Coronavirus

Ein Jahr Impfen: Schwere Nebenwirkungen sind extrem selten

Christoph Wenisch, der Leiter der Infektionsabteilung einer Wiener Klinik war einer der ersten, die gegen das Coronavirus geimpft wurden.
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Kurz nach Weihnachten 2020 wurden die ersten Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Seither sorgten immer wieder Berichte über Nebenwirkungen für Irritationen. Was wissen wir heute darüber?

Wien, Frankfurt – Von der Politik als "Gamechanger" angekündigt, hat am 27. Dezember 2020 die Corona-Impfaktion in Österreich und in Deutschland begonnen. Das symbolträchtige Bild der Victory-Geste des Wiener Mediziners Christoph Wenisch ging damals rund um die Welt. Doch aus dem herbeigesehnten Weg in die Normalität wurde angesichts der Delta-und Omikron-Varianten und dem doch recht hohen Anteil an Impfverweigerern bisher nichts.

Die laut Studien und späteren Real-World-Daten gegen schwere Verläufe hochwirksamen Vakzine waren zunächst rar und in den ersten Monaten des Jahres 2021 vorrangig für ältere Menschen und Gesundheitspersonal bestimmt. Etliche Landespolitiker sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sich bei der Immunisierung vorgedrängt zu haben. Seinen Posten musste Impfkoordinator Clemens Martin Auer räumen, nachdem er wegen vermeintlich zu geringer Bestellung von Impfstoffen in die Kritik geraten war.

In die Diskussion um die Knappheit der Impfstoffe mischte sich aber bald eine andere Sorge: Thrombosen bei Frauen, Herzmuskelschwäche bei Jugendlichen – Berichte über mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe verunsicherten viele Menschen. Inzwischen sind aber Millionen Menschen immunisiert: Zeit für eine Bilanz.

Viele Regierungen setzen bis heute auf mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna.
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Die Impfungen hätten nicht nur Krankenhauseinweisungen und Todesfälle verhindert, sondern auch wieder einen großen Teil des sozialen Lebens ermöglicht, schreiben US-Autoren im Fachblatt Jama. Damit Menschen den Impfstoffen vertrauten, sei es wichtig, "den großen Nutzen und die geringen Risiken" klar zu kommunizieren, aber auch die Sicherheit der Impfstoffe zu überwachen, betonen die Experten der Gesundheitsbehörde CDC.

Typische Beschwerden nach einer Impfung sind laut Deutscher Gesellschaft für Immunologie (DGfI) Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Schüttelfrost und Fieber. "Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen komplett ab", schreibt das Robert Koch-Institut (RKI).

📽️ Video | Seit einem Jahr wird geimpft:

Tödliche und lebensbedrohende Nebenwirkungen extrem selten

Das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlicht regelmäßig sogenannte Sicherheitsberichte zu den Covid-19-Vakzinen. Der jüngste stammt vom 23. Dezember und bezieht sich auf über 123 Millionen Impfungen, die bundesweit bis Ende November verabreicht wurden. Gemeldet wurden bis dahin 1,6 Verdachtsfälle pro 1000 Dosen – das entspricht 0,16 Prozent. Betrachtet man nur die schwerwiegenden Reaktionen, liegt die Melderate bei 0,2 Verdachtsfällen pro 1000 Impfdosen – 0,02 Prozent.

Als "schwerwiegend" definiert das Arzneimittelgesetz Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung erfordern oder zu bleibenden Schäden führen. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind laut Infektionsschutzgesetz meldepflichtig, wenn sie "über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehen".

Als "sehr seltene Risiken der Covid-19-Impfstoffe" listet der jüngste PEI-Sicherheitsbericht auf: Allergien (Anaphylaktische Reaktionen), Herzmuskelentzündung (Myokarditis) und Herzbeutelentzündung (Perikarditis), die Nervenentzündung Guillain-Barré-Syndrom sowie Blutgerinnsel (Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom, TTS).

Die Impf-Zahlen hinken nach wie vor den Erwartungen hinterher.
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Was weiß man bisher darüber?

