Brennpunkt Bundesheer

Gaiswinkler: „Beim Heer greift die Politik tief in Postenbesetzungen ein“

Soldat und Offizier aus Leidenschaft: Deshalb nimmt sich Brigadier Johann Gaiswinkler kein Blatt vor den Mund.
© Hörl/Militärkommando

Heer in Not: Der Kommandant der 6. Gebirgsbrigade in Absam, Johann Gaiswinkler, fordert für eine Reform auch eine Entpolitisierung der Streitkräfte.

Wie wirkt sich in der 6. Gebirgsbrigade die allgemein unbefriedigende Situation im österreichischen Bundesheer aus?

Brigadier Johann Gaiswinkler: Da müssen wir zwischen dem Tagesgeschäft und der allgemeinen Situation unterscheiden. Unter der generellen Lage leidet nicht nur die 6. Gebirgsbrigade, sondern das Bundesheer insgesamt. Negative Einflussfaktoren sind die Finanzen, die Politik und das eigene Unvermögen. Über die Finanzen müssen wir nicht diskutieren, da liegt alles auf dem Tisch. Heuer sind wir bei 2,545 Milliarden Euro, im nächsten Jahr geht das Heeresbudget wieder runter. Die Personalkosten fressen die Investitionen auf. Man will offensichtlich nicht mehr für das Heer ausgeben, obwohl wir es unseren ausländischen Partnern immer wieder anders kommunizieren. Das ist allerdings ein Widerspruch.

Die von Übergangs-Verteidigungsminister Thomas Starlinger geforderte Anhebung des Heeresbudgets in den nächsten zehn Jahren auf 3,1 Milliarden Euro wird es so vermutlich nicht spielen?

Gaiswinkler: Egal, wie wir uns mit der Reform drehen und wenden, am Ende des Tages landen wir wieder beim Geld. Der zweite Aspekt ist die Politik, weil sie beim Militär tief in Postenbesetzungen eingreift. Und daher haben wir in der jetzigen Situation sehr viele schweigende Generäle, weil sie aufgrund irgendwelcher Beziehungen in die jeweilige Position gekommen sind. Es sind nicht alle so, aber ein gewisser Teil schon. Schon auf der Ebene der Bataillonskommandanten mischt die Politik mit. Und ich behaupte, dass dabei nicht immer die besten Offiziere zum Zug kommen, sondern diejenigen, die gerade zur jeweiligen Administration passen.

Also ist es um die Qualität des Führungspersonals auch nicht zum Besten bestellt?

Gaiswinkler: Es hat Entscheidungen gegeben, bei denen der Zweit-, Dritt- oder Viertbeste genommen wurde. Das geht quer durch alle Farben, egal, welche Partei das war.

Die Politik trägt demnach Mitschuld am inneren Zustand des Heeres.

Gaiswinkler: Sie ist mitverantwortlich dafür, dass wir zu viele Generäle haben, wahrscheinlich sogar mehr als aktive Leutnants. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Das kam auch deshalb zustande, weil eine Reform die andere gejagt hat und die Politik überall die Finger drinnen hat. Ich habe mich einmal um die Position eines Bataillonskommandanten beworben, darin waren dann drei Nationalräte, der Bundespräsident und der Landeshauptmann involviert. Das ist, höflich ausgedrückt, schon eine eigenartige Situation.

Weil Sie vorher die Reformen angesprochen haben: Zuletzt hat doch jeder Verteidigungsminister eine Reform verkündet.

Gaiswinkler: Fast jeder, aber keine ist jemals mit letzter Konsequenz umgesetzt worden. Eigentlich sind wir über die Jahre immer schwächer geworden. Als ich in den 1990er-Jahren Kommandant einer schweren Kompanie in Spittal an der Drau war, hatte ich mehr Waffensysteme als heute als Brigadekommandant mit fünf Bataillonen. Wir sind in einzelnen Bereichen besser geworden, wie im Umgang mit den Grundwehrdienern. Oder in der Präzision beim Schießen. Aber das ist verschwindend gering im Vergleich zu den Verschlechterungen.

Sie vertreten die Truppe, wird die Truppe noch gehört?

Gaiswinkler: Wie geht es der Truppe? Ein Zitat von Alexander Puschkin drückt es am besten aus: Wir, die Willigen, von den Unwissenden geführt, tun das Unmögliche für die Undankbaren. Wir haben so lange so viel mit so wenig vollbracht, dass wir inzwischen in der Lage sind, alles mit nichts zu erreichen. Das gibt die Stimmung der Truppe derzeit wieder.

In der Corona-Krise war das Bundesheer im Assistenzeinsatz ein wichtiger Eckpfeiler. Hat das die Stimmung nicht verbessert?

