Alkoholismus und psychische Probleme: Schwerwiegende Pandemie-Folgen
Covid-19 schädigt nicht nur die daran Erkrankten. Experten gehen von einem Anstieg psychischer Probleme aus – auch der problematische Alkoholkonsum wird zunehmen.
Wien – „Erste Hinweise deuten darauf hin, dass die ‚neue Normalität‘, die durch die Pandemie verursacht wurde, erhebliche Auswirkungen auf unsere Lebensgewohnheiten hatte, einschließlich der Trinkgewohnheiten“: So heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris.
Erfahrungen aus früheren Krisen ließen vermuten, dass es mittelfristig eine Zunahme des problematischen Alkoholkonsums geben könnte. In den Ländern der OECD, EU und G20 könnten demnach in den kommenden 30 Jahren jährlich etwa 1,1 Millionen Menschen an den Folgen schädlichen Alkoholkonsums sterben, heißt es in dem aktuellen Bericht.
Experten für Kombination politischer Maßnahmen
Was das für Österreich bedeuten könnte, steht noch nicht genau fest. Allerdings liegt die Alpenrepublik beim Alkoholkonsum über dem Schnitt der OECD-Länder. Dem OECD-Bericht zufolge werden in Österreich in der Bevölkerung ab 15 Jahren exakt zwölf Liter reiner Alkohol pro Kopf und Jahr konsumiert. Dahinter folgen Irland, Deutschland, Spanien, Frankreich und Österreich.
Das entspricht rund zweieinhalb Flaschen Wein oder 4,6 Litern Bier pro Woche und Person. Der OECD-Schnitt liegt bei zehn Litern reinem Alkohol pro Jahr, an der Spitze rangieren die Tschechen mit 14,4 Litern.
Die Experten sind daher der Ansicht, dass es eine Kombination politischer Maßnahmen im Kampf gegen schädlichen Alkoholkonsum braucht. Dazu zählten etwa Kommunikationskampagnen und Preispolitik, aber auch Ansätze, die sich direkt an Personen richten, die große Mengen Alkohol konsumieren. Gegenstrategien würden nicht nur Menschenleben retten, sondern sich auch wirtschaftlich rechnen.
Für Österreich empfiehlt die OECD verstärkte Anstrengungen zur Alkoholreduktion und -prävention in Schulen und am Arbeitsplatz. Strengere Maßnahmen bei der Verfügbarkeit von Alkohol für gefährdete Gruppen und eine verschärfte Preispolitik, um Alkoholiker und jüngere Menschen von billigem Alkohol fernzuhalten werden ebenfalls gefordert.
Anstieg psychischer Belastungsstörungen sehr wahrscheinlich
Dass es in den nächsten Jahren auch zu einem Anstieg psychischer Belastungsstörungen kommen wird, scheint für Experten „sehr wahrscheinlich“. Das war der Tenor bei einem von der Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) organisierten Veranstaltung. Der gesellschaftlichen Krisen-Belastungsreaktion auf der Spur sind u. a. Forscher um Studienleiter Thomas Niederkrotenthaler in der Untersuchung „SARS CoV-2: Mental Health in Österreich“. Hier wurden bis zum Ende des vergangenen Jahres bereits zwölf für Österreich repräsentative, wiederkehrende Befragungen von jeweils rund 1000 Personen im Abstand von drei Wochen durchgeführt.
Die Werte zur Suizidalität seien im vergangenen Jahr glücklicherweise nicht angestiegen, was sich auch an den offiziellen Zahlen ablesen lasse, erklärte Benedikt Till von der Medizinischen Universität Wien. Es sei aber bei Weitem nicht ausgemacht, dass es etwa aufgrund des verschärften wirtschaftlichen Drucks durch Arbeitslosigkeit oder eine beobachtete Zunahme von Konflikten – hier wurden schwere Formen von psychischer und physischer Gewalt abgefragt – in den stark auf sich selbst zurückgeworfenen Familien nicht noch zu negativen psychischen Entwicklungen kommen könnte.
Verschlechterung vor allem bei den Jungen
Über eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit berichteten im Rahmen der Studie jedenfalls zwischen 15 und 20 Prozent der Befragten. Betroffen waren hier vor allem die 16- bis 29-Jährigen, bei denen sich die Situation deutlich verschlechtert habe.
Diese Gruppe war bereits vor Corona etwas belasteter, die Lockdowns haben den bekannten Effekt aber noch verstärkt, waren doch junge Menschen vergleichsweise stark von den Einschränkungen betroffen, so Till.
Weitere Risikogruppen sind laut der Studie sozioökonomisch schlechter gestellte Personen, psychisch Vorerkrankte sowie u. a. Personen, die an Covid-19 erkrankt waren. Vor allem letztere Gruppe sehe man länderübergreifend belastet, da eine Infektion auch mit einer gewissen Stigmatisierung einhergehe. (APA)