Russland

Nawalny darf nach Deutschland geflogen werden, bisher kein Gift gefunden

Eine Unterstützerin von Alexej Nawalny.
© OLGA MALTSEVA

Der 44-Jährige hatte auf einem Flug von Sibirien nach Moskau massive Gesundheitsprobleme bekommen. Seine Maschine musste in der Stadt Omsk zwischenlanden, wo er in eine Klinik kam.

Omsk – Im Streit um eine Behandlung des in Lebensgefahr schwebenden Kreml-Kritikers Alexej Nawalny haben die russischen Ärzte einer Verlegung des Patienten zugestimmt. Sein Team lehne "einen Transport in ein anderes Krankenhaus, das die Angehörigen uns nennen" nicht mehr ab, sagte der stellvertretende Chefarzt des behandelnden Krankenhauses im russischen Omsk, Anatoli Kalinitschenko, am Freitag.

Nawalny war am Donnerstag mit Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er gehört zu den prominentesten Kritikern von Präsident Wladimir Putin. In den vergangenen Jahren hatte er beständig Korruption angeprangert und war als Organisator von Protesten gegen die Regierung wiederholt in Haft. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron boten eine Behandlung in ihren Ländern an.

Noch kein Gift gefunden

Die Ärzte in Russland nach eigenen Angaben bisher keine Anzeichen einer Vergiftung von Nawalny festgestellt. "Bisher wurde kein Gift im Blut und Urin gefunden", sagte der stellvertretende Chefarzt des Omsker Krankenhauses, Anatoli Kalinitschenko, am Freitag vor Journalisten.

Nach Darstellung der Ärzte in dem Krankenhaus soll er an einer Stoffwechselstörung leiden. "Das ist die Hauptdiagnose, zu der wir am ehesten neigen", sagte Chefarzt Alexander Murachowski. Eine Vergiftung schloss er aus.

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch hatte zuvor den Vorwurf erhoben, der Aktivist sei "absichtlich vergiftet" worden.

Merkel bietet Behandlung in Deutschland an

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstag eine Behandlung Nawalnys in einem deutschen Krankenhaus angeboten. In der Nacht zu Freitag war ein von der Organisation "Cinema for Peace" organisiertes Flugzeug mit Ärzten an Bord von Deutschland nach Omsk gestartet, das den Kreml-Kritiker nach Berlin bringen soll.

Allerdings haben die Ärzte in dem russischen Krankenhaus laut Jarmysch ursprünglich gesagt haben, dass Nawalny nicht transportfähig sei. Nun ist es aber scheinbar doch möglich. Die deutschen Ärzte fühlten sich nach eigenem Bekunden in der Lage und seien auch gewillt, Nawalny nach Berlin zu fliegen. Laut dem Gründer der Initiative Cinema for Peace, Jaka Bizilj, hat sich die Berliner Charité bereit erklärt, Nawalny zu behandeln.

Als wahrscheinlich gilt, dass der 44-Jährige noch am Freitag mit einem Spezialflugzeug nach Berlin gebracht wird.

Der Filmproduzent Bizilj hatte bereits im Jahr 2018 dabei geholfen, den vergifteten Kritiker von Präsident Wladimir Putin, Pjotr Wersilow, von der Künstlergruppe Pussy Riot zur Behandlung nach Deutschland zu bringen. "Auch bei diesem diesem Transport vor zwei Jahren hatte es Verzögerungen gegeben und am Ende klappte alles", sagte Bizilj. Wersilow wurde schließlich in der Berliner Charité behandelt.

Anti-Korruptions-Kämpfer und erbitterte Gegner des russischen Präsidenten

Nawalny hat eine Stiftung gegründet, die immer wieder Fälle von Korruption und den dekadenten Lebensstil von Mitgliedern der russischen Elite aufdeckt. Zuletzt befand er sich auf Wahlkampftour durchs Land, um den Sieg regierungsnaher Kandidaten bei Regionalwahlen im September zu verhindern. Er wurde schon mehrfach festgenommen, mehrfach gab es körperliche Attacken gegen ihn.

