Wer aus Tirol ausreisen will, muss sich ab Freitag freitesten
Bund und Land Tirol gerieten nach der Reisewarnung ohne Auswirkungen unter Zugzwang und bemühten sich um Entspannung. Verwaltungsjurist Bußjäger hegt rechtliche Zweifel an Testpflicht.
Innsbruck, Wien – In den vergangenen Tagen lag Südafrika zwischen Innsbruck und Wien: Die deutlich ansteckendere Virus-Variante führte zu einem sich über Tage hinziehenden Konflikt mit einem für alle Seiten unbefriedigenden Kompromiss: einer am Montag verhängten Reisewarnung. 400 Verdachtsfälle auf diese Corona-Variante gibt es derzeit in Tirol, die AGES – siehe unten – korrigierte die bestätigten Fälle am Dienstag auf 163, die vor allem den Bezirk Schwaz betreffen.
Seit Freitag ließen sich dort 4800 Bewohner testen, für 14 davon liegt ein positives Testergebnis vor. Die Proben werden jetzt für eine weitere Analyse an die entsprechenden Tiroler Labore weitergeleitet.
Verwirrung um Zahlen, AGES weist Rechenfehler zurück
Inmitten des Streits zwischen Bund und Land Tirol rund um die südafrikanische Mutation hatte nun ein "Mutations-Bericht“ der AGES neue Zahlen auf den Tisch gebracht. Demnach gab es mit Montag 163 bestätigte Südafrika-Fälle in Tirol und nicht 293, wie zunächst kolportiert. Ebenso ging aus dem Bericht hervor, dass es bisher nur in der Steiermark und in Wien sehr vereinzelt bestätigte Südafrika-Fälle gibt.
"Die AGES arbeitet mit Zahlen die von den Ländern bzw. von diesen beauftragten Laboratorien eingemeldet werden. Aus unserer Sicht liegt kein Rechenfehler vor", erklärte die AGES in einer Stellungnahme am Mittwoch.
Das Land hatte am Montag erklärt, dass es 180 bestätigte Südafrika-Fälle in Tirol gebe. 165 davon waren durch eine Vollsequenzierung bestätigt und für weitere 15 lag eine Teilsequenzierung vor. Bei 220 weiteren Fällen bestehe eine PCR-Auffälligkeit, ein Verdacht auf die Mutation.
So gab es dem AGES-Bericht zufolge in der Steiermark bisher nur eine bestätigte Südafrika-Variante, und zwar in der Kalenderwoche vier. Das Militärkommando Steiermark hatte zuvor von zwei Fällen in der obersteirischen Kaserne Aigen im Ennstal gesprochen. Einer der beiden Infizierten hat eine Verbindung zu Tirol. In Wien gab es insgesamt drei Fälle.
Die Kommentare auf die „zahnlose“ Reisewarnung für Tirol fielen durchwegs negativ aus. Bundesregierung und Land Tirol gerieten wegen der offensichtlichen Differenzen über die Vorgangsweise zunehmend in die Bredouille. Tirol wurde vorgeworfen zu mauern. Und die Bundesregierung musste sich den Vorwurf gefallen lassen, sich nicht gegen ein Bundesland durchzusetzen. Diesen Eindruck vermittelte Montagabend auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).
Testpflicht bei Tirol-Ausreise ab Freitag
Gestern dann die Wende: Bei der Ausreise aus Nordtirol wird es ab Freitag für zehn Tage eine Testpflicht geben, einzig Osttirol ist davon ausgenommen. Kinder bis 10 Jahre brauchen auch keinen negativen Test. Wer sich nicht daran hält, dem drohen laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bis zu 1450 Euro Strafe. Wer durchreist, benötigt ebenfalls einen negativen Corona-Test.
📽️ Video | Regierung verkündet Maßnahmen für Tirol
Um nach den „emotionalen Debatten“ der letzten Tage (Bundeskanzler Sebastian Kurz/VP) Einigkeit zu demonstrieren, gab es Dienstagabend dann noch eine gemeinsame Aussendung von Kurz, Anschober und Tirols LH Günther Platter (VP). Tenor: Gemeinsames Ziel ist der bestmögliche Schutz der Bevölkerung. Dass Tirol generell ein niedrigeres Infektionsgeschehen aufweise als andere Bundesländer und bei der Kontaktnachverfolgung sehr gute Arbeit leiste, wurde von der Bundesregierung trotz der Sorge wegen der Südafrika-Variante positiv hervorgehoben.
