Sorge ist, dass sich Kinder in der Schule unbemerkt infizieren, in weiterer Folge zu Hause Eltern und Geschwister infizieren könnten. Eine Voraussetzung für eine zusätzliche Verbreitung der SARS-CoV-2-Infektion in der Bevölkerung.

Wie ansteckend sind infizierte Kinder für Erwachsene Kontaktpersonen tatsächlich?

Müller: Eine Studie aus China hat mit statistischer Signifikanz gezeigt, dass Kinder aller Altersgruppen und Erwachsene die gleichen Infektionsraten in Haushalten hatten. Wir brauchen dringend weitere Studien in so genannten Familien-Clustern in Regionen mit hoher Prävalenz von Infizierten. Die können wir durchführen, wenn wir verlässliche Antikörpertests vornehmen können, um auch asymptomatisch abgelaufene Infektionen in den Familien zu detektieren. Wir wissen bisher nicht, ob asymptomatisch infizierte Kinder weniger oder mehr Viren über den Rachen ausscheiden als Erwachsene, so dass indirekte Schlüsse über deren tatsächliches Übertragungsrisiko nicht geliefert werden können. Cluster-Analysen in Familien und Haushalten sowie Studien über die Höhe der Viruslast im Rachen bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen könnten uns bereits in einigen Wochen diese wichtigen Antworten geben.

Kinder haben einen milden Verlauf, trotzdem kam es international auch zu Todesfällen bei Kindern. Wie ist das zu erklären?

Müller: In der Medizin ist es meist so, dass etwas nicht zu 100 Prozent gilt. Wir wissen aber aus allen Studien bisher, dass Kinder viel seltener schwere Atembeschwerden entwickeln. Schwere Covid-19-Verläufe bei Kindern und Jugendlichen sind Einzelfälle. Warum das so ist, darüber gibt es bis jetzt nur Hypothesen und Spekulationen. Wir haben in der Kinderklinik in Innsbruck bisher nur zwei Kinder mit Covid-19 behandelt. Ein sieben Jahre altes Kind zählte sogar zu einer Hochrisikogruppe mit einer akuten Leukämie unter laufender Chemotherapie. Die Mutter war zuvor positiv getestet worden, und das immunsupprimierte Kind präsentierte sich mit Fieber. In beiden Fällen gab es erfreulicherweise einen sehr milden Verlauf.

Worauf sollten Eltern achten, wenn sie Eltern wieder in die Schule oder in den Kindergarten schicken?

Müller: Wenn die Maßnahmen jetzt wieder schrittweise gelockert werden, sollten Eltern ihre Kinder sehr genau beobachten, ob sie Symptome entwickeln. Also: „Hat mein Kind eine rinnende Nase, Husten, ist es verkühlt, Fieber oder unspezifische Zeichen eines Infekts wie Abgeschlagenheit?“ Im Zweifelsfall, wenn es bei einem Kind Hinweise auf eine Infektion gibt, dann gilt als erste Maßnahme: Unbedingt zu Hause bleiben! Die Hauptinfektionszeit ist vorbei, daher wäre es aus meiner Sicht angezeigt, im Falle von diesen Symptomen großzügig Abstrichtests auf SARS-CoV-2 vorzunehmen, sobald ein Kind nur die geringsten Anzeichen eines Infektes zeigt.

Thomas Müller im Gespräch.
© MUI/F. Lechner

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