Generell verweist das PEI darauf, "dass unerwünschte Reaktionen im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung gemeldet werden. Ob eine Reaktion tatsächlich eine Folge der Impfung ist, könnten nur Studien beweisen." Das PEI arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten: Es vergleicht, wie häufig eine unerwünschte Reaktion gemeldet wird, und setzt das in Relation dazu, wie häufig dies statistisch in einer vergleichbaren ungeimpften Bevölkerung vorkommt. "Nach derzeitigem Kenntnisstand sind schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten und ändern nicht das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffe", betont der jüngste Sicherheitsbericht.

🔷 Herzmuskelentzündungen:

"Myokarditis ist eine relevante Nebenwirkung", sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Thomas Voigtländer. Das dürfe aber kein Grund sein, sich gegen eine Covid-19-Impfung zu entscheiden: "Wer sich nicht gegen Covid-19 impfen lässt, geht ein weit höheres Risiko durch die Gefahren eines schweren Covid-19-Krankheitsverlaufs ein."

Myokarditis oder Perikarditis als Impfreaktionen seien sehr selten. "Wir sprechen hier von knapp fünf Fällen bezogen auf 100.000 Impfungen." Sie verliefen zudem in der Regel mild und heilten in nahezu allen Fällen aus. Die Verdachtsmeldungen betrafen hauptsächlich die beiden mRNA-Impfstoffe und überwiegend männliche Jugendliche. Dem Sicherheitsbericht zufolge wurden 15 Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung genannt. In drei davon hält das PEI einen ursächlichen Zusammenhang für möglich, in den anderen Fällen geht die Behörde "auf Basis der derzeitigen Datenlage" nicht davon aus.

Die Regierung wirbt angesichts sich schnell ausbreitender Virusvarianten für eine Booster-Impfung.
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🔷 Thrombosen:

Im Frühjahr sorgten Berichte über sehr seltene Thrombosen für Aufregung - das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS). Diese Blutgerinnsel treten oft an ungewöhnlichen Stellen auf, etwa im Gehirn, Betroffene haben gleichzeitig eine verminderte Anzahl von Blutplättchen. "Diese Erkrankung ist eine seltene, aber potenziell gefährliche Nebenwirkung von vektorbasierten Sars-CoV-2-Impfstoffen", betont die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH).

Die Meldungen betrafen überwiegend die Vektorimpfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson. Frauen waren überdurchschnittlich oft betroffen. Laut Sicherheitsbericht wurden 43 Todesfälle durch TTS mit den Impfungen in einen Zusammenhang gebracht. 29 davon erfüllen laut PEI die speziellen Kriterien für eine TTS: Sie betreffen demnach die Präparate von Astrazeneca und Johnson & Johnson. Astrazeneca wird in Deutschland nicht mehr verwendet. In Österreich ist es derzeit noch immer zugelassen, wird aber ebenfalls nicht mehr verwendet. Johnson & Johnson spielt eine untergeordnete Rolle.

Vor einem Jahr startete Österreichs Impfaktion

Für ein wenig Verunsicherung sorgten ab März sehr seltene Nebenwirkungen der zwei Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson, die Thrombosen auslösen können. Es kam dadurch weltweit zu einzelnen Todesfällen, auch in Österreich. Doch Experten versichern, dass der Nutzen bei weitem überwiegt. Anfang Juni und Dank der breiten Verfügbarkeit der Impfstoffe in Österreich erreichte die Immunisierungskampagne mit mehr als 144.000 Stichen an einem Tag ihren ersten Höhepunkt. Danach stagnierte jedoch die Impfrate über den Sommer lange bei rund 60 Prozent.

Am 2. September starteten bereits die ersten "Drittstiche". Zunächst als Auffrischung bezeichnet, ist dieser "Booster" nach neuesten Erkenntnissen wie bei einigen Vakzinen gegen andere Krankheiten wichtig für die Grundimmunisierung. Die Empfehlung führte am 26. November zu einem weiteren Impfrekord mit mehr als 159.000 Stichen – hauptsächlich "Booster" – an einem Tag.