Kanzler Kurz begründete die Maßnahme damit, dass vor allem der Impfstoff von AstraZeneca bei der südafrikanischen Variante eine deutlich geringere Wirksamkeit zeige. Es müsse alles getan werden, um die Ausbreitung dieser Variante in Tirol und auf andere Teile Österreichs zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Platter zeigte sich zufrieden damit, weil diese Vorgangsweise mit Tirol abgestimmt worden sei.
„Dem Bund geht es offenbar darum, Restösterreich vor Tirolern zu schützen“
Eine Ausreise nur mit negativem Test? Rechtlich hegt der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger „Zweifel“, ob das hält. Nach dem Covid-19-Maßnahmengesetz sei es möglich, Betriebsstätten mit Auflagen zu belegen, aber im öffentlichen Raum Barrieren einzuziehen? Beim Einschränken der Reisefreiheit müsse öffentliches Interesse nachgewiesen werden. „Das stelle ich mir im Fall von Tirol schwierig vor, weil die Inzidenzzahlen das nicht hergeben.“ Selbst wenn man den Blick „nur“ auf die Mutationszahlen richte, sei es einem Landecker wohl schwer zu erklären, warum er etwa für die Ausreise nach Vorarlberg einen negativen Covid-Test braucht. Im Bezirk Landeck sind derzeit 35 aktiv positive Fälle gemeldet.
Das Problem sei, dass die Verordnung sich auf das ganze Land beziehe. „Dass sich die Mutation innerhalb Tirols locker verbreiten kann, ist dem Bund offensichtlich wurscht. Ihm geht es offenbar darum, Restösterreich vor Tirol zu schützen.“ Aus medizinischer Sicht sei wohl leichter zu erklären, wenn man das Zillertal oder den Bezirk Schwaz mit strengeren Regeln belegt hätte, meint Peter Bußjäger. „Die fachliche Rechtfertigung für eine Quarantäne dort wäre wohl einfacher gewesen.“ (aheu, pn)
💬 Platter: „Es braucht sicher keine Muskelspiele“
Für Landeshauptmann Günther Platter ist jetzt einmal Deeskalation im Verhältnis zum Bund angesagt. "Es braucht keine Muskelspiele, sondern Maßnahmen, die für die Bevölkerung nachvollziehbar sind", wie er zur TT sagt. Als befremdlich bezeichnet er die in den vergangenen Tagen kolportierten Schritte wie Abschottung und die Isolation Tirols.
"Das hätte niemand verstanden." Zur Kritik von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, er habe die Verantwortung für noch härtere Maßnahmen nicht wahrgenommen, betonte der Landeshauptmann. "Über die Testpflicht bei der Ausreise haben wir Einvernehmen hergestellt, diese Vorgangsweise ist vernünftig. Nachwatten tue ich nicht."
Er, so Platter, hätte sich aber gewünscht, dass die Verordnung für ganz Tirol, also auch für Osttirol, gelten solle. Generell meinte er, Tirol zähle aktuell zu den Bundesländern mit den wenigsten Neuinfektionen. "Dennoch ist die südafrikanische Virusmutation absolut ernst zu nehmen. Aus diesem Grund setzen wir in Tirol ein 9-Punkte-Programm um, damit sich die südafrikanische Mutation nicht weiterverbreitet und wir die Tirolerinnen und Tiroler schützen können."
Einmal mehr appellierte Platter an die Bevölkerung, sich regelmäßig testen zu lassen. "Insbesondere im Bezirk Schwaz sollte das Testen als persönliche Verpflichtung gesehen werden. Nur so lässt sich die südafrikanische Virusmutation und deren Verbreitung verhindern."
AK-Präsident Erwin Zangerl und Wirtschaftskammerchef Christoph Walser sind mit der Testpflicht einverstanden. Zangerl: "Für uns war wichtig, eine totale Quarantäne für das Bundesland zu vermeiden." Zugleich erneuerte er die Forderung nach Impfstoff für die Bevölkerung. Unbürokratische Lösungen für Pendler fordert ÖGB-Chef Philip Wohlgemuth.
Kritik kommt hingegen von FP-Landesparteiobmann Markus Abwerzger. "Die Tiroler Bevölkerung wird nun behandelt wie Bewohner sprichwörtlicher Lepradörfer. Wir sind dank der schwarz-grünen Regierung die Aussätzigen Europas." (pn)