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„The Unforgivable“: Schuld und Sühne in Seattle

Sandra Bullock sucht als entlassene verurteilte Mörderin Ruth nach Vergebung, ihrer Schwester und nach ihrem zweiten Oscar.
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Regisseurin Nora Fingscheidt setzt in ihrem zweiten Film „The Unforgivable“ Sandra Bullock in Szene.

Innsbruck – Ruth hat einen Polizisten getötet. In den USA ist das eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt. Das wusste schon Hollywoods Selbstzensur, die es Filmemachern bis in die 60er-Jahre verbot, einen Polizistenmord überhaupt zu zeigen.

Solchen Restriktionen musste sich die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt bei ihrem USA-Ausflug nicht mehr unterwerfen. Den internationalen Auftakt mit „The Unforgivable“ im Auftrag von Netflix verdankt sie ihrem intensiven Debütfilm „Systemsprenger“, der international für Furore sorgte. Das verhalf schon ihrer Kinder-Hauptdarstellerin Helena Zengel zu einer Rolle an der Seite von Tom Hanks und dem Beginn einer Hollywood-Karriere. Fingscheidt setzt nun bravourös die Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock in Szene.

📽️ Trailer | „The Unforgivable“

Die Hauptfigur Ruth Slater kommt nach 20 Jahren Gefängnis auf Bewährung frei. Sichtlich gezeichnet lebt sie in der Vergangenheit und nicht im Seattle von heute. Flashbacks durchbrechen ihre Gegenwart, die jenen tödlichen Tag auch für uns Zuschauer zu Tage fördern.

Bei einer Zwangsräumung kam der Sheriff zu Tode, Ruth flüchtete mit ihrer fünfjährigen Schwester. 20 Jahre später ist sie nur vom Wunsch getrieben, Kathi wiederzusehen. Die gelbe Tasche, die sie mit sich herumträgt, steckt voller traumatischer Erinnerungen. Zwischen zwei Jobs, Treffen mit ihrem Bewährungshelfer und Annäherungen an einen Arbeitskollegen versucht sie mit Hilfe eines Anwalts, mit ihrer Schwester in Kontakt zu kommen. Auch die beiden Söhne des Sheriffs wollen die Vergangenheit nicht ruhen lassen. So transformiert sich diese Schuld-und-Sühne-Story von einer mitleidsschweren Vergangenheitsbewältigung hin zur packenden Gegenwarts-Geschichte.

Vorlage für den Film war ein britischer Fernseh-Dreiteiler von 2009. Diese narrative Dichte merkt man dem Film an, ohne dass er deswegen übervoll wirkt. Lediglich manche Nebenstränge sind etwas skizzenhaft. Fingscheidt komponiert ihr Hollywood-Debüt dennoch kompakt und ohne künstliche Spannung, aber mit ordentlich inhaltlicher Intensität, nur manchmal gestört von Hans Zimmers dick aufgetragener Musik. Dazwischen lässt sie Sandra Bullock viel Platz für diese klassische Dramarolle, die nach Oscar-Nominierung schreit.

Bullock verkörpert die traumatisierte große Schwester überzeugend, wenn auch etwas monoton, umgeben von einem großartigen Ensemble in den alles andere als flachen Nebenrollen (u. a. Viola Davis). Jede Figur beeinflusst das Leben der anderen, jede Handlung hat unerwartete Konsequenzen für andere. Das ist die Botschaft. Und auch das Ende kommt überraschend. (maw)