Der Mensch steht im Mittelpunkt: „Etwas, das Generationen überdauert“
In Tirol gibt es aktuell 42 Notariate. Sie sind Ansprechpartner:innen und Berater:innen bei Fragen aus dem Familien-, Erb- und Immobilienrecht sowie Unternehmens- und Gesellschaftsrecht. Die Menschen werden rechtlich in ihren entscheidenden Lebensphasen begleitet – privat und beruflich, persönlich oder auch digital. Gert Kössler, Präsident der Notariatskammer für Tirol und Vorarlberg, aus Anlass des Jubiläums 150 Jahre Notariatsordnung im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung über die Anfänge des Notariats bis heute.
Wie war das Berufsbild damals, wie hat es sich bis heute verändert?
Im Jahr 1871 war Österreich eine Monarchie. Kaiser Franz Joseph unterschrieb am 25. Juli 1871 eine neue Notariatsordnung. Die Aufgaben des Notariats wurden damit in einem eigenen Berufsrecht festgelegt und umfassten im Wesentlichen das Grundbuch, Vermögensrecht und die Abwicklung von Verlassenschaften.
Bei der Vorstellung, wie sich der Alltag, insbesondere der berufliche Alltag, im Jahr 1871 darstellte, scheitere ich. So vieles war im Vergleich zu heute anders beziehungsweise noch gar nicht vorhanden. Alleine, wenn man die damaligen Wege der Kommunikation mit den heutigen Möglichkeiten vergleicht.
Heute werden Vertragsentwürfe binnen weniger Tage erstellt, auf sicherem digitalen Weg vorab zur Durchsicht oder rechtlichen Prüfung verteilt, und die Reaktionszeiten liegen je nach Komplexität des Einzelfalles zwischen wenigen Stunden und einigen Tagen. Diese Arbeitsweise ist mit der damaligen Zeit sicher in keiner Weise zu vergleichen.
Wie haben sich die Herausforderungen geändert?
Die Aufgaben für Notare sind mehr geworden im Vergleich zu der Zeit vor 150 Jahren. Zwar waren Notare damals bereits für Grundbuchsangelegenheiten, Vermögensrecht und für die Abhandlung von Verlassenschaften zuständig. Seither sind aber viele Bereiche neu dazugekommen, wie etwa das Gesellschafts- und Unternehmensrecht in seiner modernen Form, Bereiche des Familien- und Eherechts und viele mehr. Weiters sind die bisherigen Tätigkeitsfelder gewachsen und haben an Vielfalt und Komplexität enorm zugenommen.
Wir leben außerdem in einer Zeit, in der alle rechtlichen Grundlagen, Gesetze samt Erläuterungen, Literatur sowie gerichtliche Entscheidungen jederzeit, teilweise buchstäblich auf Knopfdruck, verfügbar sind. Zusätzlich ändern sich die gesetzlichen Grundlagen viel schneller und in viel größerem Umfang als noch vor einigen Jahren – und erst recht vor 150 Jahren.
Das heißt, dass uns in unserer Arbeit grundsätzlich jede Information zur Verfügung steht und wir sie daher kennen müssen. Das ist heute meines Erachtens eine der ganz großen Herausforderungen, diesem Anspruch möglichst gerecht zu werden. Damit einher geht die Erkenntnis, dass Einzelpersonen dies gar nicht mehr leisten können, weil der Umfang an Informationen alleine gar nie mehr zu bewältigen wäre.
„Im Mittelpunkt der Mensch“ heißt für mich als Notar …?
Das ist ein Beispiel für etwas, das die Generationen überdauert. Bei aller Gesetzesflut, neuen Kommunikationsmedien und geänderten Arbeitsbedingungen ist etwas gleich geblieben: nämlich dass sich Klienten mit Anliegen in für sie bedeutenden Lebenssituationen an uns wenden und es unsere Aufgabe ist, ihre menschlichen, familiären, vermögensrechtlichen und geschäftlichen Anliegen rechtssicher, aber vor allem den Wünschen und Bedürfnissen unserer Kunden entsprechend zu regeln. Gehen wird es letztlich immer darum, und damit bleibt im Mittelpunkt unserer Arbeit der Mensch mit seinen Anliegen.
Wie sind die Zukunftsaussichten? Mit welchen Veränderungen beziehungsweise Herausforderungen wird man noch rechnen müssen?
Bei Veränderungen und Herausforderungen kommt man heutzutage an dem Thema Digitalisierung nicht vorbei. Augenfällig verändert die Digitalisierung alle Lebensbereiche, und das betrifft natürlich auch den Bereich des Rechts und der Rechtsdienstleistung. Dieser Prozess steht meines Erachtens erst am Anfang und wird auch für unsere Berufsausübung noch viele Neuerungen und Veränderungen mit sich bringen.
Ich bin aber mittlerweile aus zwei Gründen durchaus optimistisch:
1. Die Herausforderung, dass es seit jeher und dieser Tage noch mehr als früher nötig ist vorauszudenken, hat das Notariat erkannt und angenommen.
Wir bemühen uns mit ersten Erfolgen, proaktiv an dieser Veränderung mitzuwirken und unseren Beitrag zu leisten. Wir sind mittlerweile in der Lage, notarielle Dienstleistungen auch auf digitalem Weg anzubieten, und dies mit denselben Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die wir aus unserer analogen Arbeit gewohnt sind.
2. Außerdem stellen uns unsere Klienten jeden Tag Fragen und Aufgaben, die auch in der Zukunft beantwortet beziehungsweise gelöst werden müssen. Für mich bedeutet das, dass sich die Kommunikations-, Informations- und Speichermedien ändern mögen, die menschlichen Fragen und Bedürfnisse werden einander aber auch in vielen Jahren noch ähneln. Und für uns steht bei allem Fortschritt eben der Mensch im Mittelpunkt.
Notarinnen und Notare in Österreich
Bundesweit gibt es heute 528 Notar:innen. Eine erste Rechtsauskunft ist kostenlos. Ein/e Notar:in in Ihrer Nähe: www.notar.at.
Eine Information der ÖGIZIN GmbH
Herr Kössler, warum sind Sie Notar geworden?
Es wäre geheuchelt, wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich bei meiner Entscheidung vor mittlerweile mehr als zwanzig Jahren genau vor Augen gehabt hätte, was die Ausübung dieses Berufes mit sich bringt. Ich darf die Frage daher vielleicht so beantworten, dass ich heute sehr dankbar dafür bin, dass mir dieser Weg möglich war, weil dieser Beruf nach meinem Dafürhalten die schönste Aufgabenstellung mit sich bringt, die man als Jurist haben kann. Die ureigenste Aufgabe eines Notars ist es, für die eigenen Mandanten, die einem dafür das Vertrauen schenken, gute und tragfähige Regelungen für ihre bedeutenden Anliegen zu erarbeiten und rechtliche Probleme daher allparteilich und im Idealfall zur besten Zufriedenheit aller Beteiligten zu lösen. Wenn einem das gelingt, sehe ich das auch als schönen persönlichen Erfolg. Eine schönere Motivation könnte es für mich im juristischen Berufsfeld kaum geben.