Nawalnys Stiftung deckt immer wieder Fälle von Korruption und den dekadenten Lebensstil von Mitgliedern der russischen Elite auf. Er wurde schon mehrfach festgenommen, mehrfach gab es körperliche Attacken gegen ihn. (APA/AFP/dpa)

Internationale Pressestimmen

Zum möglichen Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny schreiben die Zeitungen am Freitag:

De Standaard (Brüssel):

"Der 44-jährige Alexej Nawalny ist der prominenteste Kritiker des Kremls und Wladimir Putins. Er wurde bekannt durch seine populären Blogs, in denen er die Korruption des Regimes entlarvte. In den vergangenen Jahren war er mehrfach im Gefängnis, weil er Protestaktionen gegen die Regierung organisiert hat. Immer wieder wurde er auf offener Straße von Anhängern der Regierung angegriffen. (...)

In jüngster Zeit nutzte der Oppositionsführer die Situation in Belarus (Weißrussland), wo seit Tagen gegen Präsident Alexander Lukaschenko protestiert wird, um die Russen zu überzeugen, bei den Regionalwahlen im kommenden Monat für Oppositionskandidaten zu stimmen. Auch deshalb verdächtigen Anhänger Nawalnys und Personen aus seiner unmittelbaren Umgebung Putin und den Kreml. Putins Furcht vor Aufständen wie in Belarus könnte ihrer Ansicht nach ein Grund für das Regime gewesen sein, Nawalny für immer zum Schweigen zu bringen."

Trouw (Amsterdam):

"Sollte der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny von einem Geheimdienst vergiftet worden sein, stünde dies in einer langen Tradition. Denn nach Meinung von Experten haben die russischen Sicherheitsdienste Giftmorde zu einer Art Spezialität gemacht. Schon in der Sowjetunion war Gift bevorzugtes Mittel zur Liquidierung. Und unter Präsident Wladimir Putin, selbst ein ehemaliger Spion, wurde diese Tradition wieder aufgenommen. (...) Auch Sicherheitsdienste anderer Länder führen manchmal Liquidierungen mit Gift durch. Beispielsweise versuchten israelische Geheimagenten 1997, Hamas-Führer Chalid Maschal mit einer tödlichen Dosis der chemischen Droge Fentanyl zu töten. Und nordkoreanische Spione ermordeten 2017 einen Halbbruder des Diktators Kim Jong Un auf dem Flughafen von Kuala Lumpur mit dem Nervengas VX. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten haben Putins Dienste alle übertroffen."

Gazeta Wyborcza (Warschau):

"Alexej Nawalny hat mehrfach gesagt, die einzige Garantie für seine Sicherheit sei die Angst der russischen Führung vor einem spontanen Aufstand, wenn ihm etwas passiert. Doch momentan ist die Lage nicht so günstig für den bekannten Kämpfer gegen die Korruption. Ein Großteil der zerstrittenen russischen Opposition erkennt seine Autorität nicht mehr an. Für die Mächtigen dagegen ist Nawalny gerade jetzt gefährlich. In 24 Tagen sollen in Russland unter anderem Gouverneure gewählt werden. Und es gibt Regionen, wo die Emotionen hochkochen - angeheizt von den Protesten in Chabarowsk. Die Menschen gucken auf die Stadt im Fernen Osten, deren Bürger schon seit einem Monat gegen die Verhaftung ihres populären Gouverneurs protestieren.

Wenn die russische Führung also jetzt entschieden hat, Nawalny für immer oder wenigstens für die Zeit der Wahlen unschädlich zu machen, weil sie glaubt, dass sein Stern untergeht, dann könnte sie sich verschätzt haben. Schon gibt es im russischen Internet Stimmen, die sagen, die Verantwortlichen im Kreml und bei den Geheimdiensten sollten für die Gesundheit Nawalnys beten, denn sein Tod könnte die Situation gewaltig destabilisieren."

Dagens Nyheter (Stockholm):

"Alexej Nawalny ist der jüngste Fall einer Reihe von russischen Oppositionellen, die vergiftet oder ermordet worden sind. Das Putin-Regime darf nicht ungestraft damit weitermachen können, Russen anzugreifen, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen. Das Timing für Nawalnys Erkranken ist pikant. Hat es damit zu tun, was in Belarus passiert? Oder ist es Teil von Putins totaler Machtübernahme? Durch die Änderung der Verfassung im Sommer hat er sichergestellt, dass er bis 2036 als russischer Präsident weiterregieren kann, das heißt vermutlich bis zu seinem Tod."