Gaiswinkler: Dem kann ich nicht zustimmen. Im Regierungsprogramm ist die Stärkung der Truppe klar verankert. Wir haben uns alle erwartet, dass sie es jetzt endlich angehen und den großen Wiener Moloch mit den Zentralen, den Ämtern oder den Schulen durchforsten. Wo kann man da sparen, wo können wir effizienter werden? Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Plötzlich wird von der Auflösung der Brigaden und der Truppe geredet, die dem Militärkommando unterstellt werden sollen. Mag schon sein, dass der eine oder andere, der jetzt im Assistenzeinsatz war, zufrieden ist. Doch die generelle Stimmung in der Truppe ist schlecht.

Wie steht es um die Ausrüstung?

Gaiswinkler: Wenn ich bei mir die Jägergruppe mit acht Mann hernehme und das dann über die Brigade lege, dann kann ich drei bis vier Mann davon mit einem vernünftigen Standard ausrüsten. Der Rest hat nichts. Da spreche ich aber nicht die Bewaffnung an, denn da sind wir de facto entwaffnet. Da sind wir weit weg von einem modernen Standard. Die Hägglunds haben wir bekommen, das ist ein tolles Produkt, das uns dient und hilft. Aber jetzt haben wir kein Geld für einen Tieflader oder für ein Bergesystem. Und was tun wir, wenn wir einmal im Gelände hängen bleiben? Ich möchte aber auch noch die Panzer erwähnen.

In welchem Zusammenhang?

Gaiswinkler: Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte im Vorjahr gemeint, dass vielleicht der Panzerkampf im Weinviertel nicht mehr das Zukunftsbedrohungsszenario sei. Den hat es nicht gegeben und ist ein Totschlagargument. Natürlich benötigen wir bei der Gebirgstruppe ebenfalls Panzer. International gesehen, hat jede Gebirgstruppe mechanisierte Fahrzeuge. Das ist ja nicht nur ein Fahrzeug für die ,Panzerschlacht‘, sondern da geht es notfalls auch um den Schutz der Zivilbevölkerung. Sollte einmal die Zivilbevölkerung evakuiert werden müssen, dann benötige ich schweres Gerät. Ein Panzer ist nicht nur als Kampffahrzeug zu sehen, sondern er ist mehr – auch ein Bergemittel.

Die Zusammenführung mit den Militärkommandos wird von Brigaden strikt abgelehnt. Warum?

Gaiswinkler: Da gibt es mehrere Aspekte: Das Militärkommando ist ein Verwaltungskörper und ein Verbindungsorgan, es macht Einsätze unterer Intensität. Wir in der Brigade trainieren Einsätze mittlerer und hoher Intensität. Wir üben immer im Verbund, bei uns sind alle vertreten, u. a. Pioniere, Artillerie, Jäger, Funker oder die Aufklärung. Die jetzige Idee vergleiche ich damit, wenn etwa die Stadt Innsbruck sagen würde, wir lösen das Kommando der Berufsfeuerwehr Innsbruck auf und die Stadtgärtnerei übernimmt jetzt diese Funktion. Beides hat seine Berechtigung, aber ein Verwaltungsorgan ist kurz- und mittelfristig nicht in der Lage, dieses Zusammenwirken zu bewerkstelligen. Wenn dann noch die beabsichtigte Bundesländergrenze kommen sollte, gibt es in Tirol nur zwei verminderte Jägerbataillone mit sehr geringen Fähigkeiten.

Wo liegt aus Ihrer Sicht der Fehler in der aktuellen Reformdebatte?

Gaiswinkler: In Wien herrscht ein Denkfehler vor, weil man offensichtlich an die alten Landwehrstammregimenter denkt. Damals hatten wir in Tirol alles – von den Pionieren bis hin zur Artillerie. Aber davon ist nichts mehr da. Wenn jetzt etwa das Konstrukt von Landwehrstammbataillonen geschaffen wird, dann muss man erst alles wieder aufbauen. Und das kostet wiederum Geld. Um ein ineinandergreifendes Zusammenwirken aufzubauen, benötigt es schon zehn Jahre. Sollten wir die aktuelle Struktur zerschlagen, ist in den nächsten zehn Jahren nichts.

Was könnte aus Ihrer Sicht das wahre Motiv für die mögliche Verschmelzung der Brigaden mit den Militärkommanden sein?

Gaiswinkler: Das weiß ich nicht. Der Weg ist insofern absurd, als er sich von allen internationalen bzw. europäischen Entwicklungen entfernen würde, wo Brigaden gebildet werden. Entweder man geht davon aus, sich viel Geld zu sparen, was so nicht stimmt. Dann kommen wir bereits wieder zur Politik. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es politische Günstlinge aus der zweiten und dritten Reihe gibt, die mit einem Versprechen ausgestattet sind, vielleicht mehr zu werden, und dann Kompromisse eingehen, die nicht klug sind.