🔷 Allergische Reaktionen:

Anaphylaktische Reaktionen traten bei allen vier zugelassenen Impfstoffen auf, allerdings waren auch sie sehr selten. Die Melderate betrug bis Ende November weniger als ein Fall pro 100.000 Impfdosen. Sie ist bei Frauen etwas höher als bei Männern und bei der ersten Impfdosis höher als bei den Folgeimpfungen.

🔷 Nervenschäden:

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine sehr seltene Autoimmunerkrankung des Nervensystems. Die Melderate nach einer Impfung mit einem der beiden Vektorimpfstoffe lag laut Sicherheitsbericht niedriger als eine Meldung pro 100 000 Impfdosen.

In Österreich ist seit Ende November auch die Impfung für Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis zwölf Jahren zugelassen.
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Was ist mit Langzeitfolgen?

"Es gibt zwei Möglichkeiten, was unter dem Begriff Langzeitfolgen zu verstehen ist", schreibt das PEI. "Etwas, das erst nach langer Zeit eintritt, oder etwas, das über einen langen Zeitraum anhält." Dass sehr seltene Impfkomplikationen über einen langen Zeitraum andauerten, sei "die absolute Ausnahme", schreibt die Behörde.

Aktuelle Daten aus Österreich

Mittlerweile sind fünf Impfstoffe in Österreich zugelassen: die Vakzine von BioNTech/Pfizer und Moderna auf Basis der neuartigen mRNA-Technologie, die Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson sowie der rekombinante Proteinimpfstoff von Novavax. Von letzterem Serum sollen Ende Jänner die ersten Kontingente eintreffen. Bisher wurden laut Gesundheitsministerium 1.581.624 Dosen AstraZeneca, 12.821.627 Dosen BioNTech/Pfizer, 351.860 Dosen Johnson & Johnson sowie 1.455.587 Dosen Moderna verimpft.

Insgesamt verfügen laut den Daten des E-Impfpasses aktuell 6.280.072 Menschen und somit 70,3 Prozent der Österreicher über einen gültigen Impfschutz. 6.589.991 Personen (73,8 Prozent) haben zumindest den Erststich bekommen. 3,58 Millionen oder 39,6 Prozent sind bereits mit dem Drittstich "geboostert".

"Besorgte Bürgerinnen und Bürger verstehen unter Langzeitfolgen – häufig auch Spätfolgen genannt – Nebenwirkungen, die erst mit einer Verzögerung von vielen Monaten oder Jahren nach der Impfung auftreten", heißt es weiter. "Diese Sorgen sind unberechtigt. Wir kennen solche sehr spät einsetzenden Nebenwirkungen von Impfstoffen nicht."

Und wie viele "Impftote" gibt es nun?

Dem jüngsten Sicherheitsbericht zufolge wurde in Deutschland 1919 Mal der Verdacht auf einen Todesfall nach einer Impfung gemeldet. Aber nur in 78 Einzelfällen hat das PEI "den ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet". Ein Vergleich der Anzahl der gemeldeten Todesfälle mit der statistisch zu erwartenden Zahl der Todesfälle im gleichen Zeitraum "ergab für keinen der vier bisher in Deutschland eingesetzten Covid-19-Impfstoffe ein Risikosignal", schreibt das PEI.

In Österreich berichtet das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) in regelmäßigen Abständen über Meldungen vermuteter Nebenwirkungen nach Corona-Schutzimpfungen. In einem Berichtszeitraum, der von Ende Dezember 2020 bis zum 24. September 2021 reicht, wurden insgesamt 10,78 Millionen Covid-Schutzimpfungen in Österreich durchgeführt. In 42.447 Fällen, das sind rund 0,4 Prozent, wurden vermutete Nebenwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gemeldet. Der Großteil betraf "zu erwartende Impfreaktionen, wie sie in den klinischen Studien der Zulassungsverfahren der Impfstoffe beschrieben wurden" – darunter Kopfweh, Fieber, Müdigkeit, oder Schmerzen an der Einstichstelle. Die Melderate von Nebenwirkungen war jedenfalls beim Impfstoff von Astra Zeneca deutlich am höchsten: Pro 1000 Impfungen wurden bei diesem Impfstoff statistisch gesehen 12,30 Fälle von Nebenwirkungen berichtet.

