Deutschland

Deutsche Ampel-Regierung im Amt: Scholz ist neuer Kanzler

Angela Merkel hat ihrem Nachfolger Olaf Scholz zum Start ins Amt gratuliert.
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Die Ära Angela Merkel ist beendet. 395 von 707 Stimmen im Bundestag entfielen auf Scholz. Er ist damit der vierte SPD-Kanzler. Zahlreiche Gratulationen aus In- und Ausland folgten.

Berlin – Die erste rot-grün-gelbe Bundesregierung ist im Amt und kann mit ihrer geplanten Erneuerung Deutschlands loslegen. Der Bundestag wählte am Mittwoch in Berlin den Sozialdemokraten Olaf Scholz zum Kanzler. Er und seine 16 Ministerinnen und Minister erhielten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden. Dieser rief die neue Regierung dazu auf, bei ihrer Reformpolitik alle Menschen mitzunehmen. Nach 16 Jahren endete so die Ära von Kanzlerin Angela Merkel.

Die Christdemokratin Merkel übergab ihr Amt am Nachmittag an ihren sozialdemokratischen Nachfolger. In der geheimen Wahl im Bundestag waren 395 der 707 abgegebenen Stimmen auf Scholz entfallen. Es gab 303 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen. Drei Stimmen waren ungültig. Scholz übertraf die Kanzlermehrheit von 369 Stimmen deutlich, doch fehlten ihm mindestens 15 Voten aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP. Die Ampel-Parteien verfügen im Parlament über 416 Mandate – 47 mehr als die sogenannte Kanzlermehrheit. Sechs Abgeordnete der drei Fraktionen nahmen nach deren Angaben nicht an der Abstimmung teil, etwa weil sie krank waren.

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Scholz sprach im Bundestag die im Grundgesetz festgelegte Eidesformel: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." Der SPD-Politiker - und später sieben seiner Ministerinnen und Minister - verzichteten auf den Zusatz "So wahr mir Gott helfe".

Nach seiner Wahl überreichte ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde.
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Steinmeier sagte bei der Überreichung der Ernennungsurkunden, die neue Regierung habe sich "viel Fortschritt, viel Reform und viel Veränderung vorgenommen". Veränderung treffe die Erwartungen und wecke die Hoffnungen der einen. Bei anderen aber schüre sie auch Unsicherheit und Zweifel. "Die Mehrheit hat Ihnen ein Mandat für mutige Schritte des Wandels gegeben. Aber: Wer mutig vorangeht, wird Sorge dafür tragen, dass die weniger Starken Schritt halten können, dass die Menschen, für die Veränderung Verlust bedeutet, auch Neues gewinnen können."

Der deutsche Bundespräsident erinnerte die Ampel-Koalition auch an ihre außenpolitische Verantwortung. Deutschland sei keine abgelegene Insel, sagte er. "Die Welt schaut auf unser Land. Die Erwartungen an Deutschland sind groß. Unsere Verlässlichkeit und unser Einstehen für Regeln und Zusammenarbeit, für die liberale Demokratie und für das vereinte Europa, für den Frieden und unsere Sicherheit im Bündnis, all das wird Ihnen viel Zeit und Mühe abverlangen."

Scholz wird der vierte SPD-Kanzler nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.
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Bei der Übergabe des Kanzleramts wünschte Merkel Scholz "immer eine glückliche Hand". Sie wisse, dass er mit großer Motivation an die Arbeit gehe. "Und deshalb: Nehmen Sie dieses Haus in Besitz und arbeiten Sie mit ihm zum Besten unseres Landes." Scholz bescheinigte Merkel, Deutschland "geprägt" zu haben. "Das war eine große Zeit, in der Sie Kanzlerin dieses Landes waren, und Sie haben auch Großartiges bewegt." In vielen Ministerien fand zeitgleich ebenfalls die Amtsübergabe an die neuen Hausherren statt. Das neue Kabinett wollte sich am Abend zu seiner ersten Sitzung treffen.

