„Osterfestival Tirol“: Gesunder Übermut für schmerzende Seelen
Hall – Philippe Herreweghe fordert zum Mitlesen auf. Ohne die Texte sei das, was er und sein Collegium Vocale Gent vorbereitet haben, „nur“ schöne Musik, erklärte der belgische Dirigent am Mittwochabend zum Start des heuer ins Frühsommerliche verschobenen „Osterfestival Tirol“.
Vorbereitet hatten Herreweghe und das vielfach preisgekrönte Vokalensemble Madrigale von Claudio Monteverdi. Die Textvorlagen dafür stammen von italienischen Renaissancedichtern: höfische Sehnsuchtsverse über unmögliche Lieben, himmlische Höllenqualen und trügerische Schäfer-Idyllen. Die Bilder, Motive und Klagen gleichen sich, der Titel ist Programm: „Anima dolorosa“, schmerzensreiche Seele. Erst die Musik erfüllt die Texte mit Leben, formt die Gefühlsumschreibung zu Erfühlbarem um.
Natürlich ist die Musik schön. Ohne die Scheu vor hohlen Phrasen müsste man wohl „überirdisch schön“ sagen. Am Mittwoch im Haller Salzlager jedenfalls war sie noch ein klein bisschen schöner. Erstmals seit eineinhalb Jahren sang das von Michele Passoti am Chitarrone begleitete Collegium Vocale vor Publikum. Diese Befreiung wollte ausgedrückt werden. Philippe Herreweghe ließ seinen sechs Sängerinnen und Sängern den Raum dafür. Bisweilen mischte sich dadurch etwas gesunder Über- in die schicksalsschwere Wehmut. Das sei auch den schmerzensreichsten Seelen gestattet. Am Mittwoch wurde es mit euphorischem Applaus belohnt. (jole)