📽️ Video | Petautschnig (ORF) zur CoV-Impfung:

In manchen Fällen wurden auch schwerwiegende Nebenwirkungen in vermuteter zeitlicher Nähe zu einer Impfung gemeldet. So registrierte das Bundesamt bisher 177 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Covid-Impfung. Laut BASG wird derzeit aber nur bei zwei Verstorbenen ein Zusammenhang mit der Impfung gesehen. Eine Frau wurde mit Astra Zeneca geimpft, eine andere mit Johnson & Johnson.

Von den 177 Todesfällen (132 bei Biontech/Pfizer, 16 bei Moderna, 26 bei Astra Zeneca, drei bei Johnson & Johnson) konnte bei vier Patienten nach der Obduktion ein Zusammenhang mit der Impfung ausgeschlossen werden. 34 weitere Todesfälle standen in Zusammenhang mit schwerwiegenden Vorerkrankungen, "die vermutlich todesursächlich waren", wie es im Bericht heißt. Und bei 20 Personen fiel die Impfung in die Inkubationszeit einer Covid-19-Erkrankung. Bei den restlichen Todesfällen laufen noch Untersuchungen, ob es tatsächlich einen Zusammenhang mit der Impfung gibt. (APA/dpa/TT.com)

Gesundheitsminister Mückstein: "Erfolgsgeschichte vor einem Jahr begonnen"

"Heute vor einem Jahr hat für ganz Europa gemeinsam eine Erfolgsgeschichte begonnen", betonte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) am Montag. "Ein Jahr später haben wir in Österreich bereits mehr als 16,2 Millionen Impfungen durchgeführt und konnten so tausende Todesfälle und Krankenhausaufenthalte im ganzen Land verhindern." Um diese Erfolgsgeschichte fortsetzen zu können, müsse der gesamtgesellschaftliche Impfschutz noch weiter ausgebaut und noch stärker auf die Booster-Impfung fokussiert werden. Der Ressortchef dankte all jenen, "die mit ihrer Impfung zum Schutz der Gesellschaft beitragen, sowie jenen, "die in den Bundesländern seit einem Jahr unermüdlich bei den Impfstellen im Einsatz sind".

Herrschte anfangs ein Mangel, droht nach Berechnungen der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Österreich ein Impfdosenverfall in großem Ausmaß, wie die APA vor einigen Tagen berichtete. Selbst wenn im ersten Quartal alle Impfpflichtigen den Erst-, Zweit- oder Drittstich erhalten und es viele Kinderimpfungen gebe, würden nach aktuellen Prognosen Ende März 10,2 Millionen Dosen auf Lager liegen, so MSF-Experte Marcus Bachmann. Aktuell seien sieben Millionen Dosen ungenutzt. Er wies darauf hin, dass die Impfstoffe eine vergleichsweise kurze Haltbarkeitsdauer von sechs bis neun Monaten haben. Selbst bei einer konsequenten Beachtung des "First in, first out"-Prinzips könnte es angesichts von Ablaufdaten schon sehr bald "eng" werden. In der Prognose für das erste Quartal berücksichtigt sind auch 750.000 Dosen des neu zugelassenen fünften Covid-19-Impfstoffes von Novavax.

"Dass Millionen Impfstoffe verfallen könnten, entspricht nicht den Tatsachen", dementierte das Gesundheitsministerium. Nicht einmal 3000 Dosen seien bisher in den Impfstofflagern des Bundes abgelaufen. "Wir haben in der Bundesregierung für das Jahr 2022 Vorsorge getroffen, dass 100 Prozent der Bevölkerung mit bis zu drei Stichen versorgt werden können. Dafür wurden am europäischen Markt vorausschauend entsprechende Mengen bestellt." Das Ressort verwies zugleich auf Impfstoffspenden von über drei Millionen Dosen, räumte aber zugleich einen bevorstehenden Verfall von 280.000 Dosen AstraZeneca ein. Für diese habe nämlich "trotz intensiver Bemühungen der Bundesregierung" bisher kein Abnehmerland gefunden werden können, und sie liefen "demnächst" ab.