Rücktritt

Kurz verkündet Rücktritt: „Bin weder Heiliger noch Verbrecher“

Sebastian Kurz verlässt nach zehn Jahren die Politik.
© HERBERT NEUBAUER

Knapp zwei Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler zieht sich Sebastian Kurz komplett aus der Politik zurück. Innenminister Karl Nehammer könnte die Nachfolge als Klubobmann antreten – und Kanzler werden.

Wien – Sebastian Kurz zieht sich nach zehn Jahren aus der Politik zurück. Er erklärte am Donnerstag überraschend seinen Rücktritt als Bundesparteiobmann und Klubobmann der ÖVP. Der 35-Jährige begründete diesen Schritt einerseits mit der Geburt seines Sohnes vergangene Woche und gleichzeitig mit den Vorwürfen und Ermittlungen gegen seine Person. „Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber ich empfinde keine Wehmut", sagte Kurz und bedankte sich für zehn „lehrreiche“Jahre.

Nachfolger könnte unbestätigten Informationen zufolge Innenminister Karl Nehammer werden. Spekuliert wird über eine größere Regierungsumbildung im ÖVP-Team. Erst Anfang Oktober war Kurz im Zusammenhang mit Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Inseratenaffäre als Bundeskanzler zurückgetreten.

Innenminister Karl Nehammer wird als Nachfolger gehandelt.
© GEORG HOCHMUTH

Fragen zu seiner persönlichen Zukunft beantwortete Kurz nicht. „Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen“, war das einzige, was Kurz im Abgang zu entlocken war. Klar ist vorerst nur, dass August Wöginger wieder alleiniger Klubobmann im Nationalrat wird. Nicht offiziell ist vorerst der Aufstieg Nehammers an die Parteispitze. Auch ob Nehammer – wie zu erwarten wäre – das Kanzleramt übernimmt, blieb vorerst offen. Der ÖVP-Vorstand soll dazu am Freitag beraten. Danach werde es eine „geordnete Übergabe“aller politischen Funktionen geben, kündigte Kurz an.

Zuvor hatte der scheidende ÖVP-Obmann 20 Minuten lang seine Karriere revuepassieren lassen, sich bei Unterstützern und Förderern bedankt sowie die Gründe für seinen Abgang erläutert. Die zehn Jahre in der Politik seien die „Ehre meines Lebens“ gewesen, sagte Kurz. Zwar habe man in der Politik stets „fast ein bisschen das Gefühl, gejagt zu werden“, aber: „Das hat mein Team und mich zu Höchstleistungen motiviert."

📽️ Video | Sebastian Kurz verlässt die Politik

Die Ereignisse der letzten Monate hätten seine Leidenschaft für die Politik aber doch ein Stück weit getrübt, spielte Kurz auf die Korruptionsermittlungen an. Die Geburt seines Sohnes habe ihm schließlich gezeigt, „wie viel Schönes und Wichtiges es auch außerhalb der Politik gibt“.

Einmal mehr kündigte Kurz an, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften zu wollen. „Ich freue mich auf den Tag, auch wenn es Jahre dauern kann, wo ich bei Gericht beweisen kann, dass die Vorwürfe gegen meine Person falsch sind.“Er habe natürlich Fehler gemacht und habe es manchmal nicht geschafft, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, so Kurz, aber: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher.“

💬 Kurz-Rücktritt in Zitaten

Ich habe stets mein Bestes gegeben und alles versucht.
Ich habe von Anfang an aus meinen Überzeugungen kein Geheimnis gemacht.
Spitzenpolitik ist auch ein Wechselbad der Gefühle.
Man muss als Kanzler jeden Tag so viele Entscheidungen treffen, dass man schon in der Früh weiß, dass auch falsche Entscheidungen dabei sein werden.
Man ist ständig unter Beobachtung, wird täglich kritisiert und hat fast ein bisschen das Gefühl gejagt zu werden.
Das Gefühl gejagt zu werden hat uns zu Höchstleistung motiviert.
Mein Team und ich haben rund um die Uhr gearbeitet, die Arbeit über alles gestellt und für fast alles andere kaum oder gar keine Zeit gehabt.
Bei der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie viel Schönes und Wichtiges es auch außerhalb der Politik gibt.
Ich war die letzten zehn Jahre mit 100 Prozent Begeisterung dabei und hatte immer enorme Freude an der politischen Arbeit. Diese Begeisterung ist aber weniger geworden. (...) Ich habe Politik immer als Wettbewerb der besten Ideen empfunden, aber mein politischer Alltag war zuletzt nicht der Wettbewerb der besten Ideen, sondern die Abwehr von Vorwürfen, Unterstellungen und Verfahren.
Es hat in mir meine eigene Flamme ein bisschen kleiner werden lassen.
Ich habe selbstverständlich Fehlentscheidungen getroffen und bin meinen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht geworden
Ich bin weder ein Heiliger, noch ein Verbrecher. Ich bin ein Mensch.
Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber ich empfinde keine Wehmut

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