Spanien

Zwei Pragmatiker ringen um die Macht in Konfliktregion Katalonien

Sozialisten-Kandidat Salvador Illa rief nach seinem Wahlsieg zur Versöhnung und zum Neustart auf.
© CRISTINA DIESTRO

Die Sozialisten eroberten am Sonntag bei der Wahl in Katalonien Platz eins, doch die Linksrepublikaner verfügen mit ihrem Separatistenblock über eine absolute Mehrheit. Mit Salvador Illa und Pere Aragonès ringen nun zwei stille Pragmatiker um die Macht.

Barcelona – Separatistische Parteien haben am Sonntag bei der Parlamentswahl in Spaniens Konfliktregion Katalonien ihre Vormachtstellung ausgebaut. Aber auch die in Madrid regierenden Sozialisten gingen gestärkt hervor. Um die Macht ringen nun zwei sehr stille Pragmatiker: Salvador Illa von der Sozialistischen Partei Kataloniens (PSC), die die Einheit Spaniens bewahren will, aber zu Verhandlungen bereit ist, und Pere Aragonès von den nach Unabhängigkeit strebenden Links-Republikanern ERC.

„Heute beginnen wir ein neues Kapitel. Es ist Zeit, umzublättern“, rief Salvador Illa am Sonntagabend nach seinem Wahlsieg in Katalonien zur Versöhnung und zum Neustart in der nach Unabhängigkeit strebenden Konfliktregion auf. Die PSC war stärkste Kraft geworden. Wie bereits im Wahlkampf zeigte sich der 54 Jahre alte Sozialist unaufgeregt pragmatisch und besonnen. Er inszenierte sich als Mann der Zukunft, der die Gräben einer durch den Unabhängigkeitsprozess tief gespaltenen Gesellschaft endlich zuschütten will.

📽️ Video | Separatistische Parteien holen sich Mehrheit

Mit 23 Prozent der Stimmen und 33 Sitzen konnte Salvador Illa das Ergebnis der katalanischen Sozialisten (PSC) im Vergleich zu den vergangenen Wahlen 2017 glatt verdoppeln. Dabei war er bis vor einem Jahr überhaupt nur wenigen bekannt. Bis heute weiß man nur wenig aus seinem Privatleben. Er stammt aus dem kleinen Ort namens La Roca del Valles in der Nähe Barcelonas. 1995 wurde er dort für kurze Zeit Bürgermeister, verschwand dann aber wieder schnell in den Tiefen des Parteiapparats. Er studierte Philosophie und machte einen Masterabschluss in Unternehmensführung.

Corona-Krise als Mammutaufgabe für den „Quotenkatalanen“

Als Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez Salvador Illa im Jänner 2020 zum Gesundheitsminister ernannte, kannte ihn kaum jemand außerhalb Kataloniens. Der stille Parteisoldat, dessen Hornbrille zu seinem Markenzeichen wurde, war im Kabinett eher eine Art „Quotenkatalane“ für ein eher nebensächliches Ministerium. Niemand konnte ahnen, dass Illa nur zwei Monate später mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie eine Mammutaufgabe übernehmen solle.

Wie die meisten europäischen Gesundheitsminister machte auch er Fehler, aber auch manches richtig. Vor allem aber erledigte Illa effizient und geräuschlos seine Arbeit, während sich Spaniens charismatische Politik-Rockstars lautstark in Szene brachten. Die Besonnenheit und Selbstsicherheit, mit welcher er durch die Corona-Krise führte und fast täglich vor die Fernsehkameras trat, machten ihn nicht nur landesweit bekannt, sondern auch populär. Nach Wirtschaftsministerin Nadia Calviño war er zuletzt das beliebteste Kabinettsmitglied überhaupt.

Salvador Illa lässt sich anscheinend durch nichts aus der Ruhe bringen, ist konziliant im Ton, aber hart in der Sache. Selbst bei erhitzten Debatten bleibt er ruhig und besonnen, wie auch die jüngsten TV-Wahlkampfdebatten gegen die vor lauter Emotionen fast kollabierenden Separatisten zeigten.

