US-Wahl 2020

USA wählen Präsidenten: Szenarien reichen von Machtwechsel bis Staatskrise

Ein Unterstützer von US-Präsident Donald Trump zeigt eine Flagge mit dem Konterfei des Republikaners.
© EVA MARIE UZCATEGUI

US-Wahlen sind komplexe demokratische Operationen. Es ist ein bisschen, als würde Europa alle politischen Positionen auf einmal besetzen. Die Amerikaner wählen nach einem veralteten System einen Präsidenten und einen Kongress, dazu zahlreiche Amtsträger auf regionaler und lokaler Ebene. Der Abstimmungsreigen kann das Land politisch umkrempeln, aber es gibt noch viele Fragezeichen.

Von Floo Weißmann

Washington – Erhält US-Präsident Donald Trump eine weitere Amtszeit? Oder jagen ihn die Wähler nach vier Jahren aus dem Weißen Haus? Bei der heurigen Präsidentenwahl geht es vor allem um die Person des Amtsinhabers, der die Nation spaltet wie kaum ein Vorgänger.

Trumps Gegner scharen sich um den demokratischen Herausforderer Joe Biden. In Umfragen von Pew Research sagten zwei Drittel der Biden-Wähler, ihre Stimme sei vor allem eine gegen Trump, nicht für Biden. Umgekehrt erklärten fast drei Viertel der Trump-Wähler, sie würden vor allem für den Präsidenten stimmen – und nicht gegen seinen Herausforderer.

Die Präsidentenwahl genießt von allen Entscheidungen am Wahltag die größte Aufmerksamkeit. Das hat auch damit zu tun, dass der Präsident als einziger Amtsträger im ganzen Land gewählt wird und damit oft für eine Ära steht. Heuer erscheint die Wahl besonders dramatisch. Überwältigende Mehrheiten in beiden Lagern geben an, dass das Land dauerhaften Schaden nimmt, falls die Gegenseite gewinnt.

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Trump setzt auf loyale Basis

Trump hatte nie eine Mehrheit der Amerikaner hinter sich. Er setzte darauf, mithilfe seiner loyalen Basis und knapper Siege in den „Swing States“ erneut auf eine Mehrheit im Electoral College zu kommen (siehe oben). Doch im Zuge der Pandemie, der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt und nach seinem aggressiven Auftritt im ersten Fernsehduell ist er weiter zurückgefallen.

Zwei Wochen vor dem Wahltag lag Biden im Mittel der landesweiten Umfragen 8,6 Prozentpunkte voran. Das setzte sich regional fort und veränderte die politische Landkarte. In einigen Bundesstaaten, die eigentlich dem republikanischen Lager zugerechnet wurden, zeigten Umfragen plötzlich ein knappes Rennen. Sogar die konservative Hochburg Texas schien erstmals zu wanken.

📊 Prognose: Verteilung der Elektoren nach aktuellem Stand

📅 Wichtige Termine rund um die Wahl

▶️ Wahltag ist gesetzlich der Dienstag nach dem ersten Montag im November – heuer der 3. November. In vielen Bundesstaaten können Wähler aber schon Wochen früher ihre Stimme abgeben, per Brief oder in Wahllokalen. Bis zum 20. Oktober waren bereits fast 38 Millionen Stimmen abgegeben, mancherorts sind die Wähler stundenlang angestanden.

▶️ Das Wahlergebnis stand in der Vergangenheit meist noch am Wahlabend fest. Doch wegen der vielen Briefwahlstimmen, die schwieriger auszuzählen sind, könnte sich das Ergebnis heuer um Tage verzögern – oder sogar um Wochen, falls es Anfechtungen und Neuauszählungen gibt. Zuständig für die Abwicklung der Wahl sind die Bundesstaaten. Bis spätestens zum 8. Dezember müssen sie ihre Ergebnisse ermitteln und ihre Wahlmänner und -frauen bestimmen. Diese treten dann am 14. Dezember zusammen und wählen den Präsidenten.