Sind die Strategen für die Reform, die großteils im Büro von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner sitzen, weit weg von der Heeres-Realität?

Gaiswinkler: Ja, weil wir einen unglaublichen Zentralismus haben. Ich trage zwar einen Stern, aber im Prinzip kann ich in meinem Haus nichts selbst bestimmen. Es werden sogar strategische Weisungen gegeben, wie man einen Fragebogen ausfüllt. Wir haben keine Personal- oder Budgethoheit. Das wird alles zentralistisch mit einem riesigen Apparat von Wien aus gesteuert.

Rückt die klassische Verteidigungsdoktrin nicht in den Hinter- und Cyberabwehr in den Vordergrund?

Gaiswinkler: Wenn ich heute ernsthaft Cyberabwehr oder Drohnenabwehr betreiben möchte, muss ich viel Geld in die Hand nehmen. Das kann ich nicht mit ein paar Computern oder ein paar Experten bewältigen. Wer sagt uns denn, dass uns im Falle des Falles die NATO wirklich beisteht? Sollten wir weiter Trittbrettfahrer sein, werden uns unsere Partner einmal fragen: Ihr habt bis jetzt nichts beigetragen, warum sollen wir euch trotzdem helfen? Ich glaube nicht an einen zeitnahen militärischen Konflikt an unserer Grenze, aber es geht auch um eine mögliche Terrorbekämpfung. Wir sind derzeit mit unserer Ausrüstung und Bewaffnung am untersten Limit. Das Einzige, was das Bundesheer derzeit noch rettet, ist der Wille unser Leute. Zerstören wir diese Strukturen, dann ist es aus.

Wie sehen Sie die personelle Zukunft des Heeres?

Gaiswinkler: Wenn alles so kommt, wie es verbreitet wurde, dass es keine Landesverteidigung und kein militärisches Selbstverständnis mehr gibt, verlieren wir sicher unsere Leute. Wird die Gebirgs- oder die Panzergrenadierbrigade aufgelöst, nehme ich den Soldaten etwas weg – Identität und Corpsgeist.

Fehlt Ministerin Klaudia Tanner die militärische Denke?

Gaiswinkler: Ich weiß nicht, ob ein Politiker diese militärische Denke überhaupt benötigt. Es hängt immer von den Beratern ab und davon, welche politische Agenda der Minister verfolgt. Hans Peter Doskozil hat die eigene Partei überrascht, weil er ziemlich robust in das Heer hineingefahren ist. Ihm ist es gelungen, einen Geist zu prägen. Er wurde als hemdsärmeliger Minister wahrgenommen, die Leute haben gesagt, er steht vor uns. Dann ist die blaue Administration gekommen. Da haben wir uns gedacht, jetzt geht es weiter. Das war nicht der Fall, eine Zeitlang ist überhaupt nichts passiert. Im Gegenteil, es wurden wieder politische Besetzungen vorgenommen. Danach war die Ära zu Ende und wir waren sehr dankbar für das Reformpapier von Thomas Starlinger.

Und Tanner?

Gaiswinkler: Ich habe in einigen persönlichen Gesprächen mit der Ministerin zwei Ebenen wahrgenommen: Da ist sie im persönlichen Gespräch sehr sympathisch und aufgeschlossen, aber gibt es noch eine Kerngruppe, die etwas macht, das von außen angestoßen wird.

Meine Sie damit Generalsekretär Dieter Kandlhofer?

Gaiswinkler: Er ist ja nur der Katalysator für Militärs, die dahinterstehen. Denen hat man möglicherweise etwas versprochen, weshalb sie willfährige Erfüllungsgehilfen gegen den Hausverstand sind.

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft Ihrer Brigade?

Gaiswinkler: Ich würde mir wünschen, dass man die Truppe einmal in Ruhe lässt und sich zuerst einmal die Zentralstelle, die Ämter, die Schulorganisation und vor allem die Prozesse im Bundesheer anschaut. Je weniger Ausrüstung wir erhalten haben, desto mehr wurde die Verwaltung aufgebläht. Die erste Hausaufgabe wäre, die starren Strukturen aufzulösen. Das geht bis zum Dienstrecht, weil wir flexibler werden müssen. Dann würde ich mir eine Entpolitisierung der Streitkräfte wünschen, denn es muss endlich Leistung etwas wert sein. In Niederösterreich soll es derzeit einen Fall mit einem Bestgereihten geben, doch er wird es nicht, weil seine Lebensgefährtin die Vizebürgermeisterin einer Gemeinde ist und leider die falsche Parteifarbe hat. Und drittens hoffe ich, dass wir nicht einfach alles über Bord werfen und auf dieser Basis moderner und besser werden.

Das Interview führte Peter Nindler