Corona-Pandemie

Rekordwerte bei Neuinfektionen: Europa stemmt sich gegen die zweite Welle

Die spanische Regierung rief den Gesundheitsnotstand aus.
© BORJA PUIG DE LA BELLACASA

Überall in Europa melden Regierungen Rekordzahlen bei Corona-Neuinfektionen und suchen ihr Heil in immer mehr Alltagsbeschränkungen. Denn eines wollen sie unbedingt verhindern.

Rasant steigende Corona-Zahlen treiben Staaten in Europa zu immer härteren Maßnahmen gegen die Pandemie. So hat Spaniens Regierung am Sonntag einen Gesundheitsnotstand für das gesamte Land ausgerufen. Belgien, Tschechien, Italien und Frankreich meldeten am Wochenende Rekordwerte bei Neuansteckungen. Sie stemmen sich mit Ausgangssperren und neuen Auflagen gegen die zweite Welle, ähnlich wie Frankreich und Italien.

Einen Höchstwert von mehr als 83.000 neuen Infektionen an einem Tag registrierten auch die USA. Die Vereinigten Staaten verzeichnen inzwischen etwa 225.000 Todesfälle in Verbindung mit dem Coronavirus, mehr als jedes andere Land der Welt. Während Präsident Donald Trump im Wahlkampf die Pandemie herunterspielt, wirft ihm sein Herausforderer Joe Biden Versagen vor. Doch auch in Europa gehen Infektions- und Sterbezahlen steil nach oben. Bis Sonntag registrierte die EU-Seuchenbehörde ECDC 208.627 Todesfälle mit oder wegen Corona für die 27 EU-Staaten, Island, Liechtenstein, Norwegen und Großbritannien.

Gemessen an der Bevölkerung sind die kleinen EU-Länder Tschechien (10,7 Millionen Einwohner) und Belgien (11,5 Millionen Einwohner) am härtesten getroffen. In Tschechien starben binnen 14 Tagen zehn von 100.000 Bürgern, in Belgien fünf. Beide Länder meldeten am Wochenende Rekordwerte von mehr als 15.000 Ansteckungen an einem einzigen Tag.

In Italien wurde am Sonntag mit 21.273 registrierten neuen Fällen ein neuer Höchststand erreicht. In den vergangenen zwei Tagen waren es jeweils mehr als 19.000 neu gemeldete Ansteckungen, am Donnerstag noch gut 16.000.

In Frankreich (67 Millionen Einwohner) wurde mit 45.000 neuen Infektionen pro Tag am Wochenende ebenfalls der bisherige Höchstwert überschritten. Seit Samstag gilt dort eine nächtliche Ausgangssperre für rund zwei Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner des Landes, also rund 46 Millionen Menschen.

In Belgien hatte die Regierung ebenfalls eine nächtliche Ausgangssperre verfügt, ebenso wie die Schließung von Lokalen und Restaurants und strikte Kontaktbeschränkungen. Die Regionalregierung für die Hauptstadt Brüssel schärfte dies am Wochenende noch nach. Ab Montag gilt verschärfte Maskenpflicht, alle Theater, Kinos, Museen sowie Sportstätten und Schwimmbäder werden geschlossen. Heimarbeit ist Pflicht, soweit dies möglich ist. Und: Kinder dürfen an Halloween nicht von Tür zu Tür ziehen.

Notstand in Spanien, Sperrstunde in Italien um 18 Uhr

Überall in Europa ziehen Regierungen wieder die Bremse an – auch in dem verzweifelten Bemühen, einen kompletten Lockdown zu vermeiden. Die Ausrufung des Alarmzustands in Spanien, der dritthöchsten Notstandsstufe des Landes, wurde am Sonntag bei einer außerordentlichen Ministerratssitzung in Madrid vereinbart, wie Ministerpräsident Pedro Sanchez mitteilte. Der Notstand, der noch am Sonntag in Kraft trat, gilt zunächst für zwei Wochen. Eine Verlängerung müsste gemäß Verfassung vom Nationalparlament gebilligt werden. Er hoffe, den Notstand mit Unterstützung des Parlaments bis zum 9. Mai verlängern zu können, sagte der Chef der linken Minderheitsregierung.

In Italien sollen ab Montag bis zum 24. November Kinos, Theater, Fitnessstudios, Bäder, Skiresorts und Konzerthallen nicht mehr öffnen. Restaurants und Bars müssen um 18 Uhr schließen. Ferner muss der Unterricht für mindestens 75 Prozent der Gymnasialschüler online abgehalten werden. In Rom kam es bei Protesten gegen Ausgangssperren in der Nacht auf Sonntag zu Ausschreitungen, wie die Nachrichtenagentur Adnkronos und andere Medien berichteten. Zwei Polizisten erlitten demnach Verletzungen, mindestens zehn Demonstranten wurden festgenommen. In der Nacht zuvor hatte es bereits in Neapel Proteste gegeben.

In der Slowakei dürfen Menschen seit Samstag bis 1. November ihre Wohnungen nur für den Weg zur Arbeit sowie für dringende Besorgungen verlassen. Am Freitag begannen Antigen-Schnelltests für die gesamte Bevölkerung, die binnen drei Wochen abgeschlossen sein sollen. Ministerpräsident Igor Matovic meldete am Sonntag 3024 Neuinfektionen binnen 24 Stunden – auch das ein Rekordwert.

In Slowenien schließen die meisten Geschäfte, Hotels, Kindergärten, Studentenheime, Friseurläden und Schönheitssalons. In Lettland dürfen bei Veranstaltungen in Räumen nur noch maximal zehn Personen zusammenkommen. In Polen bleiben Restaurants zu, Versammlungen mit mehr als fünf Personen verboten.

Die Regierung in Wales erntete mit einem Verkaufsverbot für etliche Waren in Supermärkten massive Kritik. Diese dürfen nur noch „essenzielle Waren“ verkaufen – Geräte wie Wasserkocher, Textilien, aber auch Postkarten oder Geschirr sind in den Geschäften mit Plastikfolien oder anderen Barrieren abgesperrt. In London demonstrierten Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der britischen Regierung und sprachen von Tyrannei oder Überwachung.

Corona-Infektionen in der Politik

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bahnt sich das Virus immer wieder den Weg bis in die höchste Politik. In Polen wurde Präsident Andrzej Duda positiv auf das Coronavirus getestet. In Washington traf es den Stabschef von US-Vizepräsident Mike Pence – Pence selbst wurde aber nach Angaben eines Sprechers negativ getestet. Präsident Trump hatte eine Covid-Erkrankung Anfang Oktober überstanden. Die belgische Außenministerin Sophie Wilmes wird wegen einer Covid-19-Erkrankung gar intensivmedizinisch behandelt, wie am Donnerstag bestätigt wurde. Sonntagnachmittag wurde bekannt, dass Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow positiv getestet wurde.

In der türkischen Metropole Istanbul steckte sich Bürgermeister Ekrem Imamoglu an, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew Bürgermeister Vitali Klitschko – und das kurz bevor der Ex-Boxweltmeister am Sonntag für eine zweite Amtszeit kandidierte. Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune begab sich vorsorglich in Quarantäne, da bei mehreren Beratern der Verdacht auf Corona-Infektionen aufgekommen war. (dpa)

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