Auch ÖVP fordert jetzt einen Bundesstaatsanwalt
Lange vehement dagegen, will die ÖVP nun doch einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt einsetzen. Anlass sind offenkundig die WKStA-Ermittlungen gegen den türkisen Finanzminister Blümel. Eine langjährige Forderung von Grünen SPÖ und NEOS dürfte damit erfüllt werden.
Wien – Die Ansage überraschte, die Begleitmusik weniger: ÖVP-Klubchef August Wöginger ist gestern mit der Forderung nach Einführung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts vorgeprescht. Dieser sollte statt des Justizministers die Spitze der Weisungskette für die Staatsanwaltschaften bilden. Hintergrund des Vorstoßes ist die massive Kritik der ÖVP an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), nicht zuletzt wegen der Ermittlungen gegen den türkisen Finanzminister Gernot Blümel. Wöginger: „Nach den zahlreichen Missständen und Verfehlungen müssen wir rasch in diese Diskussion einsteigen.“
Die ÖVP hatte die Einführung eines Bundesstaatsanwalts bisher stets abgelehnt – zuletzt vor gut einem Jahr in den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen, wie Vizekanzler Werner Kogler anmerkte.
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Weniger neu ist die türkise Kritik an der WKStA. Parteichef Bundeskanzler Sebastian Kurz listete auf: die umstrittene Hausdurchsuchung beim Verfassungsschutz, eine Anzeige gegen eine Journalistin der Presse wegen übler Nachrede, Anzeigen innerhalb der Beamtenschaft. Kurz verwies auch darauf, dass von 40.000 Beschuldigten in den vergangenen Jahren nur 400 überführt worden seien. Viele seien zu Unrecht beschuldigt worden, dennoch seien sie in der Öffentlichkeit gestanden und ihre Karrieren zerstört worden, prangerte er an.
Details zu den Plänen der Türkisen konnte oder wollte Wöginger gestern nicht nennen. Darüber sollten nun Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Wissenschaft und Politik beraten: Nur das Ziel ist für den türkisen Klubchef klar: Eine „doppelte Kontrolle“ der Staatsanwaltschaften, im Vorverfahren durch die Gerichte und danach durch das Parlament.
Beim grünen Koalitionspartner stößt der Vorstoß auf offene Ohren. Kogler, der zurzeit seine Parteifreundin Justizministerin Alma Zadić vertritt, kündigte an, das Vorhaben rasch in Angriff zu nehmen. Polemisch reagierte die grüne Klubchefin Sigrid Maurer: „Offenbar hat es erst eine Hausdurchsuchung fürs Umdenken gebraucht. Auch okay, Hauptsache sie (die Reform, Anm.) kommt.“
Bezüglich der Umsetzung hatte Wöginger davor gemeint, es solle eine Diskussion mit Rechtsanwälten, Richtern, Staatsanwälten, der Wissenschaft und dem Parlament geben. Ziel sei eine doppelte Kontrolle der Staatsanwaltschaften durch Richter im Vorverfahren und parlamentarische Kontrolle, was auch immer mit letzterem gemeint ist. In Deutschland ist neben dem zuständigen Minister auch der Bundesrat in die Ernennung des Generalbundesanwalts einbezogen. Er dient als weisungsunabhängiger Beamter.
Die SPÖ verwies darauf, dass man schon seit über 20 Jahren einen Bundesstaatsanwalt fordere. Justizsprecherin Selma Yildirim hat bereits konkrete Vorstellungen: Der Bundesstaatsanwalt sollte unabhängig und weisungsfrei sein. Er sollte vom Parlament gewählt und für zwölf Jahre bestellt werden. Eine Wiederbestellung soll nicht möglich sein.
Skeptisch ist die FPÖ, die – so wie bisher die ÖVP – die Einsetzung eines Bundesstaatsanwalts abgelehnt hat. „Unabhängig und ÖVP, das passt nicht zusammen“, meinte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl. Wögingers Vorstoß sei daher der Sache nach eher eine gefährliche Drohung denn ein angeblicher Akt einer Justizreform.
Die NEOS reagierten abwartend bis spöttisch: „Wir sehen, was in diesem Land plötzlich möglich ist, wenn die ÖVP unter Druck gerät und von den laufenden Ermittlungen gegen Finanzminister Blümel ablenken will“, meinte Justizsprecher Johannes Margreiter.
Positiv reagierten die unmittelbar Betroffenen. Cornelia Koller, Vorsitzende der Vereinigung der Staatsanwälte, deponierte auch, was sie unter echter Unabhängigkeit versteht: Für die Einsetzung des Bundesstaatsanwalts solle eine vom Bundespräsidenten eingesetzte Expertenkommission zuständig sein. Noch besser wäre es, einen „Rat der Gerichtsbarkeit“ zu schaffen, der sämtliche Höchstrichter und den neuen Bundesstaatsanwalt ernennt. (sabl, APA)