100. Geburtstag von Erich Fried: Dem Zweifel zweifelnd trotzen
Die Geburt des Lyrikers Erich Fried jährt sich am Donnerstag zum hundertsten Mal. In seinen eigenen formal auf den ersten Blick einfach wirkenden Gedichten ergriff Fried beharrlich Partei für Unterdrückte und Verfolgte. Er kritisierte und mahnte. Er prangerte an.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Mit Rechten reden? Diese Frage wird immer wieder diskutiert. Mehr oder weniger hitzig. Für Erich Fried, dessen Vater von der Gestapo totgeprügelt wurde, der vor den Nazis flüchten musste und der zeit seines Lebens ein glühender Antifaschist war, stellte sich diese Frage nicht. Er wollte reden, wollte vor laufender Kamera verstehen, was einen wie Michael Kühnen (1955–1991), den Wortführer der deutschen Neonazi-Szene, umtreibt. Das war im Jänner 1983. Geplant war eine Talkshow. Doch der produzierende Sender plante um, lud Kühnen, den Hitlerverehrer und Holocaustleugner, wieder aus. Fried war irritiert: „Ob man den einladen soll oder nicht, darüber kann man streiten. Wenn man ihn eingeladen hat, ihn auszuladen, ist ganz bestimmt falsch und kleinkariert.“
Später suchte Erich Fried den Kontakt zu Kühnen. Es entwickelte sich eine eigentümliche Korrespondenz, ein Aneinander-Vorbeireden in kollegialem Du. Der Soziologe Thomas Wagner hat die seltsame Beziehung in seinem Buch „Der Dichter und der Neonazi“ nachgezeichnet. Das Buch lässt einen etwas ratlos zurück. Aber auch Erich Fried dürfte das, was Kühnen ihm schrieb, ratlos gemacht haben. Aufgeben war trotzdem keine Alternative. Fried war Dialektiker: These, Antithese, Synthese. Und er war Humanist: Auch im Unmenschlichen verbirgt sich ein Mensch. Ihn wollte er erreichen. Oder es wenigstens versuchen.
In dieser Woche jährt sich Erich Frieds Geburt zum hundertsten Mal. Er wurde am 6. Mai 1921 in Wien als einziges Kind einer jüdischen Familie geboren. 1938 floh er nach London. Als Mitarbeiter der BBC knüpfte er nach dem Krieg erste Kontakte in den deutschen Literaturbetrieb. Ab 1963 nahm Fried an den Treffen der „Gruppe 47“ teil. Die Bücher „Warngedichte“ (1964) und „und Vietnam und“ (1966) machten ihn gerade bei jungen Leserinnen und Lesern populär. Daneben übersetzte er Shakespeare und Dylan Thomas, schrieb Kommentare und zornige Leserbriefe.
Sein politisches Bewusstsein entwickelte Erich Fried früh: 1927 sollte er als Sechsjähriger bei einer Feier ein Gedicht vortragen. Im Publikum saß auch der damalige Wiener Polizeipräsident Schober. Vor dem könne er nichts aufsagen, so der Bub auf offener Bühne. Johann Schober, der kurz davor nach dem Justizpalastbrand auf linke Demonstranten schießen ließ und kurz danach Kanzler wurde, stürmte aus dem Saal.
Partei für Unterdrückte und Verfolgte ergriffen
In seinen eigenen formal auf den ersten Blick einfach wirkenden Gedichten ergriff Fried beharrlich Partei für Unterdrückte und Verfolgte. Er kritisierte und mahnte. Er prangerte an. Er griff an – und machte sich angreifbar.Erich Fried war Vielschreiber. Nicht jede Zeile, nicht jedes Gedicht gelang. Seine besten Verse bestechen durch ihre scheinbare Simplizität: „Zweifle nicht/an dem/der dir sagt/er hat Angst/aber hab Angst/vor dem/der dir sagt/er kennt keinen Zweifel.“
Erfolgreich waren nicht zuletzt seine „Liebesgedichte“, die den linken Wagenbach-Verlag über Wasser hielten, Eingang in Schulbücher und Poesiealben ohne Zahl fanden. Als Erich Fried 1983 im Fernsehstudio saß, war er eine moralische Instanz, bereit, auch jene Streitgespräche zu führen, bei denen man nur verlieren kann. Ob eine Talkshow der richtige Rahmen dafür gewesen wäre, ist fraglich. Dass ausgerechnet jener Fernseh-Funktionär, der den Neonazi Kühnen ausladen ließ, Frieds 1977 veröffentlichtes Gedicht „Die Anfrage“ „lieber verbrannt“ sehen wollte, darf auch als Nachweis jener Heuchelei der Mächtigen gedeutet werden, gegen die Erich Fried lebenslang anschrieb. Gut ein Jahr nach dem verhinderten Streitgespräch im Herbst 1984 las Fried erstmals in Tirol und Südtirol, in Kufstein, im Innsbrucker „Komm“ und in Lana.
Am 22. November 1988 ist Erich Fried gestorben. Im Jahr davor wurde ihm – spät, aber doch – der Georg-Büchner-Preis zugesprochen.