▶️ Die Amtsübergabe folgt Anfang nächsten Jahres. Am 3. Jänner tritt der neugewählte Kongress zusammen. Am 6. Jänner zählt er formal die Stimmen der Wahlmänner und -frauen. Am 20. Jänner endet laut US-Verfassung die Amtszeit des alten Präsidenten, und die des neuen beginnt. (floo)

Droht politischer und juristischer Großangriff auf Briefwahl?

Nach der Überraschung vor vier Jahren wagt es aber niemand, Trump abzuschreiben. Selbst wenn die Umfragen richtig liegen und eine klare Mehrheit der Wähler für Biden stimmen will, bleibt offen, ob diese Stimmen in der Pandemie alle abgegeben werden und am Ende auch zählen. Der Präsident und die Republikaner arbeiten daran, die Wahlbeteiligung ihrer Gegner zu senken, und sie werden womöglich einen politischen und juristischen Großangriff auf die Briefwahl starten (siehe Kasten unten).

Es droht ein gefährliches Szenario: Laut Pew plant die Hälfte der Trump-Wähler, am Wahltag ein Wahllokal aufzusuchen, aber nur gut ein Fünftel der Biden-Wähler. (Der Rest will vorher wählen, zumeist per Brief.) Das könnte zur Folge haben, dass Trump am Wahlabend zunächst vorne liegt und sich zum Sieger ausruft. In den folgenden Tagen könnte die Auszählung der Briefwahlstimmen dann Biden nach vorne schieben. Amerika droht in diesem Fall eine politische Krise, womöglich begleitet von Unruhen.

📝 Die Briefwahl wird zum Zankapfel

Lange vor dem Wahltag in den USA zeichnete sich bereits ein politischer Konflikt um die Briefwahl ab. Schon vor vier Jahren kam etwa jede vierte Stimme mit der Post, heuer könnte es wegen der Pandemie sogar jede zweite sein, meinen Experten.

Zugleich sät Präsident Donald Trump seit Monaten Zweifel an der Briefwahl. Stimmzettel würden an „Tote und Hunde“ verschickt, behauptete er. Die Briefwahl werde zu massivem Betrug führen, mit dem ihm seine Gegner den Wahlsieg stehlen wollen.

Eine faktische Grundlage dafür gibt es nicht. In einer Studie des unabhängigen Brennan Center waren 0,0025 Prozent der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen von Betrug betroffen, bei Briefwahl noch weniger. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Amerikaner die Briefwahl manipuliere, sei geringer als die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden.

Trumps Kampagne gegen die Briefwahl hat aber schon jetzt zur Folge, dass das Vertrauen in die Integrität der Wahl gesunken ist. Zugleich legt er die Grundlage dafür, eine Niederlage nicht anzuerkennen. Das wäre für die USA politisches Neuland. (floo, dpa)

⛔️ Unterdrückung von Wählerstimmen

Seit schwarze Männer nach dem Bürgerkrieg das Wahlrecht erhielten, gibt es in den USA systematische Bemühungen, die Wahlbeteiligung von Minderheiten und Armen zu senken. Gebühren, die sich viele nicht leisten konnten, sowie Schreib- und Lesetests als Voraussetzungen für die Stimmabgabe wurden erst 1964 bzw. 1970 verboten.

Heute wenden republikanisch regierte Bundesstaaten subtilere Methoden an. Dazu gehören etwa eine kürzere Frist für die vorzeitige Stimmabgabe, die von Minderheiten stärker genutzt wird, oder gezielte Vorgaben, was die Wähler-Identifikation betrifft (dreimal so viele Schwarze wie Weiße haben keinen Führerschein).

Von der Wahl ausgeschlossen sind auch Millionen Amerikaner, die zu einer Haftstrafe verurteilt worden sind, auch wenn sie diese bereits abgesessen haben. Auch davon sind Minderheiten überproportional betroffen.