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Nach Scholz wurden auch seine 16 Ministerinnen und Minister von SPD, Grünen und FDP vom deutschen Bundespräsidenten ernannt. Anschließend leisteten sie im Bundestag ihren Amtseid. Das neue Kabinett wollte sich am Abend zu seiner ersten Sitzung treffen.

Scholz ist erst der vierte SPD-Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik – nach Willy Brandt (1969-1974), Helmut Schmidt (1974-1982) und Gerhard Schröder (1998-2005). Die CDU stellte bisher die vier Kanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl sowie zuletzt Kanzlerin Merkel.

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Lob und Gratulationen aus Österreich

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gratulierte Olaf Scholz zu dessen Angelobung als deutscher Bundeskanzler. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit zur weiteren Vertiefung der engen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland", schrieb er auf Twitter.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen gratulierte Scholz am Mittwoch zu dessen Wahl zum Bundeskanzler. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Ausübung Ihrer Funktion und den Bürgerinnen und Bürgern Ihres Landes alles Gute für die kommenden Jahre", schrieb er in einem Tweet. Zudem dankte er im Namen der Republik Österreich Angela Merkel für ihr Wirken als Kanzlerin in den letzten 16 Jahren. „Ihre unermüdlichen Verdienste, ihre Umsicht und ihr Geschick haben unseren Kontinent geprägt und zum Besseren verändert", so Van der Bellen.

SPÖ-Bundesparteivorsitzende Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner gratulierte Olaf Scholz am Mittwoch in einer Aussendung zur Wahl zum deutschen Bundeskanzler und zeigte sich erfreut über das Zustandekommen der SPD-geführten Ampel-Koalition. Scholz habe mit viel Erfahrung und Entschlossenheit eine Regierung mit sozialdemokratischem Profil geformt, so Rendi-Wagner. „Mit ihrem Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit steht die fortschrittliche Ampel-Koalition unter Kanzler Olaf Scholz für Aufbruch, Hoffnung und Zuversicht." Olaf Scholz sei als deutscher Kanzler „der richtige Mann am richtigen Ort", betont die SPÖ-Chefin. Jetzt gehe es unter anderem darum, gesellschaftliche Gräben zu überwinden.

Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures teilte anlässlich Scholz Kanzlerwahl in einer Aussendung mit: „Der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist ein wichtiges Signal für ein Europa der Stärke, der Stabilität und der Demokratie." Scholz sei als überzeugter Demokrat und Europäer ein „ungemein wichtiger Anker für Stabilität und Freiheit in der Europäischen Union." Er werde antidemokratischen Tendenzen entgegentreten und europäische Grundwerte schützen. „Es würde Österreich und dem neuen österreichischen Bundeskanzler gut anstehen, sich tunlichst in diese proeuropäische Phalanx einzuordnen, anstatt sich durch Visegrad-Abenteuer europapolitisch weiter zu isolieren", so Bures weiter.

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Ampel-Koalition

In der neuen Regierung stellt die SPD sieben Ministerinnen und Minister: Wolfgang Schmidt (Kanzleramtschef), Karl Lauterbach (Gesundheit), Hubertus Heil (Arbeit und Soziales), Nancy Faeser (Innen), Christine Lambrecht (Verteidigung), Klara Geywitz (Bau) und Svenja Schulze (Entwicklung).

Für die Grünen sind im Kabinett: Annalena Baerbock (Außen), Robert Habeck (Wirtschaft und Klimaschutz), Anne Spiegel (Familie), Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Agrar). Habeck ist auch Vizekanzler.

Die Kabinettsmitglieder der FDP sind: Christian Lindner (Finanzen), Volker Wissing (Verkehr), Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung).

Die neue deutsche Regierung.
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Dank an scheidende Kanzlerin Merkel

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wünschte Scholz alles Gute für sein neues Amt: „Herzlichen Glückwunsch, lieber Olaf Scholz, zur Wahl und Ernennung als Bundeskanzler", schrieb die CDU-Politikerin am Mittwoch auf Twitter. „Ich wünsche einen guten Start und freue mich auf eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit für ein starkes Europa." Sie freue sich auf ein baldiges Treffen in Brüssel.

Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, sowie EU-Ratschef Charles Michel gratulierten Scholz ebenfalls zu seinem neuen Amt: „Alles Gute, lieber Olaf Scholz, zur Wahl als Bundeskanzler", schrieb Michel am Mittwoch auf Twitter. Er freue sich, zusammen an einem starken und unabhängigen Europa zu arbeiten. Zugleich dankte Michel, der als Ratschef die EU-Gipfel der Staats-und Regierungschefs leitet, der scheidenden Kanzlerin. „Mein Dank an dich, liebe Angela Merkel, für viele Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit." Sassoli betonte, dass sich das Europaparlament auf die Zusammenarbeit mit Scholz freue.

Der chinesische Präsident Xi Jinping übermittelte chinesischen Staatsmedien zufolge ebenfalls dem SPD-Politiker seine Glückwünsche. Xi erklärte, er sei bereit, zusammen mit Scholz auf eine Vertiefung des Vertrauens zwischen beiden Ländern hinzuarbeiten und beschrieb China und Deutschland als „umfassende strategische Partner". Auch der chinesische Regierungschef Li Keqiang gratulierte Scholz demnach: „Ich freue mich darauf, gute Arbeitskontakte zu ihnen aufzubauen und aufrechtzuerhalten".

Russlands Präsident Wladimir Putin strebt „konstruktive Beziehungen" zur neuen Bundesregierung unter Scholz an: „Wir setzen auf Kontinuität und darauf, dass sich konstruktive Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem neuen Kanzler einstellen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau.

Auf der Ehrentribüne hatten Merkel, der frühere Kanzler Gerhard Schröder, der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sowie etliche Mitglieder des neuen Kabinetts die Wahl verfolgt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron würdigte Merkel zum Abschied mit einem Videogruß für ihr europäisches Engagement. „Danke, dass du die Lehren der Geschichte nie vergessen und so viel für und mit uns getan hast, um Europa voranzubringen", schrieb Macron am Mittwoch auf Twitter. Im Französischen fügte er noch ein „chère Angela", also „liebe Angela", hinzu. Macron teilte dazu ein Video, das etliche gemeinsame Auftritte der beiden in den vergangenen Jahren zeigte. (APA/dpa/AFP/Reuters)

Orban zur Regierung Scholz: Stehen nicht mehr Seite an Seite

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sieht tiefe Gräben im Verhältnis zu Deutschland und auch zur neuen Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD). „Die neue linksliberale Regierung strebt weg von Kohls Europa der Vaterländer hin zu einer migrations- und genderfreundlichen, deutsch geprägten, zentralistischen Politik aus Brüssel. Hier stehen wir nicht mehr Seite an Seite", schrieb der konservative Politiker in einem Gastbeitrag für die „Bild"-Zeitung.

Orban stellt fest: „Schon mit der Migrationskrise 2015 zerbrach unsere Einigkeit." Damals waren Hunderttausende Migranten weitgehend unkontrolliert über die Balkan-Route nach Europa eingereist, vor allem nach Deutschland. Die damalige Krise habe tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft der Europäischen Union zutage gefördert, schrieb er. „Für die Ungarn und andere Mitteleuropäer ist die Heimat immanent, die nationale und kulturelle Identität substanziell. Die Entwicklung zeigte, dass Angela Merkel eine andere Richtung einschlug, einen nachchristlichen und postnationalen Weg."

Als Mitstreiter habe er während Merkels 16-jähriger Kanzlerschaft klare Antworten auf die Fragen unserer Zeit vermisst, schrieb Orban. „Eines ist sicher: das Zeitalter der Zweideutigkeit, des unklaren Politikverständnisses und des Sich-treiben-Lassens ist jetzt zu Ende gegangen. Es kommen neue Zeiten, mit offenem Visier."