Bundestagswahl

Grüne und Liberale übernehmen in Deutschland das Kommando

Der Wahlsieger, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, trat schon Montagvormittag in der Parteizentrale in Berlin vor die Presse.
© AFP/Andersen

Die Dritt- und Viertplatzierten der Bundestagswahl sehen sich als Zukunftsmotoren und loten zuerst bilateral ihre Gemeinsamkeiten aus.

Berlin – Olaf Scholz war die Freunde über den Wahlsieg am Montag deutlich anzusehen. Er warb vor Medien für eine Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP, denn diese wäre ein Bündnis der Wahlsieger. SPD und Grüne hatten am Sonntag jeweils um rund fünf Punkte zugelegt und auch die Liberalen haben ein kleines Plus vor dem Ergebnis. „Ich möchte eine Regierung bilden, die auf Vertrauen beruht“, versprach Scholz und meinte, die Wähler hätten „sehr klar gesprochen“ und wollen die Union nicht mehr in der Regierung sehen.

Eine halben Schritt zurück und kurze Zeit später zwei Schritte nach vorn hat Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) am Tag nach dem für die Union desaströsen Wahlsonntag gemacht. Obwohl es Sonntagabend noch anders geklungen hatte, betonte Laschet gestern, dass er aus dem Wahlergebnis keinen Anspruch auf die Regierungsbildung ablesen könne.

Für Laschet steht viel auf dem Spiel

Keineswegs aber rückten er und auch CSU-Chef Markus Söder davon ab, mit FDP und Grünen eine Jamaika-Koalition bilden zu wollen. Und Wahlverlierer Laschet ließ keinen Zweifel daran, wie ernst er es damit meint. Er habe schon Sonntagabend ein längeres Gespräch mit FDP-Chef Christian Lindner geführt und werde dasselbe auch noch am Montag mit Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock tun.

Intern musste Laschet gestern schon Kritik und einen Rückschlag einstecken. Denn sein Versuch, nach dem Fraktionsvorsitz im Bundestag zu greifen, scheiterte. Der amtierende Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus weigerte sich, den Vorsitz zunächst nur kommissarisch zu übernehmen, um ihn Laschet überlassen zu können, wenn es nichts mit der Kanzlerschaft wird. Brinkhaus stellte klar, dass er sich heute Dienstag für ein Jahr wählen lassen werde. Und in der Vorstandssitzung der bayerischen Schwesterpartei CSU wurde nach Teilnehmerangaben einmal mehr beklagt, dass Söder der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre. Für Laschet steht viel auf dem Spiel, denn eine Rückkehr des Noch-Ministerpräsidenten nach Nordrhein-Westfalen hatte Laschet von Beginn an ausgeschlossen.

Zunächst einmal werden sich aber ohnehin sowohl Union als auch die Sozialdemokraten in Geduld üben müssen. Denn Liberale und Grüne werden bilaterale Gespräche führen, um auszuloten, inwieweit man überhaupt gemeinsame Ziele für eine Regierungszusammenarbeit entwickeln kann.

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Grünen wollen Ampelbündnis

Der FDP-Parteivorstand habe „Vorsondierungen“ mit den Grünen beschlossen, sagte Lindner. Er begründete dies damit, dass es bei Grünen und der FDP „die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums“ gebe. Gleichzeitig handle es sich um jene Parteien, die sich am stärksten gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt hätten. „Weder die Union noch die SPD stehen für Aufbruch“, meinte er. Und Grünen-Co-Chef Robert Habeck stimmte zu: „Wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr“ zur FDP.

Die Grünen machten gestern kein Hehl daraus, dass sie ein Ampelbündnis wünschen. „Die Menschen wollen Olaf Scholz als Kanzler, nicht Armin Laschet“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner. Habeck meinte, dass die SPD deutlich vor der Union liege und auch die „progressivere Partei“ sei. SPD-Kandidat Olaf Scholz habe einen „deutlichen Vertrauensvorschuss der Menschen“ bekommen, stellte er im Deutschlandfunk unmissverständlich klar.

FDP-Politiker warben indes dafür, dass Liberale und Grüne gemeinsam für Reformen in Deutschland sorgen. Sie seien der mögliche „Veränderungsmotor der deutschen Politik“, bekräftigte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.