Nicht der Wahlunterdrückung, aber der Verzerrung des Wählerwillens dient die Praxis, Wahlbezirke zum Vorteil der eigenen Partei zuzuschneiden. Die Republikaner machen dies konsequenter. (floo)

Der Kongress: Mächtiger Gegenspieler des Präsidenten

Das Kapitol, Sitz der beiden Kammern des Kongress, in Washington.
© Jorge Villalba

Die Kongresswahl erregt außerhalb der USA meist weniger Aufmerksamkeit als die Präsidentenwahl, weil es sich um hunderte regionale und lokale Duelle handelt. Insgesamt haben sie aber ebenso große Bedeutung für den politischen Kurs der Supermacht. Anders als etwa in Österreich, wo die Regierung typischerweise über die Parlamentsmehrheit verfügt, führen die beiden Kammern des US-Kongresses ein gewisses Eigenleben. Der Präsident muss stets Kompromisse schließen. Im Extremfall kann ihn eine Kongresskammer innenpolitisch blockieren.

In der Vergangenheit ist es häufiger vorgekommen, dass zur Mitte orientierte Demokraten und Republikaner Lösungen ausverhandelt haben, die dann mit Stimmen aus beiden Parteien verabschiedet wurden. Doch seit den neunziger Jahren hat die politische Polarisierung in Washington stark zugenommen. Es gibt weniger Kompromisse als früher, und anstelle von Mitte-Politikern dominieren rechte Republikaner und linke Demokraten den Diskurs.

Das hat eigene Mehrheiten im Kongress noch wichtiger gemacht. Besonders umkämpft ist heuer der Senat. Sollte es zu einem Machtwechsel im Weißen Haus kommen, entscheidet die Senatswahl darüber, ob die Demokraten ihr Programm umsetzen können. Im Senat verfügen die Republikaner derzeit über eine Mehrheit von 53 zu 47 Stimmen. Doch ein gutes Drittel der Senatoren wird neu bestellt, und laut Umfragen dürften mehrere Rennen knapp ausgehen. Beide Parteien hoffen und zittern.

▶️ Der Senat

Im Senat sitzen je zwei Senatoren für jeden der 50 Bundesstaaten. Den Vorsitz führt der Vizepräsident; er entscheidet bei Stimmengleichheit. In der Praxis liegt die Führung des Senats beim Chef der Mehrheitsfraktion, derzeit der Republikaner Mitch McConnell. Der Senat muss allen Bundesgesetzen zustimmen. Darüber hinaus bestätigt er hohe Beamte auf Vorschlag des Präsidenten – etwa Höchstrichter, Minister und Behördenleiter –, ratifiziert internationale Verträge und verhandelt Amtsenthebungsverfahren.

Im Repräsentantenhaus hingegen verfügen die Demokraten bereits über eine klare Mehrheit. Prognosen zufolge dürfte sich daran wenig ändern, auch wenn alle Abgeordneten neu bestellt werden, was theoretisch größere Verschiebungen ermöglicht.

Im Kongresswahlkampf spielen regionale Faktoren und die Persönlichkeiten der Kandidaten eine wichtige Rolle. Trotzdem schlägt sich ein Bundestrend oft auch im Kongress nieder. Die Demokraten hoffen auf Rückenwind durch eine Abwahl von Präsident Donald Trump.

▶️ Das Repräsentantenhaus

Im Repräsentantenhaus sitzen 435 Abgeordnete, je einer pro Kongressbezirk. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, derzeit die Demokratin Nancy Pelosi, steht nach Präsident und Vizepräsident protokollarisch an dritter Stelle im Staat. Das Repräsentantenhaus muss allen Bundesgesetzen zustimmen. Darüber hinaus kann nur das Repräsentantenhaus Gesetze einbringen, die den amerikanischen Bundeshaushalt betreffen, und nur das Repräsentantenhaus kann ein Amtsenthebungsverfahren einleiten.

📊 Umfrage: Wer gewinnt die Wahl am 3. November?