Olympia

Auch Österreich wäre bereit gewesen, Timanowskaja aufzunehmen

Kristina Timanovskaya bekam von Polen ein humanitäres Visum.
© Andreas Gora

Kristina Timanowskaja soll angeblich von den Behörden aus Tokio in ihre Heimat entführt werden. Der Fall wird zum internationalen Politkrimi. Nun bekommt die Sprinterin Asyl in Polen. Die österreichische Botschaft in Tokio war ebenfalls darauf eingestellt gewesen, der Leichtathletin zu helfen. Das IOC leitete eine Untersuchung ein.

Tokio – Polen hat der belarussischen Olympionikin Kristina Timanowskaja, die nach eigenen Angaben nach Kritik an Sportfunktionären ihres Landes zur Rückkehr nach Belarus gezwungen werden sollte, ein humanitäres Visum ausgestellt. Die Athletin "steht bereits in direktem Kontakt mit polnischen Diplomaten in Tokio", erklärte Polens stellvertretender Außenminister Marcin Przydacz am Montag auf Twitter. "Sie hat ein humanitäres Visum erhalten."

Polen werde alles tun, "was notwendig ist, um ihr zu helfen, ihre Sportkarriere fortzusetzen", fügte er hinzu. Timanowskaja sei in "sicherem und gutem Zustand" an der polnischen Botschaft in Tokio. Sie werde in den nächsten Tagen nach Polen reisen, ergänzte Przydacz gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Ihr Ehemann bestätigte der Nachrichtenagentur AFP, dass sie "wahrscheinlich nach Polen gehen" werde. Er selbst flüchtete nach eigenen Angaben aus dem autoritär regierten Belarus und hält sich demnach in Kiew in der Ukraine auf. Wegen des Konflikts seiner Frau mit den Behörden seien sie in ihrem Heimatland "nicht sicher".

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte Konsequenzen für die Führung in Minsk. Er sprach von einem "kriminellen Versuch, eine Sportlerin zu entführen, die kritisch gegenüber dem belarussischen Regime eingestellt ist". Die "Aggression der belarussischen Sicherheitsdienste auf japanischem Gebiet" müsse auf "entschiedenen Widerspruch der internationalen Gemeinschaft stoßen", forderte der polnische Regierungschef am Montagabend in einem Facebook-Beitrag. Morawiecki mahnte, dass die Olympischen Spiele ein Symbol des Friedens und des Fairplays sein sollten.

Auch Österreich wäre bereit gewesen, Kristina Timanowskaja aufzunehmen. Außenminister Alexander Schallenberg sagte laut einem Newsletter der Tageszeitung Die Presse: "Wir haben sie erwartet. Es liegt an ihr, wofür sie sich entscheidet." Die österreichische Botschaft in Tokio sei darauf eingestellt gewesen, der Leichtathletin zu helfen. Doch Timanowskaja habe sich nicht gemeldet. "Österreich duckt sich nicht weg", insistierte Schallenberg demnach.

Die 24-jährige Sprinterin hatte Kritik in Online-Medien an den belarussischen Sportfunktionären geübt, weil sie bei den Olympischen Spielen in Japan ohne Rücksprache mit ihr für das 4x400-Meter-Rennen statt für den 200-Meter-Lauf aufgestellt worden war. Das belarussische Nationale Olympische Komitee (NOK) erklärte daraufhin, Timanowskaja scheide wegen ihres "emotionalen und psychologischen Zustands" aus dem Wettbewerb aus.

📽️ Video | Analyse der Causa Timanowskaja:

Die Athletin wies die Behauptung zurück und bat das Internationale Olympische Komitee (IOC) um Hilfe: "Ich stehe unter Druck, und sie versuchen, mich gegen meinen Willen außer Landes zu bringen", sagte sie in einem Video. Sie habe jedoch bei der japanischen Polizei um Schutz gebeten. Die Nacht von Sonntag auf Montag verbrachte sie unter Schutzvorkehrungen in einem Hotel auf dem Flughafen.

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"Wir müssen alle Tatsachen feststellen und alle Beteiligten anhören, bevor wir weitere Maßnahmen ergreifen", sagte IOC-Sprecher Mark Adams am Dienstag. Das IOC hatte eine Stellungnahme des Belarussischen Olympischen Komitees angefordert, die Frist lief laut Adams am Dienstag ab. Wann das IOC seine Ermittlungen abschließen werde, wollte der IOC-Sprecher nicht sagen. "Diese Dinge brauchen Zeit. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen."

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte sich am Donnerstag über das schlechte Abschneiden seines Landes bei den olympischen Sommerspielen beklagt. Man müsse sich mit den Trainern beschäftigen, die dafür in erster Linie die Verantwortung trügen, sagte er. Eine geleakte Tonaufzeichnung zeugte davon, dass Sportfunktionäre Timanowskaja nach ihrer Kritik an ihnen drohten und sie aufforderten, nach Belarus zurückzukehren sowie zu schweigen.

Lukaschenko regiert das Land seit 1994 mit harter Hand. Die Lage hat sich seit der Präsidentschaftswahl vom 9. August 2020 massiv verschärft. Die mutmaßlich gefälschte Wahl wurde international nicht anerkannt. Gegen friedliche Proteste gingen die Behörden blutig vor. Sie reagierten mit Folter und Inhaftierungen. Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten und kritische Journalisten werden verfolgt. Mehr als 600 Namen befinden sich auf der Liste politischer Gefangener in Belarus. (APA/dpa/Reuters/sda/RIA/AFP/TT.com)

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