FDP will sich nicht mehr „ausbremsen" lassen

FDP-Generalsekretär Volker Wissing signalisierte Kompromissbereitschaft gegenüber der SPD. Die liberalen Vorschläge ließen sich auch schrittweise umsetzen. Der FDP gehe es um Inhalte. „Wir wollen niemanden ins Kanzleramt hieven“, versicherte er. Zugleich wies er darauf hin, dass die Union in früheren schwarz-gelben Regierungen Reformen verhindert habe. Nun sei die FDP nicht mehr bereit, sich „ausbremsen“ zu lassen.

Nach dem vorläufigen Ergebnis verbesserte sich die SPD bei der Wahl am Sonntag auf 25,7 Prozent (2017: 20,5). Die Union dagegen erlebte ein historisches Debakel, sie kommt nur noch auf 24,1 Prozent (32,9). Die Grünen erzielten mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ihr bisher bestes Ergebnis, blieben mit 14,8 Prozent (8,9) aber hinter den Erwartungen zurück. Die FDP verbesserte sich auf 11,5 Prozent (10,7).

Die AfD, bisher auf Platz drei, kommt nur noch auf 10,3 Prozent (12,6). In Thüringen und Sachsen wurde sie aber stärkste Partei. Die Linke rutschte auf 4,9 Prozent ab (9,2) und konnte nur dank dreier Direktmandate wieder in den Bundestag einziehen. (sta, dpa)

🔎 Wahlsplitter

Kampf ums Direktmandat: Das prominenteste Duell ums Direktmandat hat zwischen zwei KanzlerkandidatInnen in einem Potsdamer Wahlkreis stattgefunden. Olaf Scholz (SPD) hat es errungen, Annalena Baerbock (Grüne) landete nur auf Platz 3. Der „Corona-Papst“ Karl Lauterbach (SPD) ist drin, der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU), der wegen seiner Nähe zur AfD umstritten war, nicht. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat das Duell gegen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) um das Direktmandat im Wahlkreis Saarlouis gewonnen. Viele CDU-Minister gingen leer aus, darunter auch die Verteidigungsministerin und ehemalige CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und auch der bisherige Wahlkreis der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ging an die SPD verloren. Die Grünen schnitten mit 16 Direktmandaten bundesweit so gut ab wie nie zuvor. Baerbocks Co-Vorsitzender Robert Habeck gewann das allererste Direktmandat für seine Partei in Schleswig-Holstein. Der ehemalige Parteichef Cem Özdemir holte sich den Wahlkreis Stuttgart I. Für die Linke gewannen Gregor Gysi (Berlin), Gesine Lötzsch (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) Direktmandate – und sicherten ihrer Partei damit den Einzug in den Bundestag. Die AfD erhielt 16 Direktmandate.

Frauen bei Grünen und Linken die Mehrheit: Die Grünen haben im neuen Bundestag den höchsten Frauenanteil. In ihrer Fraktion sind 58,5 Prozent der Abgeordneten weiblich. Auch bei der Linken sind es mehr als die Hälfte (53,8 Prozent). Die SPD kommt auf 41,7 Prozent Frauen. Die wenigsten weiblichen Abgeordneten gibt es mit 13,3 Prozent in der Fraktion der AfD. Bei der FDP (23,9) und der Union (23,5) ist der Frauenanteil ungefähr gleich groß. Im Durchschnitt ist gut ein Drittel der Sitze im deutschen Parlament mit Frauen besetzt (34,7 Prozent) – und damit etwas mehr als im bisherigen Bundestag (2017: 31,4).

35 Abgeordnete: Der neue Bundestag zählt 735 Abgeordnete – nach 709 in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode. Gemessen an Befürchtungen, der neue Deutsche Bundestag könne 800, 900 oder gar 1000 Abgeordnete stark werden, hält sich der Zuwachs um 26 Parlamentarier in Grenzen. Nach Berechnungen des Wahlforschers Robert Vehrkamp geht der Zuwachs in erster Linie auf das Konto der CSU. Diese habe 45 der 46 Direktmandate in Bayern gewonnen, nach dem Zweitstimmenanteil hätten ihr aber nur 34 Sitze zugestanden.

Höchste Wahlbeteiligung in Bayern: Die Bayern waren bei der Bundestagswahl am fleißigsten. Mit 79,8 Prozent weist der Freistaat die höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer auf, wie aus Zahlen des Bundeswahlleiters hervorgeht. Sie liegt damit 3,2 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt. Auch gegenüber 2017 stieg die Wahlbeteiligung. Damals lag sie in Bayern bei 78,1 Prozent.

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