Auch die, die überlebten, sind in Srebrenica gestorben
In ihrem oscarnominierten Meisterwerk „Quo Vadis, Aida?“ zeichnet Jasmila Žbanić den Völkermord von Srebrenica nach.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Das sommerliche Zirpen der Grillen verstummt. Panzer machen alles platt, was im Weg steht. Zehntausende machen sich auf den Weg. Die UNO hat ihnen Schutz versprochen. Nur für einen Bruchteil von ihnen öffnet sich der Schlagbaum der Kaserne. Die anderen harren davor aus. Rote Linien werden überschritten. Eine um die andere. Ultimaten verstreichen folgenlos. Die, die entscheiden müssten, schweigen. Die Welt schaut zu. Am Ende sind mehr als achttausend Menschen tot. Vernichtet. Sie wurden mit Bussen und Lastwägen deportiert und dort ermordet, wo die Schüsse nicht mehr gehört werden.
2007 wurde das Massaker an Tausenden bosnischen Muslimen im Sommer 1995 bei Srebrenica vom internationalen Gerichtshof als Völkermord eingestuft. Das lebenslange Hafturteil für Ratko Mladić, damals Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, wurde erst vor wenigen Wochen bestätigt. Er verantwortet das größte Kriegsverbrechen in Europa seit 1945. Die, die ihn damals weitgehend widerstandslos walten ließen, wurden nicht zur Verantwortung gezogen. In Srebrenica hat nicht nur das heillos überforderte niederländische Blauhelm-Bataillon versagt, sondern der Westen.
Das macht „Quo Vadis, Aida?“, der neue Film von Jasmila Žbanić, deutlich. In bisweilen schmerzhaften Szenen. Wenn der Blauhelmkommandeur Karremans (Johan Heldenbergh) verzweifelt ins Telefon schreit – und trotzdem keine Antwort kriegt. Als im klar wird, dass er das Unbeschreibliche nicht mehr verhindern kann, sperrt er sich weg.
Žbanić, geboren 1974 in Sarajevo, hat jahrelang für ihren heuer für den Auslandsoscar nominierten Film recherchiert. Das was sie zusammengetragen hat, hat sie dramaturgisch klug bearbeitet. Mit Aida (Jasna Đuričić) stellt sie eine der Geflüchteten ins Zentrum des Films. Aida war Lehrerin. Nun übersetzt sie für die UNO. Sie versucht ihren Mann und die beiden Söhne zu retten. In einer Szene träumt sie sich zurück in ihr Vorkriegsleben. Schon hier lässt Žbanić Figuren immer wieder direkt in die Kamera blicken. Später, nach dem Morden, wird dieser Moment gespiegelt. Auch die, die in Srebrenica überlebt haben, sind dort gestorben.
„Quo Vadis, Aida?“ ist ein harter, bisweilen schwer erträglicher Film. Er verzichtet weitgehend auf explizite Gewalt. Es gibt kein ausgestelltes Sterben, kein melodramatisches Pathos, kein abgeschmackter Pseudodokumentarismus, nur schonungslos präzise, schmerzhaft schöne Bildkompositionen, die die Ausweglosigkeit der Situation, die unbarmherzige Logik der allzu menschlichen Mordmaschine Krieg, singuläres Leid und kollektives Trauma sicht- und spürbar machen. Auch und gerade durch die unaufdringlich elegante Kameraarbeit der Österreicherin Cristine A. Maier wird „Quo Vadis, Aida?“ zu einem Meisterwerk des Gegenwartskinos.