Ministerpräsident Sánchez schickte seinen beliebten Minister und Parteifreund nicht ohne Grund nach Barcelona: Er ist ein strikter Gegner der Unabhängigkeit Kataloniens, gleichzeitig hat er aber beste Beziehungen zum separatistischen Lager. So war es auch Illa, der die Zentralregierung und die separatistische Regionalregierung wieder an den Verhandlungstisch brachte. „Viele Katalanen sind dem aggressiven Dauerkonflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit überdrüssig, sehnen sich nach einem solchen Politiker“, meint Lola García, stellvertretende Chefredakteurin der katalanischen Tageszeitung La Vanguardia.

Absolute Mehrheit für Separatisten

Doch zu diesem Friedensstifter wird der sozialistische Wahlsieger kaum werden können, da das separatistische Lager eine absolute Mehrheit errungen hat. So kündigte auch Separatistenführer Pere Aragonès noch in der Wahlnacht am Sonntag an, eine Regierung zu bilden. Mit seinen Linksrepublikanern von der ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) lag Aragonès zwar mit etwas über 21 Prozent der Stimmen hinter dem Sozialisten, erhielt aufgrund des Wahlsystems aber ebenfalls 33 Mandate.

Separatistenführer Pere Aragonès will ebenfalls eine Regierung bilden.
© JOSEP LAGO

Aragonès kündigte an, er werde sich um ein Bündnis der Kräfte bemühen, die für eine Amnestie der inhaftierten Separatistenführer und für das Recht auf Selbstbestimmung Kataloniens sind. „Wir haben die Kraft, ein Referendum zu bewirken“, sagte Aragonès vehement nach den Wahlen und forderte Spaniens sozialistischen Ministerpräsidenten zu Verhandlungen auf: „Es ist nun die Zeit, sich zusammenzusetzen, ohne Repressionen“.

Genau hier liegt die Chance, die Temperatur im hitzigen Unabhängigkeitskonflikt mit Madrid herunterzuschrauben. Wie Salvador Illa besticht auch Aragonès eher durch seinen gemäßigteren, pragmatischen Charakter. Er ist Separatist, will ein Unabhängigkeitsreferendum, aber ein legales und mit der spanischen Zentralregierung ausgehandeltes. Wie pragmatisch der 38-jährige Jurist und Familienvater ist, zeigte er bereits seit vergangenem Jahr in Madrid, wo er mit seinen Linksrepublikanern im Nationalparlament sogar die linke Minderheitsregierung von Pedro Sánchez unterstützt. Seitdem haben sich die Beziehungen zwischen Madrid und Barcelona zumindest ein wenig entspannt.

Der aus Pineda de Mar stammende Aragonès ist ein Vollblutpolitiker, der bereits mit 16 Jahren der Partei beitrat. Bis September war er Wirtschaftsminister und Stellvertreter des katalanischen Regierungschefs Quim Torra, mit deren Wahlallianz JxCat (Junts per Catalunya/Gemeinsam für Katalonien) seine Linksrepublikaner eine Regierungskoalition anführten. Als Torra im vergangenen September des Amtes enthoben wurde, weil er während der spanischen Parlamentswahlen 2019 separatistische Propaganda-Plakate am Regierungssitz aufhängte, wurde Aragonès zum Übergangspräsidenten.

Wie Salvador Illa war auch Aragonès vielen Spaniern bis vor einigen Jahren eher unbekannt, stand lange im Schatten des ERC-Präsidenten Oriol Junqueras, der wegen seiner Beteiligung am illegalen Unabhängigkeitsreferendum 2017 wegen Aufruhe in Haft sitzt. Doch nun wird Aragonès vom Platzhalter zum neuen Hoffnungsträger eines gemäßigteren Separatismus.