Afghanistan

Pressestimmen zum Vormarsch der Taliban: „Höhepunkt des Albtraums“

Taliban-Kämpfer am Freitag in Kandahar, der zweitgrößten Stadt Afghanistans.
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„ABC“ (Madrid):

„Der katastrophale Abzug der US- und NATO-Truppen aus Afghanistan ist der Höhepunkt eines Alptraums, der als schwerer Fehler in die Geschichte eingehen wird. Die Folgen dieser Maßnahmen werden die gesamte Region und wahrscheinlich auch die ganze Welt treffen. Die westlichen Streitkräfte waren nach Afghanistan mit dem Versprechen geschickt worden, das Land aus dem Abgrund zu ziehen, in den es durch jahrzehntelangen Krieg und islamistische Barbarei gestürzt worden war. Nun ziehen die Truppen nach zwei Jahrzehnten der Ohnmacht wieder von dannen, ohne ihr Versprechen von Frieden und Wohlstand eingelöst zu haben.

(...) Es ist jetzt ein massiver Zustrom von Flüchtlingen zu erwarten, der vor allem in Europa unsere moralische Haltung und unsere Fähigkeit auf die Probe stellen wird, unsere eigenen Fehler zumindest teilweise wiedergutzumachen.“

„La Repubblica“ (Rom):

„In etwas mehr als drei Wochen haben die fundamentalistischen und archaischen Truppen mehr als 65 Prozent des Territoriums erobert und man kann sagen, dass sie jetzt Kabul belagern, ohne wirklichen Widerstand der regulären Armee vorzufinden. (...) Sobald der Krieg nach Kabul zurückkehrt, muss der Westen zugeben, dass er erneut gescheitert ist. Amerika reagierte mit dem Abzug seiner Soldaten auf eine immer dringender werdende Forderung seiner Bürger und Biden tat dies, weil es seine Priorität bei den Wahlen war. In der Erwartung, nicht länger als vier Jahre zu bleiben, musste er dies sofort zu Beginn seiner Amtszeit tun. (...)

Die neue Lage könnte Afghanistan zu einer islamistischen Hochburg machen und wieder Terroranschläge nach Europa und in die USA zurückbringen. Eine Rückkehr in die Hölle, bei der wir uns vorgemacht hatten, sie hinter uns gelassen zu haben. Das Land ist arm, schlecht ausgebildet und von endlosen Kriegen heimgesucht. Frauen werden wieder gemartert. Ideales Terrain für die neuen Osama bin Ladens, auch wenn Experten größere Terrorgefahren für China und Europa sehen als für Amerika, das bereits mit weißen Rassisten zu tun hat.“

„De Telegraaf“ (Amsterdam):

„Tausende Afghanen, die in den vergangenen 20 Jahren den westlichen Bündnispartnern im Kampf gegen den Terrorismus geholfen haben, müssen nun, wo Afghanistan rasch wieder in die Hände der Taliban fällt, um ihr Leben fürchten. Die islamischen Extremisten betrachten Afghanen, die mit ausländischen Truppen kooperiert haben, als Verräter, für die sie keine Gnade kennen. Deshalb haben verschiedene Länder Programme zur Vergabe von Einreisevisa aufgelegt - nicht nur für Dolmetscher, sondern auch für andere Mitarbeiter, einschließlich ihrer Familienmitglieder. (...) Die Regierung ist zurückhaltend, wenn es darum geht, nicht nur Dolmetscher, sondern zum Beispiel auch Wachleute oder Logistik-Mitarbeiter in die Niederlande zu holen. Dies geschieht aus Angst vor einem ‚nicht beherrschbaren‘ Anstieg der Zahl der Anträge. Natürlich müssen Visa-Anträge gut geprüft werden, das tun unsere Verbündeten auch. Dabei gilt es, auch auf Sicherheitsrisiken zu achten. Ausgangspunkt muss jedoch sein, dass Afghanen, die nachweislich für die Niederlande gearbeitet haben und nun gefährdet sind, in Sicherheit gebracht werden.“

„Kommersant“ (Moskau):

„Die Taliban haben am Donnerstag eine Reihe neuer Siege verkündet. Nach amerikanischen Medienberichten geht Washington davon aus, dass die derzeitigen afghanischen Behörden noch maximal drei Monate durchhalten können. Der russische Außenminister Sergej Lawrow widersprach dieser Einschätzung nicht. Er erinnerte zugleich daran, wer für die Entwicklung dieser Ereignisse verantwortlich sei. Gleichzeitig machte Moskau erneut deutlich, dass es seine Verbündeten in Zentralasien nicht mit den Taliban alleinlassen will. (...)

Allerdings gab es zu diesem Thema bisher wenig Konkretes - zumindest bis zum Interview des Vize-Außenministers Oleg Syromolotow am Donnerstag. Zum ersten Mal nannte der Diplomat einen konkreten Betrag, den Moskau Duschanbe zur Stärkung des Außenpostens an der Grenze zu Afghanistan geben wird - 1,1 Millionen US-Dollar.“ (APA/dpa)

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